Sandra Schulz: Heute in einer Woche ist der 30. Juni. Wenn bis dahin keine Einigung zwischen Griechenland und den Geldgebern steht, dann läuft das EU-Hilfsprogramm für Griechenland aus. Wie gesagt: Greifbare Ergebnisse hatte auch der gestrige Sondergipfel der Eurogruppe nicht. Aber vor dem regulären EU-Gipfel Ende der Woche gab es jetzt neue Bewegung, denn auf das jüngste Papier aus Griechenland haben die Geldgeber zumindest verhalten positiv reagiert.
Am Telefon begrüße ich den Ökonomen Jens Bastian. Er ist freier Wirtschaftsberater bei ELIAMEP, der hellenischen Stiftung für Europa- und Außenpolitik, lebt seit langer Zeit in Athen und war bis zum letzten Jahr Mitglied der EU-Task-Force zu Griechenland. Guten Tag, Herr Bastian.
Jens Bastian: Guten Tag, Frau Schulz.
Schulz: Wenn die EU Sie heute um Rat fragen würde, wie würde der aussehen?
Bastian: Möglichst schnell zu einer Vereinbarung zu kommen. In Ihrem Vorbericht wurde richtigerweise darauf hingewiesen: Es bleibt wenig Zeit. Griechenland hat noch weniger Geld zur Verfügung und wir haben nicht mehr viele Optionen bis zum 30. Juni. Deswegen hinter verschlossenen Türen möglichst schnell eine Vereinbarung herbeiführen.
Schulz: Aber Ihr Rat ist, verstehe ich Sie da richtig, im Großen und Ganzen so weitermachen wie bisher, dann auch mit einem dritten Hilfspaket?
Bastian: Das nicht unbedingt gelingt, ob es ein drittes Hilfspaket bedarf. Zunächst einmal: Wir müssen jetzt hier diese Schwierigkeit lösen, dass ein Staat in der Eurozone insolvent werden könnte, wenn er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Da ist am 30. Juni ein Zeitlimit vorhanden. Da ist höchste Eisenbahn von allen Seiten. Bewegung gibt es, jetzt muss das in eine Vereinbarung, die allerdings keine Lösung darstellen wird, gebracht werden. Und dann, wie Sie sagen: Es gibt einen demokratischen Prozess. Da müssen Parlamente auch gefragt werden und entscheiden können.
Schulz: Es geht im Kern ja darum, nach wie vor die griechische Wirtschaft auf die Füße zu bringen. Aber ist das Ziel nicht ohnehin in unerreichbar weite Ferne gerückt? Jetzt im Moment wird ein Unternehmer doch alles Mögliche tun, aber sicherlich nicht in Griechenland investieren, oder?
Bastian: Zunächst mal sind es die Griechen ja selber, die nicht investieren, die immer wieder vor dem Hintergrund, bleibt das Land im Euro oder nicht, natürlich solche Sorgen haben, ob sie Bankkunde sind, Sparer oder auch Investor. Und natürlich braucht Griechenland auch ausländische Investoren, und die werden dies jetzt gerade nicht tun. Deswegen: Je schneller wir eine Vereinbarung haben, wie tragfähig die ist, wie verlässlich auch die griechische Seite sich dann in der Umsetzung verhalten wird, das sind die Anschlussfragen. Die Herausforderungen bleiben uns erhalten.
"Die Eurozone ist eine Solidargemeinschaft"
Schulz: Und da habe ich nicht verstanden, warum Sie vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Wochen und Monate dafür plädieren, Griechenland weiter zu unterstützen.
Bastian: Weil wir uns auch darüber im Klaren sein müssen, dass die Eurozone eine Solidargemeinschaft ist, die auf Beiderseitigkeit beruht, und weil es hier neben der Fokussierung auf finanzpolitische Themen auch zum Beispiel regionalpolitische, geopolitische Aspekte gibt. Griechenland ist Mitglied der NATO. Wir haben kein Interesse daran, an der Südostflanke Europas ein Land zu haben, das möglicherweise in Zukunft Schwierigkeiten hat, was die Stabilität des Bankensektors angeht, was die Sicherung seiner Außengrenzen betrifft.
Schulz: Jetzt gilt die größte Sorge im Moment der Liquidität der Banken, weil viele Menschen in Griechenland in den letzten Monaten, beschleunigt wohl auch noch mal in den letzten Tagen, ihre Konten leerräumen. Wie bedrohlich ist die Lage dadurch?
Bastian: Diese Lage ist sehr bedrohlich. Die Menschen, Bürger und Bürgerinnen, auch Unternehmen, sie haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten im Grunde genommen nicht nur wie Wähler, sondern wie Bankkunden und Sparer verhalten, und sie haben dadurch ein Misstrauensvotum zum Ausdruck gebracht gegen diese Regierung. Sie möchten im Euro bleiben, aber sie möchten vor allen Dingen diese Unsicherheit weg haben, dass sie nun sich auch anderen Themen und Herausforderungen zuwenden können. In diesem Sinne noch einmal: Wir brauchen diese Vereinbarung und dann muss diese Gesellschaft, schwierig wie es wird, schrittweise nach vorne gehen.
Schulz: Ist denn eigentlich klar, was die Menschen mit dem abgehobenen Geld machen? Wird das wirklich, so wie jetzt immer gesagt, unters Kopfkissen gelegt?
Bastian: In der Tat. Das Geld wird nicht ausgegeben. Ins Ausland transferieren ist auch technologisch etwas schwieriger geworden. Die Kontrollen sind besser geworden. Durch das Abheben bringen die Menschen eigentlich neben dem Misstrauensvotum auch zum Ausdruck, wenn es eine Regelung gibt, bringe ich es auch wieder zurück auf meine Bank.
Schulz: Die EZB hat jetzt den Rahmen für die Notkredite in den letzten Tagen mehrfach erhöht. Kann sie das eigentlich ohne Limit machen, sozusagen bis zu einem offenen Ende?
Bastian: Nein, denn Notkredite - das legt ja schon das Wort nahe - sollten eigentlich nur im Ausnahmefall für eine begrenzte Zeit zur Verfügung gestellt werden. Das ist jetzt allerdings schon seit sechs Monaten der Fall, und die EZB, nicht nur innerhalb ihres eigenen Aufsichtsrats, sondern auch politisch, gerät unter Druck: Wie lang kann sie das noch machen, ohne dass es eine Vereinbarung gibt. Ich rechne damit, die EZB möchte nicht den schwarzen Peter in der Hand halten. Sie möchte nicht den Stecker ziehen. Aber sie macht alle Beteiligten darauf aufmerksam, es gibt auch Grenzen, was die Zurverfügungstellung von Liquidität an griechische Banken angeht.
Schulz: Was passiert, wenn die EZB dieses Spiel oder diesen Mechanismus nicht weitermacht? Ist dann die Staatspleite da?
Bastian: Nicht sofort die Staatspleite, sondern hier handelt es sich ja um Notfallkredite für griechische Banken. Das heißt, wir hätten zunächst einmal einen Zusammenbruch der griechischen Banken, und das hätte möglicherweise auch Konsequenzen für den griechischen Staat, was seine Insolvenz angeht. Soweit möchte ich allerdings jetzt noch nicht gehen. Wir müssen uns vordringlich auf diese Vereinbarung konzentrieren, damit die EZB bereit ist, unter bestimmten Voraussetzungen in einem begrenzten Zeitfenster weiterhin Liquidität zur Verfügung zu stellen. Das kann allerdings keine dauerhafte Regelung sein.
"Die Stimmung ist umgeschlagen"
Schulz: In den letzten Tagen waren Kapitalverkehrskontrollen auch schon im Gespräch, also die Frage, diese Beweglichkeit auf den Konten einzuschränken. Müsste das nicht schon längst da sein? Werden jetzt dadurch, dass das immer noch geht, nicht eigentlich die bestraft, die ihr Geld noch auf dem Konto lassen?
Bastian: Ob es diese Kapitalverkehrskontrollen geben sollte und wann, ist immer wieder auch schwierig zu entscheiden, denn damit senden Sie natürlich auch ein Signal aus, wie schwierig diese Situation geworden ist. Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen: Wir hatten das auf Zypern. Das ist allerdings ein wesentlich kleineres Land, eine Insel. Griechenland hat viele Außengrenzen und durch die Kapitalabzüge der vergangenen Monate gibt es so viel Kapital eigentlich nicht mehr zu kontrollieren.
Schulz: Sie sind in Athen. Sie leben seit langer Zeit in Athen. Wie nehmen Sie denn die Stimmung dort jetzt wahr?
Bastian: Die Stimmung ist in den vergangenen Wochen eher umgeschlagen. Aus einer Hoffnung und Aufbruchsstimmung, die viele Wählerinnen und Wähler mit dem Regierungswechsel verbunden haben, das ist nicht mehr existent. Die Sorgen sind gewachsen. Das zeigt sich an den Abhebungen von Bankeinlagen. Die Menschen möchten einfach auch ein Ende dieses Dramas haben und dass es nicht in einer Tragödie endet.
Schulz: Das zeichnet sich aber ja nach wie vor nicht ab. Diese Verhandlungen, die gescheiterten Gipfel, das zieht sich jetzt schon durch die letzten Wochen. Ist das noch Politik oder ist das schon eine Inszenierung?
Bastian: Es ist eigentlich beides auf allen Seiten. Natürlich gibt es politische Themen, die sind komplex, die haben auch große politische Risiken beinhaltet. Aber natürlich ist auch viel Schattenboxen, viel Inszenierung vorhanden. Eigentlich sollten alle Parteien, wenn es dann zu einer Vereinbarung kommt, sich mal zurücknehmen, weniger Interviews geben, verbal abrüsten, denn im Grunde genommen wissen auch alle Beteiligten, sie werden demnächst wieder miteinander zu tun haben.
Schulz: Zum Glück haben sie uns das Interview heute Mittag aber noch zugesagt. - Der Ökonom Jens Bastian in Athen heute Mittag hier im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag". Haben Sie ganz herzlichen Dank.
Bastian: Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Schulz.
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