Elektronische Patientenakte
Auf dem Weg zum Standard

Ab 2025 sollen alle gesetzlich Versicherten automatisch eine elektronische Patientenakte (ePA) bekommen – außer, man widerspricht aktiv. Krankenkassen versenden dazu nun Briefe. Was könnte sich mit der ePA verbessern? Was sagen Datenschützer?

    Ein Arzt hält ein Tablet mit dem Röntgenbild einer Hand in den Händen. Ein weiterer Arzt zeigt darauf.
    Auch Röntgenbilder sollen künftig in der elektronischen Patientenakte gespeichert werden. (imago images / Westend61 / Pete Muller )
    Die elektronische Patientenakte (ePA) gibt es schon seit 2021. Allerdings wird das Angebot bislang wenig genutzt: von nur etwa einem Prozent der Versicherten.
    Durch ein Gesetz, das der Bundestag Mitte Dezember 2023 beschlossen hatte, wird die ePA einen deutlichen Verbreitungsschub bekommen. Krankenkassen informieren ihre Versicherten nun in einem Schreiben über die automatische Einführung der Akte 2025. Wer diese nicht will, muss aktiv widersprechen. Wie das geht, erklären die Krankenkassen ebenfalls.
    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Frühjahr 2023 als Ziel vorgegeben, dass bis Ende 2025 ungefähr 80 Prozent der gesetzlich Versicherten die elektronische Patientenakte nutzen sollen.

    Inhalt

    Was ist die elektronische Patientenakte (ePA)?

    Bei der elektronischen Patientenakte handelt es sich um einen persönlichen Datenspeicher, der Patientinnen und Patienten ein Leben lang bei allen Arztbesuchen begleitet. Bislang ist es in der Regel so: Die Hausarztpraxis eines Patienten speichert all das, was das medizinische Personal für relevant hält, in einer Akte: Befunde, Diagnosen und weitere Informationen zur individuellen Krankheitsgeschichte.
    Diese Akte wird von der Hausarztpraxis vor Ort geführt und verwahrt – oft in Papierform, zusätzlich inzwischen meist auch digital auf den Computern der Praxis bzw. in einer Software aus der Riege zahlreicher Praxisverwaltungssysteme. Besucht der Patient nun eine Facharztpraxis, zum Beispiel für Innere Medizin, wird dort ebenfalls eine Akte für ihn angelegt.
    Möchte die Allgemeinarztpraxis nun wissen, was die Untersuchung der internistischen Facharztpraxis ergeben hat, muss der Patient dem Datenaustausch zustimmen. Ein zentrales Dokument, das Einsicht in alle einzelnen Praxis-Akten eines Patienten bietet, gab es lange Zeit nicht. Genau das will die elektronische Patientenakte leisten.

    Was ist mit der elektronischen Patientenakte möglich?

    Die ePA bündelt zahlreiche Patientenakten aus unterschiedlichen Praxen und Kliniken zentral an einem (digitalen) Ort. Beim Bundesgesundheitsministerium heißt es dazu: „Zunächst können Patientinnen und Patienten in der ePA Daten aus bereits vorhandenen Anwendungen und Dokumentationen, wie zum Beispiel Notfalldaten, Medikationsplan, Arztbriefe, Befunde oder Röntgenbilder speichern. Außerdem können Versicherte in ihrer ePA auch eigene Daten, wie z.B. ein Tagebuch über Blutzuckermessungen, ablegen.“
    In einem ersten Schritt erhalten die Versicherten mit der ePA demnach eine „vollständige, weitestgehend automatisch erstellte, digitale Medikationsübersicht“.
    Von den Patientinnen und Patienten selbst wird die ePA über eine App aufgerufen, die die jeweilige Krankenkasse zur Verfügung stellt. Ärztinnen und Ärzte, aber auch Apotheken, haben laut Ministerium „nicht automatisch Zugriff“. Die Versicherten müssen die Daten freigeben.  

    Wer bekommt eine ePA?

    Bis 15. Januar 2025 sollen die Krankenkassen für alle Versicherten automatisch eine E-Akte einrichten – es sei denn, man widerspricht aktiv.
    Die Patientinnen und Patienten sollten sich sorgfältig und im Detail darüber informieren, welche Daten sie zur Einsicht freigeben wollen, sagte Jürgen Windeler, ehemaliger Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Dies sei unter Umständen eine große Herausforderung.

    Kann man die elektronische Patientenakte ablehnen?

    Ja. Es wird keine Pflicht geben, die ePA zu nutzen. Wer die elektronische Patientenakte nicht möchte, muss allerdings selbst aktiv werden und dies seiner Krankenkasse mitteilen. Diese Notwendigkeit des aktiven Widerspruchs wird als Opt-out-Verfahren bezeichnet. Alternativ können bestimmte Befunde und Laborwerte auch geschwärzt werden. Die ePA kann man außerdem jederzeit löschen lassen, betonen die Krankenkassen.

    Wer befürwortet die elektronische Patientenakte und mit welchen Argumenten?

    Schnellere und gezieltere Behandlungen
    Einige Fachleute verbinden mit einer großen Verbreitung der ePA vor allem die Hoffnung, dass individuelle Informationen über Patienten schneller abgerufen werden können als bisher. Das könnte im Ernstfall sogar Leben retten, heißt es. Beispielsweise dann, wenn ein Notarzt sofort weiß, dass sich ein Medikament, das er einsetzen will, nicht mit den Tabletten verträgt, die der Patient regelmäßig einnimmt.
    Auch generell könnte eine mit relevanten Informationen befüllte E-Akte einen zeitlichen Vorteil beim Beginn der (richtigen) Behandlung bedeuten – verglichen mit der bisherigen Praxis, bei der all diese Daten einzeln von unterschiedlichen Ärzten abgefragt werden müssen.
    Die Pläne, eine elektronische Patientenakte einzuführen, bekamen vor allem durch den Lipobay-Skandal kurz nach der Jahrtausendwende Schwung. Bei Patienten, die sowohl den von Bayer entwickelten Blutfettsenker Lipobay einnahmen als auch bestimmte andere Medikamente, traten in Tausenden Fällen schwere Wechselwirkungen auf.
    Unnötige Behandlungen vermeiden
    Das Bundesgesundheitsministerium wirbt für die elektronische Patientenakte noch mit einem weiteren Argument: „Statt einer Lose-Blatt-Sammlung zu Hause oder einzelnen Befunden in den Praxissystemen verschiedener Praxen haben Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten alle relevanten Dokumente auf einen Blick sicher verfügbar. So können beispielsweise belastende Mehrfachuntersuchungen vermieden werden.“
    Einen großen Mehrwert durch die geplante Digitalisierung sieht die Gesundheitsexpertin Martina Stamm-Fibich (SPD). Gerade im Bereich der Notfallversorgung sei es wichtig, dass die Patientendaten "jederzeit und überall verfügbar" seien, so die Bundestagsabgeordnete. Informationen zu Vorerkrankungen und Medikamentenunverträglichkeiten seien mit der Akte schneller verfügbar.
    Wenig effiziente Behandlungen identifizieren
    Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky vom RWI-Leibniz-Institut in Essen erhofft sich durch eine stark verbreitete ePA zudem eine bessere Vergleichbarkeit im Gesundheitswesen: „Dann haben Sie auch Transparenz über das Versorgungsgeschehen und können mal schauen, welche Versorgungsmaßnahmen was bringen", betont er. Bisher habe das deutsche Gesundheitswesen nicht den Hang zum Qualitätswettbewerb.

    Welche Kritik gibt es an der elektronischen Patientenakte?

    Datenschützer und teilweise Arztpraxen stehen der ePA bisher kritisch gegenüber. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) moniert unter anderem den erforderlichen aktiven Widerspruch, wenn man die ePA nicht will. Außerdem ist er nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie die Akte befüllt werden soll: „Bei der automatischen Speicherung selbst der sensibelsten Gesundheitsdaten – Schwangerschaftsabbrüche, seltene Krankheiten, psychische Erkrankungen – besteht nach wie vor dringend Nachbesserungsbedarf.“
    Kurz nach dem Start der ePA im Januar 2021 hatte Kelber darin sogar einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung gesehen. Die Verbraucherzentrale warnt davor, dass es trotz hoher Sicherheitstandards zu Datenlecks und Cyberangriffen kommen kann. So könnten sensible Gesundheitsdaten in falsche Hände geraten.
    Auch die medizinische und pharmazeutische Forschung soll Daten aus elektronischen Patientenakten nutzen dürfen. Hierin kann zugleich ein Vor- wie auch Nachteil gesehen werden – je nach Standpunkt und Blickrichtung. Auf jeden Fall müsse für Vertrauen geworben werden, fordert der Bundesdatenschutzbeauftragte, „sodass diese Daten eben nicht missbraucht werden können, dass sie sicher abgelegt sind“.
    Einen Bruch der Schweigepflicht fürchtet Andreas Meißner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, durch die elektronische Patientenakte. "Wir werden verpflichtet, die Akte zu befüllen", kritisiert er. Der Psychiater sieht auch nicht ein, dass Apotheken "drei Tage Einsicht haben in Arztbriefe", wenn Patienten Medikamente mit dem E-Rezept abholen. "Das hat es bisher nicht gegeben und ist überhaupt nicht notwendig."
    Außerdem sieht Meißner eine hohe Gefahr, dass "zentral gespeicherte Daten irgendwann mal gehackt" werden. Er bezweifelt auch den praktischen Nutzen, da mit einem Konvolut von PDF-Dateien gestartet werde - für die es noch nicht mal eine Volltextsuche gebe. Vielen Patienten fehlten ferner die notwendigen modernen digitalen Endgeräte, um ihre Akte selbst einsehen zu können. "Ich sehe kaum Vorteile."

    jma, bth