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Elektronen beim Fliegen beobachten

Physik. - Seit einiger Zeit können Wissenschaftler so kurze Lichtblitze erzeugen, die sogar Elektronen im Flug erwischen. Die Impulse dauern nur noch Attosekunden, den trillionsten Teil einer Sekunde. Warum Forscher in derart kurze Zeiträume vorstoßen wollen, das war heute Thema auf einer Physiker-Tagung in Freiburg.

Von Hellmuth Nordwig |
    Schon eine Femtosekunde ist unvorstellbar kurz. Eine Billiardstel Sekunde oder der millionste Teil einer Milliardstel Sekunde.

    "Licht fliegt in einer Sekunde achtmal um die Welt ungefähr. In dieser kurzen Zeit kann es also nur einen Haardurchmesser oder so was fliegen","

    sagt Joachim Ullrich, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und Spezialist für die Welt der Femtosekunden,

    ""und jetzt kann man versuchen, mit diesen Lichtblitzen zeitaufgelöst Dinge in der Natur zu beobachten, die so schnell ablaufen in der Natur. Und das sind zum Beispiel schnelle Schwingungen in Molekülen."

    Man stelle sich vor: Ein Höchstgeschwindigkeitsvideo mit einer Billiarde Bildern pro Sekunde zeigt genau, wie sich die Kerne von Atomen und Molekülen bewegen. Die Lichtblitze erzeugt ein so genannter Femtosekunden-Laser. Die Heidelberger Wissenschaftler richten sie auf Moleküle. Ulrich:

    "Und das Ziel dahinter ist natürlich bei dieser Femtosekunden-Physik, chemische Reaktionen auch zu kontrollieren."

    Joachim Ullrich will den Molekülen also nicht nur zuschauen, sondern sie in eine bestimmte Richtung schieben, damit sie sich ganz gezielt mit anderen Teilchen verbinden. Eine Art chemisches Lego wäre das, bei dem die Bausteine durch Lichtblitze an die richtige Stelle geschubst werden. Der Vorteil: Man baut genau das zusammen, was man braucht - Nebenprodukte müssen nicht entsorgt werden, eben weil gar keine entstehen. So einen Chemie-Baukasten im wahren Wortsinn hat bisher niemand zur Hand. Schon das Beobachten der Atomkerne ist technisch noch extrem schwierig. Trotzdem denken die Wissenschaftler bereits an den nächsten Schritt: Sie erzeugen Lichtblitze, die noch kürzer sind als eine Femtosekunde. Ulrich:

    "Attosekunden – also Atto ist die nächste Bezeichnung unterhalb der Femtosekunde. Eine Attosekunde ist ein Tausendstel einer Femtosekunde. Da ist man bei weitem nicht. Man ist jetzt bei 100 Attosekunden oder einer Zehntel Femtosekunde. Trotzdem nennt man das Attosekunden-Physik, weil es auch eine andere Technologie ist."

    Sie nutzt aus, dass Licht – genau wie akustische Wellen – Obertöne hat. Und die schwingen eben noch einmal deutlich schneller als der Grundton beziehungsweise die Grundfarbe. Mit Laserpulsen im Abstand von 100 Attosekunden können die Forscher nun Vorgängen zusehen, die noch rascher ablaufen als die Bewegung der Atomkerne. Nämlich den Elektronen, die um den Atomkern kreisen wie die Planeten um die Sonne. Joachim Ullrich:

    "Ein Elektron im Wasserstoffatom bewegt sich in etwa 150 Attosekunden einmal um den Kern herum. Und wenn ich dieses Elektron, das auf einer bestimmten Bahn fliegt, sagen wir der Erdbahn, anhebe weiter nach draußen, dann wird die Umlaufzeit länger, genau wie im Planetensystem. Und dann hat man die Möglichkeit, direkt die Elektronenbewegung abzutasten in einem Atom."

    Die Forscher wollen also die Vorgänge im Inneren von Atomen noch genauer abtasten und letztlich auch die Elektronenbewegung beeinflussen. Die Frage nach Anwendungen ist noch verfrüht, meint Joachim Ullrich. Aber er erlaubt sich eine Vision. Denn die Elektronen sind so etwas wie der Kitt, der die Atomkerne zusammenfügt. Die Attosekunden-Physiker träumen davon, die Kraft dieses Klebers im molekularen Lego auch noch zu beeinflussen. Ulrich:

    "Man kann denken, dass man am Schluss chemische Fabriken hat, die voll kontrolliert ablaufen. Wo ich ganze Wände habe, die mikrostrukturiert sind, wo auf Nanokanälen die entsprechenden Elemente zusammenlaufen an kleinen integrierten Festkörperlasern vorbei, die die richtige Frequenz dazuspielen, um im ausgehenden Nanokanal nur das eine Reaktionsprodukt zu liefern. Also solche Dinge könnten Träume sein – ob es realisiert wird, weiß ich nicht."