Archiv


Eiskaltes Erbe

Während die archäologischen Analysen rasch abgeschlossen waren, brachten medizinische, mikrobiologische und seit kurzem auch genetische Ergebnisse immer weitere Erkenntnisse zu Tage. Viele Untersuchungsmethoden hatten sich erst lange nach dem Fund entwickelt und widersprechen zum Teil vielen frühen Erkenntnissen.

Von Michael Stang |
    Carsten Pusch: "Es war ein robuster, kerniger Bursche, aber er ist natürlich dummerweise durch diesen fast schon CSI-artigen Fall mit der Ermordung dann natürlich also super spannend geworden und deswegen ranken sich da Mythen drum. Das ist einfach etwas, was die Leute bewegt."

    Eduard Egarter-Vigl: "Das Todesszenario ist ganz klar: Er wurde von einem Pfeil in den Rücken getroffen, so weit ist das gerichtsmedizinisch bewiesen."

    "Willkommen im Südtiroler Archäologiemuseum. Mein Name ist Barbara Abrate."

    Fast drei Millionen Besucher haben den Mann aus dem Eis mittlerweile in Bozen gesehen. Abrate:

    "Hier haben wir die Auszüge von verschiedenen Tagesschauen, wo sie diesen Fund gemeldet haben. Ja, sogar in Japan haben sie davon gesprochen, also es war eigentlich eine Sensation für die ganze Welt, kann man sagen."

    Trotz ihres Alters von rund 5300 Jahren ist die Gletschermumie aus dem Ötztal in den Augen vieler Forscher ungewöhnlich gut erhalten. Abrate:

    "Auch wenn der Ötzi, und das sehen wir da oben, über 500 Namen verpasst bekommen hat als man ihn gefunden hat, und also wirklich in den verschiedensten Sprachen, von Homo tirolensis, bis zum Zombie und Similauner und Schnalzi und alles mögliche…und zum Schluss ist er aber Ötzi geblieben."

    Der mumifizierte Leichnam ist ein einmaliger Glücksfall für die Wissenschaft. Ein Grund dafür ist der schnelle Tod des Mannes aus der Jungsteinzeit. Sein Körper ist rasch ausgeblutet und zeigt daher fast keine Verwesungsprozesse. Weder Enzyme noch Bakterien konnten ihm etwas anhaben. Auch Raubtiere oder Insekten haben den Leichnam über die Jahrtausende hinweg kaum versehrt. Eine solche Mumifizierung ist nur bei geringer Feuchtigkeit und niedrigen Temperaturen möglich. Auf 3300 Metern Höhe wurde der Leichnam vermutlich innerhalb weniger Tage vom Schnee bedeckt und durch starke Winde rasch ausgetrocknet. Das Körpergewicht reduzierte sich von geschätzten einst 53 Kilogramm auf knapp 14 Kilogramm. Und so lag der Mann aus dem Eis dort mehr als fünf Jahrtausende bei einer Durchschnittstemperatur von minus 10 Grad Celsius. Vermutlich haben ihn höhere Temperaturen in dieser Zeit nur zweimal freigelegt.

    Als 1991 die Nachricht vom Fund der Gletschermumie aus dem Ötztal um die Welt ging, war Angelika Fleckinger noch Studentin. Erfahren hat die heutige Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen davon aus den Medien. Denn am Fundtag selbst, am 19. September, war die angehende Archäologin noch auf einer Ausgrabung in Südtirol unterwegs. Spätestens wenige Tage darauf zu Semesterbeginn an der Universität in Innsbruck sei ihr klar geworden, dass dieser Fund etwas Besonderes sein müsse.
    "Da haben wir natürlich die Veränderungen am Institut auch mitbekommen, wir Studentinnen. Wir haben festgestellt, dass die Professoren plötzlich keine Zeit mehr für uns haben und mit Ötzi beschäftigt sind, dass die Vorlesungen später losgehen und es war für alle schon sehr aufregend, also sowohl für die Professoren als auch für uns Studentinnen."

    Es sollten aber noch sieben Jahre vergehen, bis sie den Leichnam selbst in Augenschein nehmen konnte. Das geschah am 16. Januar 1998. Da arbeitete Angelika Fleckinger bereits als Archäologin im Bozener Museum. Sie nahm Ötzi in Empfang, als er von Innsbruck in sein neues zu Hause überführt wurde. Mit diesem Transport endete ein langer Streit darüber, wem die Mumie gehört. Italien und Österreich hatten Ansprüche angemeldet. Exakte Messungen ergaben, dass Ötzi in Italien lag und zwar genau 92,55 Meter vor der Grenze zum Nachbarland. So kam der Leichnam nach einem Gerichtsstreit von Innsbruck nach Bozen. Und dorthin ins Museum strömen auch Jahre später noch Tausende Besucher täglich. Fleckinger:

    "Wenn Sie dann wirklich diesen Moment erleben, wo Sie ja fast alleine mit Ötzi sind, weil man nur allein durch dieses kleine Fenster auch sehen kann, dass sich dann große Emotionen einstellen und den Menschen auch bewusst wird, dass es sich hier um einen toten Menschen handelt und nicht um ein archäologisches Ding. Wir merken auch, dass eine gewisse Stille dort einsetzt, die Menschen auch sehr, sehr ruhig sind, wenn sie Ötzi begegnen."

    Obwohl sich der Fund nun zum 20.Mal jährt, sind noch lange nicht alle Geheimnisse um Ötzi gelüftet. Viele Untersuchungen sind aufwändig, kostspielig und zeitintensiv. Zudem haben sich viele Methoden, allem voran in der Genetik und Mikrobiologie, in den vergangen Jahren erheblich weiterentwickelt. All dies ermöglicht, allmählich ein umfassendes Bild des Mannes aus dem Eis zu bekommen. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Wissenschaftler ungezügelt an der Mumie forschen kann, schränkt Angelika Fleckinger gleich ein.

    "Die Anfragen für Forschungsprojekte werden von einem Fachbeirat auch geprüft und begutachtet und gegebenenfalls dann auch genehmigt, wenn es sich nicht um zu invasive Eingriffe handelt, so dass wirklich an erster Stelle die Konservierung der Mumie steht und stehen bleiben muss. "

    Einer der Gutachter ist Eduard Egarter-Vigl. Niemand kennt die Mumie besser als der Südtiroler. 1997 wurde der Pathologe von der Landesregierung in Bozen zum Konservator Ötzis bestimmt. Seither widmet er sich voll und ganz dem Mann aus dem Eis, dessen grausamen Tod der Gerichtsmediziner inzwischen eindeutig rekonstruieren konnte: Ötzi ist nicht eines natürlichen Todes gestorben oder hat einen Unfall erlitten, sondern er wurde hinterrücks erschossen.

    "Der Pfeil hat im Grunde genommen kein lebenswichtiges Organ getroffen, weder Herz noch Lunge, sondern ist in der linken Schulter stecken geblieben, unglücklicherweise an einer Stelle, wo eben die großen Nervenbündel aus der Halswirbelsäule und die arterielle Blutversorgung aus der Aorta austreten und über die Achselhöhle in den Oberarm einstrahlen. Genau hier ist der Pfeil stecken geblieben und hat seine schädigende Wirkung gehabt."

    Die Todesursache war der Blutverlust. Das machen Computertomographiebilder deutlich: die Achselarterie ist verletzt, die Mumie ist fast blutleer und weist auch nicht die typischen Totenflecken auf. Des Weiteren wurde der Schaft des Pfeils aus dem Schusskanal gezogen. Es sei äusserst unwahrscheinlich, so der Pathologe, dass Ötzi dies selbst bewerkstelligt habe. Denn dazu braucht es große Kraft und sehr viel Überwindung, einen Pfeil samt Widerhaken aus der eigenen Schulter zu ziehen.

    "Die weit größere Wahrscheinlichkeit ist, dass der Schütze diesen Pfeilschaft aus dem Schusskanal herausgezogen hat und dabei ist die Pfeilspitze vor Ort geblieben."

    Damit wollte der Täter vermutlich Spuren verwischen. Ötzi ist nach der Schussverletzung wohl zusammengebrochen und mit dem Kopf auf einen Stein gestoßen. Denn seine rechte Gesichtshälfte ist deutlich geschwollen. Egarter-Vigl:

    "Zusätzlich kommt jetzt ein Element dazu, nämlich eine dunkle Stelle im Gehirn. Wir haben im November auch einen Zugang zum Gehirn benutzt, der schon vorhanden war, mit einer feinen Nadel unter dreidimensionaler Führung diesen Herd gefunden und Gewebe entnommen und in dem Gewebe sind rote Blutkörperchen drin, also der Beweis, dass es sich um eine Blutung handelt, ist, ich will nicht gerade sagen, schon gegeben, aber fast."

    Barbara Abrate: "Der Ötzi liegt jetzt außerhalb vom Rundgang, mit Absicht, damit man sich aussuchen kann: Will man sich jetzt den toten Menschen anschauen oder nicht?"

    Alle wissenschaftlichen Untersuchungen an der Mumie finden im Südtiroler Archäologiemuseum statt. Ein Transport Ötzis irgendwo anders hin ist nicht vorgesehen. Nur bei Katastrophen, etwa bei einem schweren Brand, würde die Mumie von der Feuerwehr ins Bozener Krankenhaus gebracht. Dort steht eine weitere Eiszelle bereit. Barbara Abrate zeigt auf einen seitlichen Raum in der Ausstellung.

    "Ja…und die Mumie liegt da drüben."

    Um Ötzi sehen zu können, muss der Besucher durch ein Guckloch schauen, besser gesagt durch eine Scheibe aus acht Zentimeter dickem Glas. Damit soll verhindert werden, dass die Körperwärme der Besucher die Temperatur in dem geschlossenen System der Kühlzelle verändert. Winzige Lampen ermöglichen es, bestimmte Körperstellen besser zu erkennen, Barbara Abrate deutet auf Ötzis Füße.

    "Jetzt, wenn man genau schaut…auf dem rechten Knöchel kann man eine Tätowierung entdecken und zwar sieht man da drei schwarze Striche, die nebeneinander liegen, sind also, er hat 60 Tätowierungen ... das sind drei von denen, die man mit bloßem Auge sehen kann."

    Vor wenigen Jahren berichteten Wissenschaftler Details über die letzten Stunden in Ötzis Leben. Sie hätten in seinem Magen Pollen gefunden. Diese stammten von Pflanzen, die nur in bestimmten Höhen wachsen. Folglich muss Ötzi an seinem letzten Tag wohl von 900 auf mehr als 3000 Meter aufgestiegen sein. Diese Analyse der Forscher erwies sich jedoch als fehlerhaft. Zum einen wurden die Proben entgegen der bisherigen Annahmen aus dem Dünndarm entnommen, da sich Ötzis Darm aufgrund einer anatomischen Eigenheit vor den Magen geschoben hatte. Zum anderen können Pollen auch über Trinkwasser oder Lebensmittel wie Honig aufgenommen werden. Fest steht auf jeden Fall, dass Ötzi leichte Zahnschmerzen gehabt haben muss: die Zähne sind stark abgeschliffen und löchrig, zwei weisen sogar Bruchspuren auf und Kieferknochen lassen eine leichte Entzündung erkennen.

    Im Herbst 2010 rückte Ötzi ein weiteres Mal in den Fokus der Wissenschaft. Eine der aufwendigsten Untersuchungen an der Gletschermumie kündigte sich an. Dazu musste der Leichnam aufgetaut werden. Zuvor hatten Eduard Egarter-Vigl und seine Kollegen ein Bett konstruiert. Darauf schnallten sie Ötzi an. Denn vorherige Untersuchungen hatten gezeigt, dass sich die Körperachse durch das Auftauen verschiebt und so alte Computertomographieaufnahmen unbrauchbar werden. Damit der Körper in seiner bekannten Position verbleibt und den Forschern weitere Aufnahmen erspart, musste der Mann aus dem Eis fixiert werden, um so die Körperachse bei den Untersuchungen konstant zu halten. Dadurch konnten die Pathologen auf den Millimeter genau Proben entnehmen. Egarter-Vigl:

    "Der Mageninhalt betrug nahezu 250Gramm und den haben wir entleert, weil es nicht denkbar ist, dass man in der nächsten Zukunft noch mal den Körper auftaut."

    Um an den Inhalt zu gelangen, bedienten sich die Forscher eines bereits vorhandenen Schnittes in der Magengrube. Er ist rund 13 Zentimeter breit und verläuft quer knapp sechs Zentimeter oberhalb des Nabels. Zwar sind die Untersuchungen des Mageninhaltes noch nicht endgültig abgeschlossen, vorläufige Ergebnisse gibt es aber schon: Demnach war der Mageninhalt extrem fetthaltig.

    "Das kann jetzt zweierlei bedeuten. Einmal könnte das Fett tierischen Ursprungs sein, im Sinne von fetthaltigem Fleisch. Dann müsste man aber abgehen von der Hypothese, dass es sich um Wild handelt, weil Wild in den seltensten Fällen viel Fett enthält. Wenn, dann müsste es Zuchtvieh sein, also Schweinefleisch oder Schafsfleisch. Die andere Möglichkeit wäre, dass es sich zwar immer um tierisches Fett handelt, aber Fett aus der Milch gewonnen, also um Käse oder um Butterähnliche Substanzen. Dafür würde sprechen, dass bestimmte Partikel keine Faserstruktur enthalten."

    Möglicherweise trifft auch beides zu. Die letzte Mahlzeit sei aber sehr üppig gewesen. Die Wissenschaftler fanden nun heraus, dass es sich um Steinbockfleisch handelt, das Ötzi vermutlich nur gut 20 Minuten vor seinem Tod verspeist hatte. Noch ein paar Stunden vorher habe er auch Hirschfleisch verzehrt, ebenso ein paar Körner.

    Eine weitere These konnte durch neue wissenschaftliche Untersuchungen widerlegt werden: Das Kampfszenario kurz vor Ötzis Tod. Angeblich hatte er sich gegen seine Feinde heftig gewehrt. Ein tiefer Schnitt an der rechten Hand und Blut an seinem Dolch sollten belegen, dass er im Kampf gefallen sei. Eine detaillierte Untersuchung der Handwunde zeigte jedoch erste Heilungsspuren. Diese Wunde war schon rund einen Tag alt. Und somit steht sie nicht direkt mit seinem Tod in Zusammenhang. Und das Blut am Dolch stammt von einem Tier.

    Nur wenige Kilometer südlich des Archäologiemuseums in Bozen befindet sich das EURAC-Institut für Mumien und den Iceman. Dieses wurde 2007 als weltweit erstes Forschungszentrum gegründet, das sich ausschließlich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Mumien beschäftigt. Sein Leiter Albert Zink hat in den vergangenen Jahren die Forschung an Ötzi mit neuen wissenschaftlichen Methoden vorangetrieben, vor allem in der Genetik und der Medizin.

    "Was uns natürlich dabei zugute gekommen ist, sind auch neue Sequenziermethoden. Also neue Methoden, die diese wenigen Reste, die an DNA noch vorhanden sind, und das ist natürlich beim Ötzi auch der Fall, da sind nur noch sehr viele kleine Bruchstücke vorhanden, die können aber mit den neuen Verfahren alle mit einem Ansatz erfasst werden und dann kann man die in mühevoller Kleinarbeit zusammensetzen und sozusagen ein komplettes Genom mehr oder weniger rekonstruieren."

    Dass das Erbgut Ötzis überhaupt noch rekonstruierbar ist, liegt an dem kühlen und trockenem Fundort. Normalweise zerfallen sämtliche genetischen Informationen binnen kurzer Zeit nach dem Tod eines Lebewesens. Nur durch eine Art "Gefriertrocknung" sind auch mehr als 5000 Jahre nach Ötzis Tod noch Erbgutreste vorhanden. Diese ermöglichen einzigartige Blicke in die Genetik der späten Jungsteinzeit. Bis vor wenigen Jahren wurden bei der Erbgutuntersuchung noch alle DNA-Schnipsel einzeln aufgearbeitet, untersucht und später mit den anderen Stücken, sofern möglich, zusammengesetzt. Bei neueren Methoden passiert das alles in einem Rutsch. Und die Ergebnisse könnten sich sehen lassen, freut sich Albert Zink.

    "Die Qualität ist sehr gut, wir haben eigentlich alle Bereiche abgedeckt, also die ganzen wichtigen Chromosomen und das Y-Chromosom haben wir praktisch auch vollständig erfasst, was für uns sehr wichtig ist, um eben noch einmal eine genaue Aufschlüsselung zu haben über die Populationsgenetik, also über die Entwicklung der Bevölkerung von vor 5000 Jahren bis in die heutige Zeit hinein."

    Doch bevor es soweit war, dass man im Genom der Gletschermumie sprichwörtlich wie in einem großen Buch blättern konnte, stand viel Arbeit an – und, ob überhaupt Ergebnisse zu erwarten waren, war durchaus ungewiss. Wie bei vielen Forschungsprojekten rund um die weltweit älteste bekannte Gletschermumie üblich, arbeitet Albert Zink mit internationalen Experten zusammen. So auch seit Anfang 2010 mit Carsten Pusch von der Universität Tübingen. Der Molekularbiologe hatte am Institut für Anthropologie und Humangenetik eine Methode etabliert, mit der sich auch nur noch bruchstückhaft vorhandene Erbgutreste – etwa von ägyptischen Mumien – analysieren lassen. Die Tübinger erhielten schliesslich eine Knochenprobe Ötzis aus dem linken Beckenkamm – mehr hatte Carsten Pusch bis dahin noch nicht von dem berühmten Leichnam in Augenschein genommen.

    "Also, Sie werden lachen, ich habe Ötzi noch gar nicht gesehen. Ich habe eine Biopsie von Ötzi gesehen, aber das war auch alles."

    Die Knochenprobe, an der Carsten Pusch und seine Tübinger Kollegen ihre Methode testen sollten, war bereits 2007 entnommen worden und lag seither auf Eis. Nun kam sie zum Einsatz. Die Frage war: Wie viel DNA ist überhaupt noch erhalten? Ötzis Erbgut sollte mithilfe der so genannten Gesamtgenom-Sequenzierungsmethode so vollständig wie möglich rekonstruiert werden. Zudem wird bei diesem Verfahren jegliches Erbgut sequenziert - nicht nur das menschliche.

    "Die große Herausforderung bei der Methode liegt darin, später dann mit diesen wirklich sehr, sehr komplizierten bioinformatischen Verfahren, mit leistungsstarken Rechnern, rauszusortieren, wem gehört jetzt welche DNA. Die sortieren wir quasi in so Töpfchen und da steht dann auch ein Name drauf, wie zum Beispiel eben halt Pilze, Pflanzen, Bakterien, menschliche DNA."

    Die DNA aus den jeweiligen Töpfchen muss anschließend mit Datenbanken abgeglichen werden. Die noch vorhandene menschliche DNA wird zudem noch mit dem genetischen Fingerabdruck aller Mitarbeiter verglichen, um mögliche Kontaminationen auszuschließen. Carsten Pusch ist mit dem Resultat sehr zufrieden. Rund 80 Prozent von Ötzis Erbgut konnte das Tübinger Team rekonstruieren.

    "Diese Probe ist wirklich wahnsinnig toll und sie war eigentlich als Test gedacht."

    Schnell war klar, dass sich mithilfe der neuen Daten viele Fragen erstmals beantworten lassen. So gelang der Nachweis, dass Ötzi entgegen früherer Annahmen braune Augen hatte. Parallel zu den Analysen in Tübingen wurde in Bozen eine weitere Genetikuntersuchung gemacht, dieses Mal aus einer Muskelbiopsie. Damit sollten die Ergebnisse aus Tübingen als Gegenprobe unabhängig überprüft werden können. Ebenso wurden diese Ergebnisse mit früheren, ersten genetischen Untersuchungen abgeglichen. Ziel war, die Abstammung Ötzis zu klären. Dabei sahen die Forscher, dass er mütterlicherseits zur so genannten Haplogruppe K gehört, eine typische europäische Abstammungslinie, die in die mittel-südeuropäische Region passt, in der der Leichnam gefunden wurden.

    "Es ist natürlich so, dass man bei diesen alten Individuen, wir sprechen ja hier bei Ötzi von jemandem, der vor 5300 Jahren gelebt hat, natürlich davon ausgehen kann, dass man bekannte Signaturen findet, aber dass es dennoch irgendwie Spezial-Untergruppen gibt, die heute nicht mehr existieren und dann stehen wir natürlich doof da, weil wir es nicht mehr einsortieren können. Wir kennen ja nur den heutigen Abstammungsbaum, also dass was heute an DNA auf der Welt zur Verfügung steht ist relativ gut untersucht und da versuchen wir dann den Ötzi einzusortieren."

    Diese genetische Untergruppe ist bei heute lebenden Menschen nicht bekannt. Der Schluss, dass Ötzi nachkommenlos ausgestorben ist, sei aber nicht sicher, argumentiert Carsten Pusch. Zum einen könnten auch heute noch Menschen mit dieser Abstammungslinie leben, die die Wissenschaft aber noch nicht kennt, und zum anderen könnte sich diese Linie im Laufe der Zeit so stark verändert haben, dass es automatisch zu einer genetischen Anpassung gekommen ist.

    "Und nun eben zur Neuigkeit der Ausstellung, nämlich eben das neue Gesicht vom Ötzi…..Ja, hier wäre er …Also, die Größen sind natürlich jetzt realistisch, 1,60 Meter, ungefähr eine Konstitution von 50 Kilos…"

    und Schuhgröße 38, sagt Museumsführerin Barbara Abrate. Die neue lebensechte Rekonstruktion Ötzis zeigt einen vom Leben gezeichneten Mann. Abrate:

    "Ja, es war schon ein älterer Mann, deswegen wird er natürlich hier als eben ältere Person dargestellt, deswegen auch diese grauen Haarsträhnen, die man aber dort nicht gefunden hat muss ich sagen….er ist jetzt hier nur mit nacktem Oberkörper dargestellt, eben damit man auch die Tätowierungen sehr gut sehen kann…"

    Um weiter an Ötzi forschen zu können und ihn für die Nachwelt zu erhalten, bedarf es einer optimalen Konservierung. Das Ziel: der aktuelle Zustand der Mumie muss dauerhaft erhalten werden. Das Problem: Der Gewichtsverlust durch Verdunstung. Dieser lag anfangs bei 60 Gramm pro Tag. Um das Problem zu lösen, testeten die zuständigen Fachleute, damals noch in Innsbruck, erste Konservierungsmethoden an einem Spendekörper. Dieser Tote mit Spitznamen "Ötzi 2" hatte zu Lebzeiten seinen Leichnam der Wissenschaft vermacht. Diese Versuche waren nicht von Erfolg gekrönt, sagt Chefkonservator Eduard Egarter-Vigl.

    "Ötzi 2 ist bei der Gefriertrocknung in Innsbruck kaputtgegangen."

    Eine zweite Körperspende musste her. Dieser Leichnam sollte dem Original-Ötzi von seiner Konservierung her relativ nahe kommen. Egarter-Vigl:

    "Das Institut für Anatomie verfügt ja über einen reichen Leichenfundus für Studienzwecke. Man hat eine Leiche genommen und hat ein Rohr gebaut und in dieses Rohr den Körper eingebracht und dann auf einer Seite mit Ventilatoren Luft in dieses Rohr hinein geblasen und war so imstande, in einem Zeitraum von circa drei Monaten, die Körpermasse so herunterzutrocknen, dass im Grunde genommen ein vergleichbarer Mumienzustand erreicht wurde wie beim Eismann."

    Dieser Probebody, der den Namen "Ötzi 3" bekommen hat, liegt nun seit wenigen Jahren direkt hinter dem Original in der 2. Kühlzelle in Bozen. Alle neuen Konservierungsschritte werden zuerst an der Versuchsmumie ausprobiert. Mit dem Anbringen von Fliesen aus Eis an den Wänden liess sich der Gewichtsverlust auf zwei Gramm pro Tag reduzieren. Alle drei Monate werden beide Mumien mit Wasser besprüht. Die maximale Luftfeuchtigkeit wurde bis zum so genannten Taupunkt hochgefahren, die Temperatur liegt bei konstanten minus 6,5 Grad Celsius. Derzeit überlegen Eduard Egarter-Vigl und seine Kollegen, ob nicht eventuelle Zersetzungsprozesse des Gewebes durch die atmosphärische Luft ausgeschlossen werden müssten und wie das zu machen sei.

    "Es ist durchaus denkbar, dass in langen Zeiträumen, sprich jetzt nicht von zehn Jahren oder 50 Jahren, aber noch längeren, von einem Menschen nicht überschaubaren Perioden, es unweigerlich zu Oxidationsprozessen an komplexen Proteinstrukturen kommen muss."

    Eine Option, mögliche Zersetzungsprozesse zu stoppen, ist die Lagerung in stark stickstoffhaltiger Luft. Auf diese Art werden bereits Ötzis Werkzeuge, Waffen und Kleidung in Vitrinen aufbewahrt. Egarter-Vigl:

    "Natürlich könnte man theoretisch diese Konservierung ausdehnen auf die Mumie, was sicherlich zwei positive Begleitphänomene hätte. Einmal natürlich, man würde die ganzen Oxidationsprozesse mit einem Schlag eliminieren und zum zweiten könnte man auch jenen Teil der Bakterien ausschalten, die von Sauerstoff leben müssen."

    Es bleibt jedoch ein Restrisiko. Zum einem müsste die Mumie weiter regelmäßig aus dieser Umgebung zur Befeuchtung herausgeholt werden. Dabei würden sämtliche Oxidationsprozesse extrem schnell ablaufen und der vermeintliche Gewinn wäre dahin. Zudem dürfte der Stress für das Gewebe der Mumie extrem sein. Die große Gefahr geht aber von anaeroben Bakterien aus, also von den Mikroorganismen, die keinen Sauerstoff zum Überleben brauchen. Sie könnten sich – falls vorhanden - rapide vermehren.

    "Sie ist vorbereitet für eine Stickstoffanreicherung. Wir haben die ganzen Rohrsysteme gelegt, wir haben Systeme gebaut, um den Stickstoff zu kühlen und anzufeuchten, bevor er in die Zelle eingepumpt wird. Aber, wir haben diesen Prozess noch nicht aktiviert. Er läuft probeweise in der Parallelzelle, wo eben dieser Ötzi 3, diese Probemumie, liegt und die Ergebnisse sind noch nicht vorhanden, die laufen, die laufen über Monate und dann werden wir weitersehen."

    Die Suche nach der optimalen Konservierung Ötzis hat für Eduard Egarter-Vigl eine hohe Priorität. Jedoch stehen die Bozener Forscher und Museumsmitarbeiter nicht unter Zeitdruck.

    "Somit sind wir natürlich jetzt, dabei Möglichkeiten auszutüfteln, wie man diese Probleme in der Zukunft, und Gott sei Dank haben wir Zeit, weil der Mann überlebt uns alle – das ist sicher, darüber nachzudenken, wir müssen halt für die nachfolgenden Wissenschaftsgenerationen versuchen, diesen Körper so zu erhalten, dass Forschungen mit den Möglichkeiten, die in der Zukunft die Naturwissenschaft schaffen wird, er noch einigermaßen in gutem Zustand ist."

    Denn es sei sehr wahrscheinlich, dass zukünftig mit immer besseren Methoden immer mehr aussagekräftigere Ergebnisse erzielt werden können, ist auch Albert Zink überzeugt. Allein die Genetikuntersuchungen hätten dies eindrucksvoll belegt. Nun tüfteln die Forscher bereits an neuen Untersuchungsmethoden. Beim zukünftigen Großprojekt ist nicht nur die Mumie Forschungsobjekt, sondern auch alle potentiellen Würmer, Bakterien, Pilze oder was sonst noch theoretisch auf diesem Organismus gelebt hat und – vielleicht auch noch heute lebt. Zink:

    "Also wir sprechen sozusagen immer, ob es noch Hinweise auf Leben in seinem Körper (gibt), also Leben nicht in dem Sinne, dass er lebt, sondern dass noch Mikroorganismen vorhanden sind, die auch später in den Körper gelangt sein könnten durch das Eis beispielsweise, durch die Umgebung, die vielleicht auch für die Zukunft ein Problem darstellen könnten für die Konservierung, weil die könnten ja vielleicht auch unter diesen Extrembedingungen langsam weiter wachsen."

    Letztendlich könne man die Gletschermumie Ötzi gar nicht auf ein Projekt einengen, dazu seien viel zu viele internationale Forscherteams involviert und die Möglichkeiten, die dieser Jahrhundertfund bietet, weiterhin viel zu groß. Vielmehr könne man den 5300 Jahre alten Leichnam als eine Art Referenz für einen genetischen Schnappschuss aus der Vergangenheit nehmen: Vielleicht, vermutet Albert Zink, gab es Krankheiten mit genetischer Grundlage bereits damals. Diese haben aber erst in der heutigen Zeit ihre Wirkung entfaltet, man denke nur an Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen. Die große Frage lautet: Sind alle Zivilisationskrankheiten dem modernen Lebensstil mit seiner üppigen Ernährung und dem Bewegungsmangel zuzurechnen oder haben diese Erkrankungen doch ein langes genetisches Erbe? Albert Zink:

    "Der Ötzi ist ja wirklich eines der ersten Beispiele auch, wo man sagt, man hat wirklich ein Komplett-Genom, also ein riesiges Buch mit irrsinnig vielen Informationen, das man eben nicht nur benutzen kann, um eben über ihn mehr zu erfahren, sondern das eben auch eine viel breitere Anwendung findet. Und ich denke, das ist auch die Zukunft, dass man diese Untersuchung dahingehend auslegt, dass man mehr vergleichend arbeitet und das eben mehr versucht mit der heutigen Zeit zu verbinden, mit den Erkenntnissen und da ist das für alle ein irrsinnig großen Mehrgewinn, den man da hat."