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Elektromobilität
"Der Kunde will nicht"

Benzinmotoren werden einer Studie zufolge auch im Jahr 2030 noch in der Mehrheit sein. "Solange die Ölpreise sinken, hat Elektromobilität keine Chance", sagte der frühere Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker, im DLF. Angesichts von einer Milliarde Fahrzeuge auf der Welt dauere allein die Umrüstung drei Jahrzehnte.

Helmut Becker im Gespräch mit Dirk Müller |
    Ein Autofahrer steckt einen Ladestecker einer E-Mobilität-Zapfsäule in ein batteriebetriebenes Fahrzeug.
    "Solange die Ölpreise sinken, hat Elektromobilität keine Chance", sagte der frühere Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker, im DLF. (dpa / Friso Gentsch)
    "An dem Elektroantrieb führt kein Weg vorbei", sagte Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation im Deutschlandfunk. Ob die Elektrizität für Autos aber aus der Batterie sich auf dem Markt durchsetze, sei nicht gesagt. Eine Batterie, die Energie für 100 oder 150 Kilometer speichere und 10.000 Euro koste, sei schlichtweg nicht marktgerecht. Es gebe auch Alternativen, etwa Elektrizität aus einer Brennstoffzelle, Wasserstoff oder umgewandeltem Gas.
    Das Elektroauto habe seinen Durchbruch am Markt noch vor sich - der sei momentan nicht absehbar, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. Das Ziel, die Zahl der Elektrofahrzeuge in Deutschland bis 2020 auf eine Million Autos zu erhöhen, sei nicht erreichbar. "Der Kunde will nicht", sagte Becker. "Für die, die auf der Straße nachts parken, für die ist das keine Option."
    Laut der Shell-Studie über die Fahrzeugnutzen im Jahr 2040 fahren 95 Prozent immer noch mit einem Verbrennungsmotor, der Diesel oder Benzin benötigt. Das liege zum einen daran, dass die aktuellen Elektroautos "zu teuer, nicht marktkonform und einfach nicht kundengerecht" seien, sagte Becker. Zum anderen sei die Masse an Fahrzeuge das viel größere Problem: Derzeit gebe es etwa eine Milliarde Fahrzeuge auf der Welt, in den nächsten 10 bis 15 Jahren werde sich die Zahl auf etwa zwei Milliarden verdoppeln. "Wenn wir die bestehende Flotte elektrifizieren würden, würde das bedeuten, dass wir allein schon, bis alles ersetzt ist, 20 bis 30 Jahre brauchen."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Ein früherer Top-Manager aus der Automobilindustrie hat einmal gesagt: "Wenn wir wirklich innovativ wären, würde ein Auto maximal tausend Dollar kosten, keine Unfälle mehr zulassen und auch nicht die Umwelt verschmutzen." So ist es aber nicht. Also erfreuen wir uns an Einparkhilfen, an Halterungen für Trinkbecher oder auch an Heckklappen, die auf Knopfdruck auf- und zugehen. Wann kommt der Durchbruch zum Automobil der Zukunft?
    Machen Sie sich nicht allzu große Hoffnungen: Auch in den kommenden 25 Jahren passiert wohl nicht allzu viel. Denn auch in einem Viertel Jahrhundert werden unsere Benzinmotoren immer noch in der Mehrheit sein. Dies das Ergebnis jedenfalls einer gemeinsamen Studie von Shell und des Forschungsunternehmens Prognos - unser Thema jetzt mit Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, viele Jahre lang Chefökonom von BMW. Guten Morgen nach München!
    Helmut Becker: Guten Morgen!
    Müller: Herr Becker, bleiben Elektroautos Science Fiction?
    Becker: Nein. Science Fiction bleiben sie nicht. Wir haben ja schon welche und die laufen auch, allerdings nicht weit genug, nicht lang genug und sind zu teuer. Das ist das Problem, mit dem wir zu kämpfen haben, und da werden wir noch viele Jahre mit zu kämpfen haben.
    Müller: Will BMW beispielsweise - da kennen Sie sich besonders gut aus - Elektroautos?
    Becker: Ja natürlich! BMW hat ja nun mit seiner Karbonkarosse, dem i3 und dem i8 den Versuch gestartet, gewisse Nachteile zu kompensieren, die heutige Elektroautos haben, nämlich das Gewicht zu erleichtern und damit die Reichweite zu vergrößern. Aber das wird nicht ausreichen.
    Müller: Ich verstehe das trotzdem nicht, wie viele andere auch. Warum kann man zum Mond fliegen und bald zum Mars, aber kein Elektroauto auf den Weg bringen?
    Becker: Weil die Gesetze der Physik leider Gottes auf der Erde schwieriger zu handeln sind möglicherweise als in der Raumfahrt. Das heißt, wir haben das Problem der Energiespeicherung und das Problem der Batterie. Damit steht und fällt die gesamte Elektromobilität. Und wenn Sie eine Batterie haben, in der Sie nur Energie speichern können für 100 oder 150 Kilometer, und diese Batterie kostet 10.000 Euro, dann ist das einfach nicht marktgerecht. Der Markt ist nicht bereit, dafür Geld auszugeben.
    Müller: Aber es soll ja besser werden in Zukunft. Das erinnert mich ein bisschen so ans Handy, was man jeden Tag inzwischen aufladen muss. Früher hielt das ja fünf Tage.
    Becker: Richtig. Erstens das und zweitens wog das Handy früher ein Kilo und war so groß wie ein Backstein. Da ist natürlich technischer Fortschritt drin und der wird auch kommen. Elektromobilität für sich genommen: An dem Elektroantrieb führt kein Weg vorbei. Punkt eins.
    Punkt zwei: Es ist aber nicht gesagt, dass diese Elektrizität dann aus der Batterie kommen muss, so der Weg, den wir heute haben und den verschiedene spektakuläre amerikanische Autohersteller jetzt gehen. Aber das kann durchaus sein, dass die Elektrizität aus der Brennstoffzelle kommt, oder dass wir wie gesagt mit Wasserstoff fahren oder mit Gas fahren, das umgewandelt wird und so weiter. Das ist nicht entschieden. Dass aber die Elektrizität irgendwann die Hauptantriebsquelle sein wird, das ist mit Sicherheit so. Nur bis dahin dauert es noch viele Jahre, und diese Studie hat das jetzt noch mal nachgewiesen - eigentlich eine Erkenntnis, die trivial ist und die schon längst bekannt ist.
    "Zu teuer, nicht marktkonform und nicht kundengerecht"
    Müller: Für viele ist das sicherlich überraschend gewesen, für uns hier auch. Deswegen reden wir mit Ihnen. Sie müssen uns das noch mal erklären. Vielleicht noch mal zwei Zahlen - wir wollen nicht zu viele Zahlen bringen, aber etwas zur Einordnung. Wir haben gesagt, 2040, also in gut 25 Jahren, sagt die Studie, 95 Prozent immer noch mit Verbrennungsmotor, 95 Prozent, zwölf Millionen davon vielleicht mit Hybridantrieb. Und im Moment ist der alternative Anteil von Antrieben bei 1,6 Prozent. Ist das beschämend?
    Becker: Nein, das ist nicht beschämend, sondern das ist die Folge der Nachteile, die ich Ihnen eben aufgeführt habe: zu teuer, nicht marktkonform und einfach nicht kundengerecht, das was der Autofahrer an Mobilität sichergestellt haben will. Aber zu den Zahlen: Schauen Sie, wir haben heute eine Milliarde Fahrzeuge auf der Welt fahren - eine Milliarde -, und bis zum Jahre 2025, 25, 30 werden wir, na ja, zwei Milliarden haben, wenn die Mobilität und die Motorisierung in China so weitergeht. Produziert werden jährlich nur 70 Millionen Fahrzeuge, 70 bis 80 Millionen. Das heißt, allein der Umstand, wenn wir diese bestehende Flotte elektrifizieren würden, würde das bedeuten, dass wir allein schon, bis alles ersetzt ist, 20 bis 30 Jahre brauchen würden, um die gesamte Flotte zu elektrifizieren. Das sind die Dimensionen, mit denen wir es zu tun haben, und infolgedessen ist das Ergebnis, dass wir auch 2040 immer noch überwiegend und zu 95 Prozent mit einem Verbrennungsmotor unterwegs sein werden, wenn, dann allerdings mit einem Hybrid, mit einem Hybridfahrzeug. Das ist nicht erstaunlich.
    Müller: Zwölf Millionen davon in Deutschland? Das sind die Zahlen jetzt für Deutschland natürlich.
    Becker: Ja, in Deutschland zwölf Millionen. Wir sollten bis zum Jahre 2020 eine Million auf den Straßen haben. Das schaffen wir auch nicht. Selbst das schaffen wir nicht, weil wir einfach nicht in der Lage sind, diese Dinge zu produzieren. Und noch nicht mal: Es ist keine Sache der Produktion, um das klar zu machen, sondern es ist eine Sache der Nachfrage. Der Kunde will nicht!
    Müller: Das ist der nächste Punkt. Ist der gesellschaftliche Wille da? Ist die Bereitschaft da zu sagen, ein bisschen mehr dafür auszugeben, wenn es etwas preiswerter werden sollte. Im Moment können sich das ja eigentlich nur Talkshow-Master aus dem Fernsehen leisten.
    Becker: Oder Leute mit einer eigenen Garage, mit einer Zufahrt und mit einer Wallbox, einer Steckdose, wo man Elektroautos aufladen kann. Aber nicht Leute aus dem 6. Stock, also völlig illusorisch, um es mal auf den Punkt zu bringen. Nein, es ist eine Sache: Ich bin Marktwirtschaftler von Hause aus. Es ist eine Sache des Marktes zu entscheiden, ob die Sache sinnvoll ist, ja oder nein. Das heißt, der Kunde, der Autofahrer entscheidet über seinen Geldbeutel, ob er ein Elektrofahrzeug haben will oder nicht. Das was hier bis heute angeboten wird und was auch in Zukunft in diese Richtung laufen wird, das ist eine Sache vielleicht für zehn Prozent von Pionierkunden mit einer großen Geldbörse, die sich das leisten können aus vielerlei Gründen, auch als Dritt- oder Viertwagen ein Elektroauto in der Garage zu haben oder in der Einfahrt stehen zu haben, aber nicht für den Massenmarkt. Diejenigen, die hier alle auf der Straße nachts parken, wenn Sie durch die Straßen gehen, für die ist das keine Option.
    Müller: Aber die meisten Bekannten, die ich jetzt zum Beispiel kenne, die fahren fünf, zehn, 15 Kilometer in der Stadt herum, zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen und so weiter. Für die wäre es doch eine Alternative, jetzt da schon einzusteigen.
    "Wer die Nase vorn hat, ist offen"
    Becker: In der Tat! Für die ist es eine Alternative, da mit einzusteigen. Allerdings, wie gesagt, Sie müssen die technischen Voraussetzungen haben, dass Sie das Ding auch betreiben können, elektrisch laden können, und Sie müssen sich auch tatsächlich auf die 15 Kilometer beschränken.
    Seit 125 Jahren gibt es Automobile. Wir haben alles daran gesetzt und der Mensch hat alles daran gesetzt, frei zu sein und in der Mobilität sich keine Begrenzungen aufzuerlegen. Alles dieses haben wir 125 Jahre lang gemacht. Und jetzt kommt so ein Auto und wir sollen uns da reinsetzen und uns selber zwingen, nach 15 Kilometern Schluss zu machen.
    Müller: Herr Becker, wir sind ja werbefrei. Dennoch dürfen Sie eine Prognose wagen. Welcher Konzern, welcher Hersteller wird der erste sein, der den Durchbruch bringt?
    Becker: Ist nicht zu sagen, ist eigentlich völlig offen, muss ich sagen, weil man arbeitet an vielerlei Technologie. Noch mal: Elektrizität wird sein, aber nicht die Elektrizität, die wir heute hier über die Batterie in das Auto einspeisen, sondern eine andere Form von elektrischem Antrieb. Wer da die Nase vorn hat, ist offen, und solange die Ölpreise sinken - das ist ein ganz wichtiger Faktor; noch mal: ich bin Marktwirtschaftler -, solange die Ölpreise sinken, hat Elektromobilität hier in diesem Land und auch weltweit keine Chance.
    Müller: Helmut Becker bei uns im Deutschlandfunk, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach München.
    Becker: Bitte sehr. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.