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Elefantenrunden
Fernsehmomente der Wahrheit

Ein leeres Studio, ein angetrunkener Politiker: Die "Elefantenrunde" am Wahlabend lief nicht immer nach Plan. Als Moderator bereite man sich tagelang auf unterschiedlichste Varianten vor, berichtet Nikolaus Brender - aber mit dem Auftritt von Noch-Kanzler Schröder hatte er nicht gerechnet.

Von Annika Schneider |
    Die so genannte Elefantenrunde nach der Bundestagswahl am Sonntag (18.09.2005) im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin: (l-r) Edmund Stoiber (Ministerpräsident von Bayern/CSU), Guido Westerwelle (Parteivorsitzender/FDP), Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU), die Chefredakteure von ZDF und ARD, Nikolaus Brender, Hartmann von der Tann, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und Lothar Bisky (Parteivorsitzender/Die Linke.PDS).
    Einige Überraschungen bot die Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005, bei der Gerhard Schröder erklärte, Kanzler bleiben zu wollen - trotz verlorener Mehrheit (dpa/ZDF/Jürgen Detmers)
    Trielle, Wahlarenen, Vierkämpfe: Diverse Fernsehformate haben die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten 2021 in immer neuen Konstellationen ins Scheinwerferlicht gerückt. Früher gab es stattdessen schon vor der Wahl "Elefantenrunden" - stundenlange TV-Debatten mit allen Parteien.
    Nikolaus Brender, ehemaliger Chefredakteur des ZDF, denkt gerne daran zurück: "Die großen Diskussionsrunden ohne Zeitlimit, die sprachlichen und emotionalen Ringkämpfe um die bessere Idee und die bessere Person, die Lust am Streit, der Mut zum Vergleich taten der Luft einer demokratischen Gesellschaft gut." Was heute meist als Elefantenrunde gilt, nämlich die Debatte am Wahlabend selbst, sei bis in die 70er-Jahre eher eine Feier- und Dankesstunde für Wahlkampf- und Parteiteams gewesen.

    Kohl wollte keine TV-Debatte vor der Wahl

    Bei den Elefantenrunden vor der Wahl konnten sich die Wählerinnen und Wähler - drei Tage bevor sie ihre Stimmzettel in die Urne warfen - einen letzten Eindruck von den Kandidaten verschaffen. Eine Frau war nur ein einziges Mal dabei: Die Grünen-Vertreterin Jutta Ditfurth saß 1987 mit gelbem Anti-Atomkraft-Button in der Runde und stritt angriffslustig mit dem CSU-Politiker Franz Josef Strauß. Es war die letzte Ausgabe dieser Art: Das Format wurde eingestellt, als Kanzler Helmut Kohl sich vor der nächsten Wiederwahl der TV-Debatte in großer Runde verweigerte.
    Bundestagswahl 2021 - zum Dossier
    Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)
    Viele Jahre später führten die Sender diese Form der Elefantenrunde zwar wieder ein – auch dieses Jahr treffen drei Tage vor dem Wahltag noch einmal alle Spitzenkandidatinnen und -kandidaten aufeinander, übertragen von ZDF, ARD und Deutschlandradio. Die Bedeutung von einst hat das Format allerdings nicht mehr: Wer per Brief wählt, hat seine Entscheidung so kurz vor der Stimmabgabe meist schon getroffen. Gleichzeitig hat die Vielzahl von TV-Formaten der einst zentralen Diskussionsrunde den Rang abgelaufen.

    Die erste Elefantenrunde ging schief

    Heute gilt als Elefantenrunde das Zusammentreffen aller Parteien am Wahlabend selbst. Während es den Kandidatinnen und Kandidaten in den Wochen vor der Wahl immer wieder darum geht, die eigenen Programme gegen kritische Fragen zu verteidigen, ist die Debatte nach der Schließung der Wahllokale der erste Fernsehmoment der Wahrheit. Prognosen trudeln ein, erste Koalitionsmöglichkeiten zeichnen sich ab. Wer verloren oder gewonnen hat, muss nun Stellung beziehen, sich verteidigen, die Fassung bewahren.

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    Die allererste Elefantenrunde nach der Wahl 1965 hatte allerdings nur einen einzigen Teilnehmer: den Moderator Werner Höfer. Wie der Tagesspiegel vor Jahren berichtete, saß er zu nächtlicher Stunde alleine im Studio und erklärte kurz, wer wo hätte sitzen sollen – erschienen war allerdings niemand der Eingeladenen, obwohl der Wein samt Gläsern schon bereit stand.
    (l-r): Die Parteivorsitzenden Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU), Hans-Dietrich Genscher (FDP) und per Zuschaltung auf dem Bildschirm Franz Josef Strauß (CSU) diskutieren am 3. Oktober 1976 in Bonn die Wahl.
    Die Debatte am Wahlabend hieß lange "Bonner Runde", wie hier 1976, später dann "Berliner Runde (picture-alliance/dpa)
    Komödiantische Anklänge hatte auch die Elefantenrunde 1987, zu der der CSU-Kandidat Franz Josef Strauß eigentlich mittels eines mittig platzierten Fernsehbildschirms zugeschaltet werden sollte. Lange blieb der Bildschirm schwarz. Erst als die Sendezeit abgelaufen war, erschien Strauß im Bild, der allerdings gerade im Gespräch mit zwei Journalisten vor Ort war.

    Strauß und Schröder wetterten gegen die Moderatoren

    Es dauerte, bis Moderator Martin Schulze überhaupt durchdrang mit der Frage, ob Strauß dem nächsten Bundeskabinett angehören wolle. "Meine Güte, schminken Sie sich doch den Bart ab", wetterte Strauß daraufhin los. Der folgende Schlagabtausch der beiden sorgte für einiges Gelächter. Strauß sei angetrunken gewesen, war danach zu lesen – der Eindruck liegt angesichts der genuschelten und verworrenen Antworten nahe.

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    Ähnliches vermuteten viele, als Noch-Kanzler Gerhard Schröder 2005 in der Elefantenrunde auftrat - und dem Format seinen wohl legendärsten Moment verschaffte. "Mein Eindruck war, dass Gerhard Schröder keinen Alkohol getrunken hatte – das waren die Endorphine", sagt hingegen Nikolaus Brender, der den Auftritt damals gemeinsam mit ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann moderierte. Schröder verstieg sich zu der Aussage, niemand außer ihm sei in der Lage, eine stabile Regierung zu stellen. Angela Merkel, die nach der Wahl Kanzlerin wurde und es für die nächsten 16 Jahre bleiben sollte, hörte still lächelnd zu.
    Berliner Runde im ARD Hauptstadtstudio. Die CDU-Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel begruesst den AfD-Vorsitzenden Joerg Meuthen und Joachim Herrmann, CSU. Berlin 24.09.2017
    2017 nahm an der "Berliner Runde" am Wahlabend erstmals ein Vertreter der AfD teil (Imago/Thomas Imo/photothek)
    "Wir hatten eigentlich geplant, Merkel wegen ihres schlechten Wahlergebnisses anzugehen. Das hat uns Kanzler Gerhard Schröder aus der Hand genommen", erinnert sich Brender, der schon die Elefantenrunde 2002 geleitet hatte. Als Moderator müsse man seinen eigenen Eindrücken trauen und aus dem Bauch heraus reagieren. "Sich bei der Vorbereitung auf die Umfragen zu verlassen, ist kein guter Ratgeber. Ich bin mit meinem Team vorher zwei oder drei Tage lang die unterschiedlichsten Varianten durchgegangen."

    Hochaufgeladene Spannung im Studio

    Sekunden vor Sendestart stehe das Studio dann unter hochaufgeladener Spannung. Der Erkenntnisgewinn der Elefantenrunde sei vor allem ein persönlicher Eindruck, wie die Parteispitzen mit den Ergebnissen umgehen, sagt Brender: "Wie Kohl reagiert hat, als er abgewählt wurde, war großartig. Er war nicht verbittert und nicht gedemütigt."
    ILLUSTRATION - Auf einem Fernseher in einem Wohnzimmer ist "Das Triell" im Fernsehprogramm RTL zu sehen. Die Kanzlerkandidaten von Bündnis 90/Grüne, CDU und SPD, - Baerbock, Laschet, Scholz treffen in einer ersten TV Diskussion bei RTL und ntv aufeinander.
    Wahlkampf als politisches Pferderennen
    Sieger, Verlierer, Vorsprünge und Aufholjagden – die umfragengetriebene Berichterstattung in diesem Wahlkampf weckt bei manchen Beobachtern Assoziationen mit einem Pferderennen. Kommen die Inhalte dabei zu kurz?
    Auch dieses Jahr könnte die Elefantenrunde am Wahlabend spannend werden, vermutet der Journalist. Das Format, das längst zum Ritual geworden ist, gilt im Ausland als typisch deutsches Spektakel. Im Magazin "Politico" hieß es 2017 über die Wahlberichterstattung in Deutschland: "Am Wahlabend zeigen die Fernsehsender einen schwindelerregenden, improvisierten Mix aus Ansprachen, Interviews und Analysen. Aber wenn die Elefantenrunde beginnt, tritt eine Fokussierung ein."