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El Anatsui im Münchner Haus der Kunst
Kolonialismuskritik XXL

Kritik am Kolonialismus, gepaart mit überwältigender Form und Schönheit: Das Münchner Haus der Kunst würdigt das Werk des ghanaischen Künstlers El Anatsui. "Triumphant Scale" ist die letzte Ausstellung des langjährigen Direktors Okwui Enwezor - ein würdiger Abschied.

Von Julian Ignatowitsch |
Ein Radfahrer fährt am Haus der Kunst vorbei. An der Fassade des Gebäudes wurden nach den Vorgaben des ghanaischen Bildhauers El Anatsui auf einer Länge von 110 Metern Tausende Offsetdruckplatten befestigt.
Kunst im XXL-Format: El Anatsui ließ an der Fassade des Hauses der Kunst Offsetdruckplatten befestigen - ein Kommentar auf die tägliche Nachrichtenflut (picture alliance / Sina Schuldt / dpa)
Schon die schiere Größe beeindruckt. Das fängt bereits an der Außenfassade des Hauses der Kunst an: Zehn Meter hoch und 110 Meter lang ist die Installation, die sich entlang der Säulenhalle erstreckt. Fast zehntausend Druckplatten hat der Künstler El Anatsui dafür zusammen montieren lassen, in gut eineinhalb Jahren Planung und Arbeit. Das Kunstwerk ist ein Kommentar auf die tägliche Flut an Nachrichten, erklärt er:
"Als Künstler arbeite ich mit billigen und leicht verfügbaren Sachen. Eine der meist verfügbaren Sachen unserer Zeit ist Information. Informationen verbreiten sich schneller als Flugzeuge fliegen - und die Druckplatten sind der greifbare Aspekt von Information."
Ein Vergnügen fürs Auge
In den Grundfarben Blau, Gelb und Rot schimmern und biegen sich die Rechtecke mit Zeitungsartikeln, Falten und Ausstülpungen darauf in der Sonne. Wahrlich triumphal. So geht es drinnen auch weiter. Da sind - immer wieder bei Anatsui - riesige Wandobjekte wie "Rising Sea", bis unter die Decke des Museums. Sie muten wie Wandteppiche an, die ganz in Silber mal an einfarbige, abstrakte Gemälde erinnern, mal bunt-schillernd in Gold, Rot und Blau Assoziationen an Klimt und den Jugendstil wecken. Das Besondere: Die Objekte sind aus Metall, genauer gesagt aus den Schraubverschlüssen von Spirituosenflaschen, die der Künstler schneidet, rollt oder zerdrückt und dann mit Kupferdraht vernäht.
"Ich habe 1999 damit angefangen. Ich fand damals einen Beutel mit solchen Verschlüssen auf der Straße, nahm sie mit in mein Studio und entwickelte diese Idee daraus."
Ein Vergnügen fürs Auge ist das allemal. Die raumgreifende Installation "Logogli" ist wie ein Labyrinth aus den dadurch entstandenen gardinenartigen Gebilden zusammengesetzt. Allerdings sind die Objekte nicht rein dekorativ. Der ghanaische Künstler, der heute vorwiegend in Nigeria lebt und arbeitet, möchte damit auf die Vergangenheit seines Kontinents aufmerksam machen:
"Europäische und amerikanische Händler brachten die Flaschen her, als sie erstmals nach Afrika kamen, um damit zu handeln und den Alkohol gegen Güter und Rohstoffe einzutauschen - und sogar gegen Sklaven."
Auswirkungen der Kolonialisierung
Bezüge zum Kolonialismus, zur Ausbeutung und Fremdbestimmung seiner Heimat, stellt El Anatsui in all seinen Werken her, das macht die Überblicksschau mit Arbeiten aus den vergangenen 50 Jahren sehr deutlich. Für frühere Ton- und Holz-Arbeiten wie "Erosion" benutzte der Künstler eine Kettensäge und verbrannte Teile der Oberfläche mit einem Gasbrenner. Kurator Chika Okeke-Agulu sieht darin etwas Metaphorisches:
"Diese Brutalität, diese Gewalttätigkeit der Kettensäge steht bei ihm für den Einfluss der Kolonialisierung auf die afrikanische Gesellschaft. Denn der Versuch, in Afrika eine westliche Ökonomie zu etablieren, hat viele afrikanische Traditionen zerstört."
Der ghanaische Künstler El Anatsui vor dem Haus der Kunst in München
Der ghanaische Künstler El Anatsui vor dem Haus der Kunst in München (picture alliance/Sina Schuldt/dpa)
Inhaltliche Kritik gepaart mit überwältigender Form und Schönheit, oft im XXL-Format. Roh und ursprünglich und gleichzeitig verspielt und zerbrechlich. Alles scheint in Bewegung zu sein. Und so arbeitet El Anatsui auch - mit zahlreichen Helfern, im Austausch mit Studenten, Bauern und Handwerkern:
"Er hat allein dreißig reguläre Studioassistenten, bei großen Projekten über hundert Helfer, normale Leute aus der Gemeinschaft, die mitmachen und manchmal sogar zu Hause Teile fertig stellen."
So zeigt das Museum mal wieder eine Kunst- und Gesellschafts-Perspektive jenseits der europäischen und der hier gängigen ästhetischen Strömungen und stellt dabei die historischen Bezüge und Dimensionen her, ohne zu exotisieren oder allzu moralisch zu sein. Manches dürfte dem hiesigen Publikum neu und fremd vorkommen. Das ist gut so. Alles in allem: eine - auch in der Größe - sehr würdige Abschlussausstellung des langjährigen Direktors Okwui Enwezor. Bei allen Problemen, die das Haus gerade hat, sollte es den Ruf, den Enwezor international etabliert hat, nicht auch noch verlieren und die Nachfolge-Suche der Findungskommission entsprechend ausgerichtet sein. Einige Entwicklungen der vergangenen Wochen deuten allerdings leider eher in eine andere Richtung.