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Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen

Im Frühjahr des Jahres 1996 begingen die Herausgeber des kulturwissenschaftlichen US-Periodikums"Social Text" einen folgenschweren Fehler: Sie druckten einen Essay des Physikers Alan Sokal mit dem Titel "Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer emanzipatorischen Wissenschaft". Der mit Zitaten nur so gespickte Text las sich wie eine etwas seltsame Eloge auf die Postmoderne - oder auf das, was Sokal sich darunter vorstellte. Er kritisierte darin die Objektivität der Naturwissenschaften und sah die starre Forschung vergangener Tage auf dem Weg zu mehr Nichtlinearität, Unschärfe, Mehrdimensionalität usw.

Mark Terkessidis |
    Nun hätte es schon gereicht, daß der Text weder geistreich noch wirklich interessant war, doch es kam viel schlimmer. Sokal entlarvte gleich nach Erscheinen des Heftes seinen eigenen Text als als Schwindel. Die meisten naturwissenschaftlichen Verweise in seinem Text waren schlichtweg falsch, und den Rest hatte er aus Versatzstücken von Autoren aus dem Umfeld von französischem Poststrukturalismus und amerikanischen Cultural Studies zusammengeklaubt.

    Sokal, der sich als traditioneller Linker verstand, sah seinen Text als eine Attacke auf jene von ihm als "postmodern" bezeichnete Theorie, welche Objektivität und Wahrheit nicht mehr anerkenne. Zudem, meinte er, würzten deren Vertreter zwar gerne ihre Arbeiten mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen - in den meisten Fallen jedoch hätten sie davon nicht die Spur einer Ahnung. Dabei waren die Opfer seines "Hoax" in jeder Beziehung gut gewählt: Die Social-Text-Herausgeber Stanley Aronowitz und Andrew Ross gelten in den USA als maßgebliche Protagonisten jener "postmodernen" Theorie, mit der Sokal abrechnen wollte.

    Nun hat Sokal sich mit seinem Kollegen Jean Bricmont zusammengetan und ein ganzes Buch über den Mißbrauch der Wissenschaften durch böse postmodeme Denker geschrieben. Neben dem "Hoax"-Text und einigen Erläuterungen versammelt "Eleganter Unsinn" auf 350 eng bedruckten Seiten fast nichts anderes als naturwissenschaftliche Stilblüten von Jacques Lacan, Julia Kristeva, Jean Baudrillard, Paul Virilio und anderen. Damit wollen die Autoren einen "eigenständigen Beitrag zur Kritik des zugegebenermaßen nebulösen Zeitgeistes" namens "Postmoderne" leisten. Aber genau mit dieser sogenannten "Postmoderne" fangen die Probleme bereits an. Denn wenn es um Lacan und Kristeva geht, so befassen sich die Autoren mit deren frühen, noch streng strukturalistischen Werken. Darüber hinaus müssen sie selbst zugeben, daß insbesondere Kristeva sich später von diesem Ansatz und damit ihrer eigenen Begeisterung für die Mathematik abgewandt hat. Sokal und Bricmont sehen dieses Problem durchaus, doch es stört sie nicht weiter. Nach ihrer Meinung kann man diese Denker alle unter"postmodern" zusammenfassen, weil sie "in der englischsprachigen postmodemen Diskussion eine zentrale Rolle spielen" und weil ihre Schriften bestimmte Kennzeichen teilen, als da wären: unverständlicher Jargon, Ablehnung von Rationalität -und Mißbrauch der Naturwissenschaften.

    Nach dieser Logik wäre dann auch Spinoza ein Postmoderner, weil er bei Deleuze eine Rolle spielt und der wiederum in der US-amerikanischen"postmodernen" Diskussion - was auch immer das wiederum sein mag.

    Während Sokal und Bricmont nun die "postmodemen" Werke oft unglaublich kleinlich nach Fehlern durchforsten und deren Autoren die Übernahme von naturwissenschaftlichem Vokabular ohne theoretische Rechtfertigung und Zuschaustellung von Halbbildung vorwerfen, zeigen sie auf der anderen Seite mit erschreckender Deutlichkeit, wie wenig sie selbst vom Stoff verstehen, den sie da kritisieren. So bemängeln sie ständig, daß die Strukturalisten die Mathematik ohne Begründung aufgreifen würden. Offenbar ist ihnen der Kontext der Theorie völlig unbekannt, denn sonst wäre ihnen klar, daß man damals hoffte, Strukturen formal ausdrücken zu können - und dafür bot sich die Mathematik als "formale Sprache" an. In diesem Sinne beschweren sie auch über Lacans Interesse an der mathematischen "Topologie", ohne zu wissen, daß bereits Freud seine Aufteilung von Ich, Es und Über-Ich als "psychische Topik" bezeichnet hatte. Der Nachweis kleinster naturwissenschaftlicher Ungenauigkeiten führt schließlich immer zu globalen Verurteilungen voller Ressentiments. Obwohl ihnen Freud offenbar unbekannt ist, bescheinigen sie etwa Lacan, er hätte eher eine "neue Religion" kreiert. Und wenn es gar nicht weiter geht, rutschen sie ab ins totale Ressentiment. Beispielsweise gelingt es ihnen an keine Stelle, Luce Irigarays feministischen Vorwurf zu entkräften, die Physik habe sich immer mehr mit dem Festen und Mechanischen - das eben mit dem Männlichen identifiziert wurde - befaßt als mit dem Flüssigen. Die Autoren bestreiten nun aber schon, daß das Flüssige Oberhaupt mit Frauen identifiziert wird - Begründung: "lrigaray wurde in Belgien geboren: Kennt sie nicht das Wahrzeichen von Brüssel?" Im Großen und Ganzen ist "Eleganter Unsinn" aber vor allen Dingen ein unendlich ödes Buch. Es besteht aus seitenlangen Zitaten ohne jeden Kontext und im besten Fall schlaumeierischen Kommentaren. Der Autoren schlimmster Feind ist ein paranoid überall vermuteter "Relativismus" und dagegen halten sie einen pragmatischen Glauben an die Objektivität hoch. Dabei weiß man nie, ob das nun für die Natur- oder Sozialwissenschaften gelten soll. Denn auf der anderen Seite kritisieren sie ja gerade - und damit haben sie tatsächlich recht - die Übernahme naturwissenschaftlicher Konzepte in die Sozialwissenschaften. Doch für letztere ist nun mal Objektivität - und das wurde oft genug begründet - als Kriterium problematisch. An keiner Stelle verstehen Sokal und Bricmont, wann es gerade für Minderheiten unbedingt notwendig war und ist, Rationalität und Objektivität zu kritisieren.

    Nichts spricht gegen eine Kritik an den von Sokal und Bricmont gewählten Autoren, doch was hier vorgelegt wird, ist Bestandteil eines neuen "altlinken" Backslashs in den Vereinigten Staaten. Ebenso wie Richard Rorty, Todd Gitlin oder Paul Bennan fordern weiße Männer in ihren Fünfzigem dazu auf, sich endlich wieder mit den ""objektiven" Problemen wie Ökonomie zu befassen. Aber irgendwie möchte man dabei vor allem wieder selbst im Mittelpunkt stehen: Das ganze "postmoderne" Theater um Frauen, Schwule oder ethnische Minderheiten hat man ohnehin nie wirklich verstanden.