Urs Leonhardt leitet die Palliativstation am Hannoveraner Klinikum Friederikenstift. Kein Ort des Sterbens, sondern der Intervention. Menschen so begleiten, dass sie möglichst schmerzfrei und in Würde enden, überforderten Angehörigen beistehen, so beschreibt der Mediziner seine Aufgabe. Die explizite Frage nach Sterbehilfe will Leonhardt in seinen 15 Dienstjahren so noch nicht vernommen haben:
"Wenn jemand eine schlimme Erkrankung hat, schwingt die Frage nach Suizid oder Ende des Lebens immer mit. Sie wird aber nie so stark, dass sie dominiert. Ich mache das hier, seitdem es die Station gibt: In dieser Situation ist die explizite Frage nach dem Suizid eigentlich nie aufgekommen. Wenn sie ausgesprochen wird, ist es oft auch die Kommunikation: 'Hier ist was nicht in Ordnung, es kümmert sich keiner um mich, es versteht mich keiner!'"
Vielfältig seien die Mittel der palliativen Begleitung. Wo Menschen aufgeklärt sind, betont Leonhardt, entsteht der Wunsch nach der Selbsttötung nicht. Die Hilfe zum Suizid, das Töten auf Verlangen gar lehnt er ab, mit seinem ärztlichen Selbstverständnis als Helfer zum Leben sei das nicht vereinbar. Mit der organisierten Sterbehilfe, so fürchtet Leonhardt, würde der Druck auf Schwerstkranke zunehmen, das Angebot auch anzunehmen.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat über das Forschungsinstitut Emnid eine bundesweite Studie in Auftrag gegeben, die das Argument zu belegen scheint: 61 Prozent der Befragten gaben an, sie glaubten, dass bei einer Legalisierung der ärztlichen Hilfe zum Freitod Menschen vermehrt um todbringende Medikamente bitten würden, weil sie sich als Belastung für Familie und Gesellschaft fühlten.
"Dann mache ich mir schon Sorgen, dass Menschen am Lebensende das Gefühl haben: 'Ich bin niemandem mehr Nutze, ich koste nur viel Geld!' Ich möchte, dass wirklich jeder weiß in Deutschland, dass er leben darf ohne irgendwelche Einschränkung, und dass niemand das Gefühl hat, er muss sich dafür rechtfertigen, dass er leben will. Und eine solche Situation, eine schleichende Veränderung der Sozialkultur, könnte entstehen, wenn wir den assistierten Suizid zur gesetzlich zugelassen Option machen!"
Tötungstabu nicht aufbrechen
Heinrich Bedford-Strohm ist Ratsvorsitzender der EKD und hat sich als Buchautor und in Debatten intensiv mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigt. Aus christlicher Perspektive ist die Selbsttötung eines Menschen grundsätzlich abzulehnen, betont der Theologe, weil das Leben als Gabe verstanden wird.
"Das Tötungs-Tabu darf nicht aufgeweicht werden, durch neue gesetzliche Regelungen! Es muss klar sein, dass es keine normale Option ist, sich selbst zu töten, oder gar, wie das in Holland der Fall ist, sich durch Ärzte töten zu lassen!"
Doch einen Konsens in der komplexen Frage gibt es auch unter Christen nicht. Die Bibel hilft nicht weiter. Einig sind sich die Theologen wie auch Mediziner, Juristen und Politiker nur in ihrer Ablehnung der Tötung auf Verlangen. Auch einer kommerziell organisierten Sterbehilfe darf der Staat aus Sicht beider christlichen Kirchen nicht die Tür öffnen: Vom Tod soll niemand profitieren! Individuen, die in ihrer existenziellen Not zu einer anderen Entscheidung kommen, billigt Bedford-Strohm indes die Selbstverantwortung zu. Den Sinn einer neuen Strafgesetzgebung, sieht er nicht:
"Die Ärzte gehen verantwortlich mit den Gewissensspielräumen um, die sie haben und auch brauchen, weil man nicht jeden einzelnen Fall im Arzt-Patient-Verhältnis gesetzlich regeln kann. Da gibt es eine große Einigkeit darin, dass wir nie einfach normativ über die Lebenssituation hinwegsegeln dürfen, dass wir wirkliche ernst nehmen müssen, die schwierigen Grenzsituationen, in denen Menschen am Lebensende sich oft befinden, das wirklich wahrzunehmen – und nicht mit Moral einfach wegzuwischen."
Die Gesellschaft muss andere Wege finden, als die Mittel für den Freitod zur Verfügung zu stellen, sagt auch Robert Wehr. Der Leiter des Altenheims der Inneren Mission Northeim fordert eine Verbesserung der palliativen Betreuung, der Schmerzmedizin, der Hospiz-Kultur, vor allem aber des Personalschlüssels in der stationären Altenhilfe:
"Wir haben im Durchschnitt mindestens jede Woche einen Sterbeprozess zu begleiten. Die Mitarbeiterin hat Dienstschluss, geht nach Hause, kommt nach ein paar Stunden wieder, setzt sich zu der Bewohnerin, um eine psychosoziale Betreuung einfach anzubieten - und auch ihrem ethischen Berufsanspruch gerecht zu werden. Ich sehe schon, dass der Notstand da ist! "