Nachts wird die Kolokotroni-Straße im Zentrum Athens zur Soundlandschaft. Verkehr und Stimmengewirr mischen sich mit Musik und Beats. Clubs und Bars so weit das Auge reicht. Partystimmung. Keine Krisenstille, sondern reges Treiben beherrscht das Stadtbild.
Mittendrin befindet sich die Booze Cooperativa, ein alternatives, selbstverwaltetes Kulturzentrum, das ein wenig an das Berliner Tacheles der 90er-Jahre erinnert. Hier trifft der Hipster auf den Althippie, während Bildungsbürger und Punks über Performancekunst diskutieren. Unten in der Bar legt ein DJ auf. Die feierwütigen Untervierziger der Stadt tanzen und trinken Bier, während im ersten Stock ein Festival für elektronische Musik stattfindet: die "Electric Nights". Hier ginge es nicht um Party, erklärt Festival-Organisator Alexandros Drymonitis:
"Elektronische Musik hat viele Gesichter. Meistens denken die Leute an Techno, House oder Trance. Auf unserem Festival geht es aber um neue Formen, um Klang und um Experimente."
Große Namen der Szene
Drymonitis ist einer von 21 Mitgliedern des Medea Electronique, einem Athener Künstlerkollektiv von Regisseuren, Kuratoren, Videokünstlern und Performern. Sie verbindet die Leidenschaft für zeitgenössische Medienkunst. Sich selbst bezeichnet der studierte Musiker als Klangkünstler. Auf seinem diesjährigen Line-up stehen große Namen der Szene wie Annabelle Playe aus Paris mit ihren elektroakustischen Soundscapes oder der Grieche Dead Gum.
Dead Gum kreiert psychedelische Kollagen aus Stimme und Gitarre, flirtet dabei mit Punk und anti-konsumistischem Bedroom-Pop. Mit Sonnenbrille steht er auf der Bühne, schwingt seine E-Gitarre und sieht dabei ein wenig aus wie die südländische Version von Radiohead-Gitarrist Ed O'Brien. Auch konnte Drymonitis die Sängerin Savina Yannatou für das Festival gewinnen. Sie ist eine der bekanntesten und vielseitigsten Musikerinnen des Landes. Ihr Repertoire reicht von traditionellen griechischen Liedern über moderne Musik bis hin zur experimentellen Klangperformance.
An diesem Abend tritt sie mit zwei weiteren Größen der griechischen Musikszene auf, Jannis Anastasakis und Harris Lambrakis. Alle drei sind bekannt für genreübergreifende Experimente. Ihnen geht es um die Freiheit des Ausdrucks. Wenn wir zusammen Klang erzeugen, ist die Grenze zwischen Musik und Realität fließend, sagt Savina Yannatou.
"Ich liebe das Spiel mit dem Klang", sagt Savina Yannatou. "Dann ist es egal, ob dieser elektronisch erzeugt wurde oder nicht. Mich reizt diese Verbindung von Straßenlärm, Menschen, die reden, oder Türen, die zuknallen. Die elektronische Musik macht diese Experimente mit Klang möglich. Sie gibt mir die Möglichkeit, mich mit diesen Details auseinanderzusetzen."
Bewusst verzichtet sie in ihrer Performance auf Text. Zwar ist die Sprache wichtig im Alltag, sagt sie, auf der Suche nach künstlerischem Ausdruck aber ist sie hinderlich. Die Macht der Musik scheint das Festivalpublikum Jahr für Jahr wachsen zu lassen. Alexandros Drymonitis bietet ihnen akustische Realitäten, die das wirtschaftliche Chaos seines Landes für einen Moment zur Nebensache werden lassen.
"Die Kunstszene in Athen hat sich verändert"
"Elektronische Musik ist ein Prozess und entwickelt dabei immer einen individuellen Charakter", sagt Alexandros Drymonitis. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch der Ort, die Situation und das Publikum selbst. Alles zusammen erzeugt - vereinfacht ausgedrückt - eine Art Trip."
Dabei geht es nicht um Realitätsflucht, versichert er, sondern darum, andere Perspektiven zu erschaffen. Es sind diese Facetten der elektronischen Musik, die gerade junge Athener zu Veranstaltungen wie den "Electric Nights" locken. Hier finden sie einen Moment der Ruhe von den Absurditäten des Krisenalltags. Die Booze Cooperativa sei dabei ein immer wichtiger werdender Zufluchtsort für die Kreativen der Stadt, erklärt Artemis Livadarou, eine der Initiatorinnen.
"Die Kunstszene in Athen hat sich verändert in den letzten Jahren. Sie stößt dabei auf eine Öffentlichkeit, die Interesse hat. Es gibt hier diesen Durst nach Neuem. Wie lange sollen wir noch in Galerien sitzen, Wein trinken und uns Bilder von irgendeinem berühmten Maler anschauen? Wir konzentrieren uns hier auf Künstler, die etwas Neues zu sagen haben", so Artemis Livadarou.
Von der "Electric Night" dringt ein Signal in die athenische Nacht und nach ganz Europa: Lasst uns in Ruhe mit Rettungspaketen und Staatsbankrott! Wir haben unseren eigenen Weg aus der Krise gefunden.