Mauersegler, hören Simon und Karl auf ihrer Reise durch Italien, berührten die Erde ausschließlich zum Sterben. Bei Simon schien es ähnlich zu sein. Von Beginn an verfolgt der Überflieger unbeirrbar ein nur ihm selbst bekanntes Ziel jenseits der Wolken. Und gerät so allmählich selbst seinem besten Freund Karl und Schwester Isabelle aus dem Blick. An seinem Ende bleibt ihnen Simons Leben genauso rätselhaft wie sein plötzlicher ungeklärter Tod. Ausgerechnet an jener Stelle auf den Bahngleisen, an denen sie als Kinder zur Mutprobe so lange ausharrten, bis sie die Gleise singen hörten. Doch damals, so schien es ihnen wenigstens, war alles offen. Das galt auch noch für Karls und Simons Motorradtrip à la "Easy Rider" nach Italien. Auf einem Zeltplatz bei Ferrara lernen die beiden Studenten die irischen Schwestern Hannah und Emily kennen und verbringen einen Tag miteinander, der ihnen wie ein Versprechen der Zukunft erscheint.
"Man wollte in diesem Moment mit kühlen Händen der Luft hinterherjagen, die gewürzt war mit dem Duft des geschnittenen Grases und des fernen Meeres, (...) noch ein paar Vögel, die träge auf den Eschen saßen, als Dreingabe dazu und ein Stück vom Himmel (...) und einige Funken Stille. Alles zusammen hätte dann an späteren Orten ausgepackt werden können, (...) dann wäre es nur ein Schritt bis zur Cafeteria, zu den Vögeln und zu den unzähligen Möglichkeiten."
Doch Frühstarter Simon nutzt schon damals den Urlaub zum Einstieg in seine steile journalistische Karriere; er schreibt Reisereportagen für den Südkurier. Karl, der sexuelle Spätzünder, verpatzt unterdessen sein "erstes Mal" mit Hannah. Der verklemmte Stotterer verkriecht sich lieber hinter seinen Heiligengeschichten, statt sich der Realität zu stellen. Karl macht das Schreiben von Heiligenbüchern später sogar zu seinem Beruf. Seit frühen Ministrantentagen verbindet die beiden Freunde ihre gemeinsame Leidenschaft für die Eisheiligen. Beide sind fasziniert von den Legenden um die nach katholischen Märtyrern benannten Tage, die Mitte Mai oft noch einmal späten Frost bringen. Doch bei Karl fungieren die Eismänner als Fluchthelfer vor dem eigenen Versagen in die Fantasie. Für Simon dagegen sind die "gestrengen Herrn" Vorbild für Zielstrebigkeit und Unnachgiebigkeit; und damit Garanten Innerer Sicherheit. Genau das ist Simons Lebens- und Arbeitsthema. Als Politik-Ressortleiter für Innere Sicherheit wird er von einer überregionalen Zeitung in Frankfurt angeworben. Für seinen beruflichen Erfolg arbeitet er Tag und Nacht. Rückzugsort soll sein neu gebautes Haus am Kindheitsort mit Blick über den Bodensee werden. Doch seine jetzt in Seattle lebende Schwester sieht Simons "persönliche Sicherheitszone" eher als Festung. Währenddessen bleibt Karl weiter seinen Eisheiligen treu. Und seine Bücher über Pankrazius, Bonifazius, Servatius und die Heilige Sophie verkaufen sich sogar überraschend gut.
"Heilige (...) seien in Mode. Vielleicht, weil sie sich menschlich und unmenschlich zugleich zeigten. Weil sie sich nicht ablenken, durch nichts von ihrem Weg abbringen ließen. Diese Unbeirrbarkeit habe etwas Gewalttätiges und etwas Göttliches zugleich. Sie bräuchten keinen Rat, keine Hilfe. Nie seien sie auf einen anderen Menschen angewiesen."
Doch selbst wenn Gipfelstürmer Simon dem Berghasser Karl während einer gemeinsamen Bergbesteigung wie ein lebendiger Eisheiliger erscheint: Am Ende ist es nicht Karl, sondern Simon, der seine Eisheiligen verrät und vorzeitig aufgibt. Jedenfalls sind Freund und Schwester Isabelle von seinem Selbstmord überzeugt. Für beide ist es auch kein Zufall, dass er ausgerechnet am Tag des heiligen Bonifazius vom Zug erfasst wurde. Karl stürzt der Tod des nicht einmal vierzigjährigen Freundes in eine tiefe Lebens-, Liebes- und Schreibkrise, aus der er erst wieder herausfindet, als er sich entschließt, den lange vor sich hergeschobenen Beitrag über den heiligen Bonifazius von seiner Assistentin und Lebensgefährtin Clara beenden zu lassen. Er selbst plant stattdessen, angeregt von Simons Notizheften, ein eigenes Buch über die gemeinsame Vergangenheit zu schreiben. Es könnte wie Christof Hamanns neuer Roman "Nur ein Schritt bis zu den Vögeln" heißen. Mit dem Beginn seiner Erzählung, nämlich Simons und Karls Italienreise, schließen sich der Kreis und die Geschichte.
Die Erzählkonstruktion von Hamanns neuem Buch ist unzweifelhaft rund. Etwas zu rund vielleicht. Zu gewollt nicht nur der kreisförmige Aufbau, sondern auch die überstrapazierte Metaphorik der Eisheiligen und die allzu plakative Figurenzeichnung der komplementären Freunde. Christof Hamann hätte mehr auf seine ausgezeichnete Beobachtungs- und Erzählgabe vertrauen sollen. Denn die leichthändige Schilderung und erzähltechnisch kunstvolle Verschachtelung von erlebten, erinnerten und geträumten Momentaufnahmen sind Hamanns große Stärke.
Christof Hamann: "Nur ein Schritt bis zu den Vögeln". Roman. Steidl Verlag 2012. 176 Seiten, 19,80 Euro.
"Man wollte in diesem Moment mit kühlen Händen der Luft hinterherjagen, die gewürzt war mit dem Duft des geschnittenen Grases und des fernen Meeres, (...) noch ein paar Vögel, die träge auf den Eschen saßen, als Dreingabe dazu und ein Stück vom Himmel (...) und einige Funken Stille. Alles zusammen hätte dann an späteren Orten ausgepackt werden können, (...) dann wäre es nur ein Schritt bis zur Cafeteria, zu den Vögeln und zu den unzähligen Möglichkeiten."
Doch Frühstarter Simon nutzt schon damals den Urlaub zum Einstieg in seine steile journalistische Karriere; er schreibt Reisereportagen für den Südkurier. Karl, der sexuelle Spätzünder, verpatzt unterdessen sein "erstes Mal" mit Hannah. Der verklemmte Stotterer verkriecht sich lieber hinter seinen Heiligengeschichten, statt sich der Realität zu stellen. Karl macht das Schreiben von Heiligenbüchern später sogar zu seinem Beruf. Seit frühen Ministrantentagen verbindet die beiden Freunde ihre gemeinsame Leidenschaft für die Eisheiligen. Beide sind fasziniert von den Legenden um die nach katholischen Märtyrern benannten Tage, die Mitte Mai oft noch einmal späten Frost bringen. Doch bei Karl fungieren die Eismänner als Fluchthelfer vor dem eigenen Versagen in die Fantasie. Für Simon dagegen sind die "gestrengen Herrn" Vorbild für Zielstrebigkeit und Unnachgiebigkeit; und damit Garanten Innerer Sicherheit. Genau das ist Simons Lebens- und Arbeitsthema. Als Politik-Ressortleiter für Innere Sicherheit wird er von einer überregionalen Zeitung in Frankfurt angeworben. Für seinen beruflichen Erfolg arbeitet er Tag und Nacht. Rückzugsort soll sein neu gebautes Haus am Kindheitsort mit Blick über den Bodensee werden. Doch seine jetzt in Seattle lebende Schwester sieht Simons "persönliche Sicherheitszone" eher als Festung. Währenddessen bleibt Karl weiter seinen Eisheiligen treu. Und seine Bücher über Pankrazius, Bonifazius, Servatius und die Heilige Sophie verkaufen sich sogar überraschend gut.
"Heilige (...) seien in Mode. Vielleicht, weil sie sich menschlich und unmenschlich zugleich zeigten. Weil sie sich nicht ablenken, durch nichts von ihrem Weg abbringen ließen. Diese Unbeirrbarkeit habe etwas Gewalttätiges und etwas Göttliches zugleich. Sie bräuchten keinen Rat, keine Hilfe. Nie seien sie auf einen anderen Menschen angewiesen."
Doch selbst wenn Gipfelstürmer Simon dem Berghasser Karl während einer gemeinsamen Bergbesteigung wie ein lebendiger Eisheiliger erscheint: Am Ende ist es nicht Karl, sondern Simon, der seine Eisheiligen verrät und vorzeitig aufgibt. Jedenfalls sind Freund und Schwester Isabelle von seinem Selbstmord überzeugt. Für beide ist es auch kein Zufall, dass er ausgerechnet am Tag des heiligen Bonifazius vom Zug erfasst wurde. Karl stürzt der Tod des nicht einmal vierzigjährigen Freundes in eine tiefe Lebens-, Liebes- und Schreibkrise, aus der er erst wieder herausfindet, als er sich entschließt, den lange vor sich hergeschobenen Beitrag über den heiligen Bonifazius von seiner Assistentin und Lebensgefährtin Clara beenden zu lassen. Er selbst plant stattdessen, angeregt von Simons Notizheften, ein eigenes Buch über die gemeinsame Vergangenheit zu schreiben. Es könnte wie Christof Hamanns neuer Roman "Nur ein Schritt bis zu den Vögeln" heißen. Mit dem Beginn seiner Erzählung, nämlich Simons und Karls Italienreise, schließen sich der Kreis und die Geschichte.
Die Erzählkonstruktion von Hamanns neuem Buch ist unzweifelhaft rund. Etwas zu rund vielleicht. Zu gewollt nicht nur der kreisförmige Aufbau, sondern auch die überstrapazierte Metaphorik der Eisheiligen und die allzu plakative Figurenzeichnung der komplementären Freunde. Christof Hamann hätte mehr auf seine ausgezeichnete Beobachtungs- und Erzählgabe vertrauen sollen. Denn die leichthändige Schilderung und erzähltechnisch kunstvolle Verschachtelung von erlebten, erinnerten und geträumten Momentaufnahmen sind Hamanns große Stärke.
Christof Hamann: "Nur ein Schritt bis zu den Vögeln". Roman. Steidl Verlag 2012. 176 Seiten, 19,80 Euro.