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Ekel, Romantik und Ekstase

Dass die Verfilmung des Bestsellers "Feuchtgebiete" nicht allzu lange auf sich warten ließ, wundert nicht. Das Ergebnis kann sich dank der guten Adaption sehen lassen. Ein weiteres Highlight in dieser Kinowoche: der Dokumentarfilm "Sâdhu - Auf der Suche nach der Wahrheit".

Von Jörg Albrecht |
    Ich muss ja gestehen: Meine Vorfreude auf einen Verriss war so gewaltig, dass mir gleich eine ganze Reihe Bonmots in den Kopf geschossen ist. "Stinkt zum Himmel – dieser Film" oder "Bitte die Feuchtgebiete jetzt endgültig trockenlegen" sind nur zwei davon. Und jetzt das: Der Film nach dem vermeintlichen Skandalroman ist gar nicht so übel. Ja, er ist sogar richtig gut geworden. Was bei der Buchvorlage fast einem Wunder gleichkommt. Regisseur und Co-Drehbuchautor David Wnendt hat eben verstanden, worauf es bei einer Literaturverfilmung ankommt.

    "Jeder Film, der eine Adaption ist, muss auch was ganz Eigenständiges werden. Und damit geht einher, dass man sich löst von der Vorlage. "

    Wie jetzt? Etwa keine Ekelszenen mit der Hauptdarstellerin im Spiel mit ihren Körperflüssigkeiten? Keine explizite Schilderung ihrer sexuellen Wünsche? All jene, die den Roman revolutionär und befreiend empfanden, können beruhigt werden. Und jene, die mit ihrem Würgereiz zu kämpfen hatten, seien gewarnt: Es ist alles drin im Film!

    "Hygiene wird bei mir kleingeschrieben. ... Mein Ziel ist es, dass es leicht und betörend aus der Hose riecht. Das wird von Männern unbewusst wahrgenommen. Weil wir ja alle Tiere sind, die sich paaren wollen."

    So sieht sie aus: die fabelhafte Welt der Helen – selbstbewusst, freizügig und frech verkörpert von Carla Juri. Aber der Film "Feuchtgebiete" ist eben noch viel mehr. Im Gegensatz zum Buch erzählt er – je länger er dauert und je mehr der Ekel verblasst – eine richtige Geschichte. Da ist das Trauma aus Helens Kindheit, das sie auf dem Weg ins Erwachsenenleben begleitet: die Trennung der Eltern. Damit verbunden ist Helens Suche nach ihrem Platz im Leben. Den würde sie am liebsten mit jemandem teilen. Zum Beispiel mit Robin.

    " ... Ich habe mit einem Kumpel gequatscht und der hat gesagt, dass du Exhibitionistin bist. ... Ja, ist das schlimm? … Komm mal näher!"

    An der Oberfläche ist auch der Film "Feuchtgebiete" eine Provokation, im Kern aber ist er hoffnungslos romantisch. Diese Ambiguität entfaltet ihren ganz eigenen Reiz. Das macht sie der literarischen Vorlage überlegen. Das Verdienst eines fähigen Regisseurs. Denn es kommt nicht oft vor, dass die Verfilmung eines Romans besser ist als der Roman.

    Empfehlenswert.

    "Go away!"

    "Hau ab!" schreien die Kinder auf dem Spielplatz. Annie ist hier nicht erwünscht. Und so streunt das zehnjährige Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen den ganzen Tag in der Gegend herum. Auf ihren Streifzügen lebt Annie ihre destruktive Ader aus. Mal wirft sie einen Gegenstand auf ein vorbeifahrendes Auto, mal zielt sie mit einer Paintball-Pistole auf einen Verkäufer, der sie beim Klauen erwischt hat. So etwas wie Empathie scheint Annie fremd zu sein. Das zeigt sich, als sie bei einem ihrer Ausflüge die Hilferufe einer Frau hört, die in einen Schacht gefallen ist.

    " … Will you help me to get out of here? – Why should I? ... Don´t be afraid. – I am not afraid of nothing. – Wait! Where are you going?"

    Annie wird zwar Essen für die Frau holen, aber keine Hilfe in David Zellners seltsamen Film "Kid-Thing", der ein Mädchen porträtiert, das anders ist als gleichaltrige Kinder. Ein Mädchen, das nie lächelt und das Opfer seiner Lebensumstände ist. Es gibt zwar einen Vater. Der aber trinkt und schläft lieber, als sich um Annie zu kümmern. Den Alltag fängt Regisseur Zellner in sowohl dokumentarischen, als auch überraschend poetischen Bildern ein. Zurück bleibt ein verstörender Blick auf eine trostlose Kindheit in einem sperrigen Film.

    "Kid-Thing": Zwiespältig.


    "Der Sâdhu – erzählt Suraj Baba – sei ein Mann, der sein Bewusstsein erweitert: von der irdischen Welt zu den höheren Zielen des Lebens. Acht Jahre lang hat Suraj in der Abgeschiedenheit des Himalaya-Gebirges gelebt. Jetzt hat er beschlossen, die Zeit der Meditation hinter sich zu lassen und auf eine Pilgerreise zu gehen."

    Ein Sâdhu müsse Frieden finden. Denn seine menschliche Natur wechsle ständig vom Irdischen zum Heiligen. Der Dokumentarfilmer Gaël Métroz hat Suraj auf seiner Reise mit der Kamera begleitet. Entstanden ist das fesselnde Porträt eines Asketen in der – ja, man mag es kaum glauben – in der Identitätskrise. Denn Suraj hinterfragt seine Spiritualität. Er ist auf der Suche nach der nächsten, womöglich letzten Station seines Lebensweges. "Sâdhu – Auf der Suche nach der Wahrheit" ist ein bildgewaltiger Film mit einem Protagonisten, der ein absoluter Glücksfall ist.

    Empfehlenswert.