Im Januar 2021 soll die elektronische Patientenakte kommen. Das hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt. Wichtige Daten, von der psychiatrischen Diagnose bis zum Röntgen- oder Ultraschallbild und Untersuchungsergebnisse werden dann in einer großen Datei gespeichert – zunächst auf freiwilliger Basis. Doch es hagelt Kritik. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Ulrich Kelber, hat erklärt, dass die elektronische Patientenakte in der jetzt geplanten Form gegen den Datenschutz verstoße – und Widerstand angekündigt.
Auch viele Mediziner sind gegen die geplante Form der elektronischen Patientenakte. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der freien Ärzteschaft, Silke Lüder, erklärt, warum sie die aktuelle dezentrale Speicherung von Patientendaten für sinnvoller hält.
Tobias Armbrüster: Frau Lüder, war das gestern ein Schlag gegen die Patientenakte?
Silke Lüder: Also zumindest in Bezug auf das, was Herr Spahn jetzt mit seinen letzten neuen Gesetzen geplant hat, also in der vorgestellten Form. Es geht ja nicht darum, dass es grundsätzlich keine elektronische Patientenakte geben soll, sondern es geht darum, wie das jetzt geplant wird. Wir haben ja in den Arztpraxen und in den Kliniken, wir arbeiten ja schon seit vielen Jahren mit elektronischen Patientenakten in unseren Praxen und in den Krankenhäusern. Das erleichtert uns die Tätigkeit sehr, aber das ist eine dezentrale Datenhaltung bisher, und die ist absolut sinnvoll. Das Problem bei dem, was dort jetzt im Patientendatenschutzgesetz besonders geplant wird, ist, dass es in Zukunft darum gehen soll, dass zum Beispiel von einer großen Krankenkasse für zehn Millionen Menschen eine zentral gespeicherte elektronische Datenhaltung aller ihrer Krankheitsdaten zum Beispiel bei der Firma IBM passieren soll, und das halten wir nicht für sinnvoll.
Forderung: Weiter Speicherung unter der Schweigepflicht der Ärzte
Armbrüster: Was spricht denn dagegen?
Lüder: Wenn die Krankheitsdaten von so vielen Menschen zentral gespeichert werden und es passiert ein Hacking – das ist ja nun Gang und Gäbe, wir haben das in vielen Ländern gesehen, zum Beispiel in Großbritannien 2017 und auch in Deutschland und auch in anderen Ländern –, dann werden immer gleich Millionen von Menschen kompromittiert, und das sind ja eigentlich die sensibelsten Daten, die man überhaupt hat. Also sie sind deutlich sensibler und müssen das ganze Leben geschützt werden, sind in dieser Hinsicht auch noch empfindlicher als zum Beispiel die Bankdaten. Deswegen ist es unserer Meinung nach aus ärztlicher Sicht sinnvoller, wenn das weiterhin unter der Schweigepflicht von Ärzten und Psychotherapeuten dezentral gespeichert wird und eine Onlinekommunikation in abgesicherter Form verbessert wird in Zukunft, eine große Vernetzung, und natürlich die Daten auch in den Händen der Versicherten sind. Das ist aber bei uns inzwischen auch allgemein der Fall, dass jeder das Recht hat, seine eigenen Daten zu bekommen.
"Geht nicht hauptsächlich um wissenschaftliche Forschung"
Armbrüster: Aber ich kann mir vorstellen, dass viele Leute jetzt sagen, so eine zentrale Speicherung, die hat natürlich auch eine Menge Vorteile, unter anderem natürlich auch wieder für die Forschung, dass beispielsweise große Forschungsunternehmen auf große Mengen an Patientendaten zugreifen können und sich so genau anschauen können, wie bestimmte Krankheiten sich in Deutschland entwickeln. Gerade mit Bezug auf so eine Pandemie, wie wir sie gerade erleben, ist das natürlich sehr verlockend. Spricht da etwas dagegen?
Lüder: Verlockend ist es sicherlich. Bei dem, was dort in Bezug auf die Forschungsdaten in anderen Gesetzen vom Ministerium geplant wird, geht es gar nicht hauptsächlich um wissenschaftliche Forschung, sondern wenn man sich anguckt, welche 18 Institutionsgruppen darauf Zugriff haben können, geht es mehr um Versorgungsforschung, also nicht unbedingt um wissenschaftliche Forschung in dem Sinn, wie man normalerweise das versteht, sondern es geht um Ressourcenplanung, es sind öffentliche Institutionen, die Zugriff haben können. Natürlich, wissenschaftliche Forschung ist ja auch jetzt schon möglich, ohne dass die ganzen Daten der gesamten Bevölkerung einem großen Risiko ausgeliefert werden.
Patient kann nur "alles oder nichts" entscheiden
Armbrüster: Ulrich Kelber, der Bundesdatenschutzbeauftragte, der hat jetzt gestern auch gesagt, er möchte, dass es leichter wird für Patienten, in dieser Akte auszuwählen, welche einzelnen Daten sie sichtbar machen möchten und welche nicht. Ich nehme mal an, dass er mit diesem Punkt ja einen Ihrer ganz zentralen Kritikpunkte anspricht und auch erfüllt. Wenn das dann erfüllt wäre, wären Sie dann mit so einer elektronischen Patientenakte, mit einer zentral gespeicherten, einverstanden?
Lüder: Man muss sagen, dass es immer verschiedene Aspekte hat, Vor- und Nachteile. Es stimmt, dass natürlich der Patient … Es kann natürlich nicht sein, dass wenn es jetzt eine zentrale Patientenakte gibt, dass dann, sagen wir mal, ein medizinischer Fußpfleger vielleicht Zugriff hat in Zukunft auf das, was der Psychiater geschrieben hat, und in dieser Hinsicht soll im ersten Stadium der Einführung der elektronischen Patientenakte ab Januar 2021 … hat der Patient dieses Recht nicht, sondern er kann eigentlich nur alles oder nichts entscheiden, also entweder überhaupt keine elektronische Patientenakte für sich selbst oder eine, die alles für alle Zugreifenden freischaltet. Das wurde vom Datenschützer kritisiert. Dieser Kritik kann man sich nur anschließen.
Befürchtung: Schweigepflicht könnte unterlaufen werden
Armbrüster: Frau Lüder, Sie haben ja jetzt gerade ein interessantes Beispiel gebracht vom Fußpfleger, der zugreifen könnte auf die Daten des Psychiaters. Ich kann mir vorstellen, das ist doch im Sinne einer interdisziplinären Medizin sehr interessant, dass der eine Arzt auch die Ergebnisse der Kollegin oder des Kollegen mit einsehen kann und Rückschlüsse ziehen kann möglicherweise auf andere Krankheiten.
Lüder: Ja, dabei muss man natürlich sagen, wie ist es denn eigentlich heute. Also es ist ja heutzutage schon so, dass wir jetzt als – ich bin ja Hausärztin in Hamburg –, dass wir natürlich von allen Fachärzten, zu denen wir die Patienten überwiesen haben, und von allen Kliniken und von alle Pflegediensten schon die Informationen bekommen, und die sammeln wir auch jetzt schon, und wir haben in unserer Praxis eine langjährige elektronische Patientenakte seit 1993. Wir sind sozusagen … die Datenhaltung wird dort schon zentralisiert, und wir geben natürlich den Patienten alle Unterlagen wieder mit, damit sie mit diesen Unterlagen dann auch zu einem anderen Arzt gehen können. Also es ist nicht so, dass es da bisher keine Kommunikation und keine Vernetzung gäbe. Die gibt es eigentlich schon. Natürlich ist es interessant, aber es muss natürlich immer in der Hand des Versicherten sein. Die Akte, die jetzt von Herrn Spahn geplant wird, hat ein großes Problem: Es gibt praktisch keine zentralisierte Arztakte mehr, auf die man sich total verlassen kann, sondern die geplante elektronische Patientenakte sieht so aus, dass es alles über das Handy läuft, dann wird das von den Krankenkassen angeboten, es wird aber gespeichert bei privaten Firmen und befindet sich damit nicht mehr unter unserer Schweigepflicht. Wenn wir so eine Akte über das Patientenhandy, wo wir im Grunde im Moment auch überhaupt nicht wissen, wie das technisch und praktisch wirklich laufen soll, dass wir darauf zugreifen können, dann sehen wir nur einen Teil dessen, was vielleicht wirklich passiert ist, weil der Patient kann einstellen oder rauslöschen. Das heißt, diese Akte ist nicht vollständig. Das ist in gewisser Hinsicht für die Behandlung ein Problem.
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