Dennis Seidenberg ist 33 Jahre alt, er spielt seit 2002 in der NHL und hat neben Uwe Krupp als einziger Deutscher den Stanley Cup gewonnen. In anderen Ländern wäre der Verteidiger der Boston Bruins ein Star, in seiner Heimat hingegen kann der Schwarzwälder unerkannt die Straßen entlanggehen.
Seidenberg sagt: "Es ist schwer mit dem Eishockey in Deutschland."
Es mag komisch klingen, wenn ein Routinier wie Seidenberg mit seinen mehr als 700 NHL-Spielen nun ausgerechnet darauf setzt, dass womöglich ein 19-jähriger Liga-Neuling den Kufensport in Deutschland vorantreibt. Leon Draisaitl ist erst seit einem Monat in der besten Eishockey-Liga der Welt, spielt für die Edmonton Oilers – und wenn in den deutschen Medien über die NHL berichtet wird, dann derzeit vor allem über den gebürtigen Kölner – und nicht über die erfahrenen Christian Ehrhoff, Marcel Goc oder eben Dennis Seidenberg.
"Es ist sehr gut, dass die Presse sehr viel über ihn spricht. Vielleicht löst er ja irgendwie sowas aus wie der Dirk Nowitzki damals mit dem Basketball."
In einem ist Draisaitl sogar bereits besser als der Basketball-Star aus Würzburg: "The Edmonton Oilers are very pleased to select Leon Draisaitl." Im Juni wurde der Sohn von Ex-Nationalspieler Peter Draisaitl beim Draft unter den weltweit mehr als 200 Nachwuchstalenten an dritter Stelle ausgewählt – so früh, wie kein Deutscher in der Geschichte des Nordamerikanischen Profisports und sechs Positionen vor Nowitzki.
Draisaitl will Vorbild sein
Und Draisaitl ist sich trotz des jungen Alters seiner Rolle als kommendes deutsches Eishockey-Aushängeschild bewusst: "Ich denke, das deutsche Eishockey braucht mehr Spieler in der NHL – auf jeden Fall. Ich möchte auf jeden Fall, sag' ich mal, mehr Kindern oder mehr Jungen den Traum verwirklichen, in der NHL zu spielen."
Sein erster Monat in Edmonton ist vorbei – und Draisaitls Fazit durchaus positiv: "Auf jeden Fall ist es eine Veränderung, weniger Eiszeit und das Level ist natürlich viel, viel höher. Und logischerweise sind die Spieler viel besser. Es nimmt ein bisschen Zeit, um sich an alles zu gewöhnen. Aber, ich denke, bis jetzt habe ich einen relativ guten Job gemacht."
Das findet auch sein Trainer, Dallas Eakins, den vor allem die Wissbegierde des Deutschen freut: "Für viele Spieler in seinem Alter ist der Trainer der letzte, mit dem sie etwas zu tun haben wollen. Leon hingegen sucht ständig den Kontakt zu uns, will sich immer weiter verbessern – und das freut uns. Er ist sehr aufs Detail fokussiert und bekommt ein Gefühl für das Tempo des Spiels. Uns gefällt seine Entwicklung und die Richtung, in die er geht."
Am 9. Oktober gab Draisaitl sein NHL-Debüt – mittlerweile hat der Stürmer nicht nur Tore vorbereitet, sondern auch selbst getroffen. "He scores, Leon Draisaitl. His first National Hockey League goal."
Draisaitl ist zwar gerade erst 19 Jahre alt geworden, hat dennoch bereits eine reife Spielweise und setzt seine 1,88 Meter sowie die 95 Kilo geschickt ein, um den Puck abzuschirmen. Andere in seinem Alter machen ihr Abitur oder eine Berufsausbildung. Draisaitl hingegen jettet im vereinseigenen Flugzeug quer durch Nordamerika und muss nicht einmal seine eigene Tasche packen.
"Natürlich ist es ein anderes Leben mit den Hotels, mit Fliegen. Aber, ich meine, dafür arbeitet man hart den ganzen Sommer und in der Saison auch. Also, ich denke, dass sich das alles ausgleicht."
Draisaitl soll in Nordamerika eine ziemlich große Lücke schließen. Von den etablierten NHL-Deutschen ist Marcel Goc mit seinen 31 Jahren der jüngste. Derzeit gibt es zwar den 21 Jahre alten Tobias Rieder bei den Arizona Coyotes, doch der Landshuter wurde nur aufgrund der Verletzungen von gestandenen Profis aus dem Farmteam in die NHL berufen, wo seine Zeit begrenzt sein dürfte.
Viele konnten sich nicht etablieren
Seit Jahren haben es immer wieder deutsche Nachwuchsspieler versucht, doch egal ob Marcel Müller, Philipp Gogulla oder Korbinian Holzer – um nur einige zu nennen - dauerhaft konnte sich niemand in der NHL behaupten. Zwischen Goc und Draisaitl liegen zwölf Jahre – das entspricht einer Eishockey-Generation.
Draisaitl dazu: "Ich weiß nicht, ob ich irgendwas anders gemacht habe. Ich habe meinen Job gemacht, hart gearbeitet dafür und probiert, jeden Tag besser zu werden. Und ich habe auf mich geguckt."
Mit fünf Jahren hat Draisaitl in Köln mit dem Eishockey begonnen, als 16-Jähriger wechselte er in die kanadische Jugendliga, mit 18 schoss der Center sein erstes NHL-Tor. Fürs Erste hat sich der Teenager unter all den gestandenen Männern durchgesetzt, doch Draisaitl weiß, Ausruhen gilt nicht.
"Ich denk' dass man jeden Tag die Ellenbogen ausfahren muss und seinen Platz erarbeiten muss. Ich glaube nicht, dass ich hier irgendwas umsonst bekomme."
Ähnlich sieht es für die mehr als 20 deutschen Nachwuchs-Spieler aus, die derzeit in Nordamerikas Juniorenligen oder den NHL-Farmteams aktiv sind. Sie alle hoffen auf den großen Sprung – Draisaitl hat gezeigt, dass es machbar ist.
Dennis Seidenberg weiß, was für die Talente wichtig ist: "Als junger Spieler muss man einfach Ausdauer zeigen. Und wenn's beim ersten Mal nicht klappt, dann einfach weiter versuchen."
Er ist ein Paradebeispiel für jemanden, der sich durchgesetzt hat. Beim Draft 2001 wurde er erst an 172. Stelle genommen – und hat es trotzdem zu einem der besten NHL-Verteidiger und zum Stanley-Cup-Champion geschafft.
