Olivier Py braucht es gar nicht erst zu sagen: Eigentlich wollte er immer Priester werden. Manchmal denkt er auch heute noch daran, lässt er veröffentlichen. Die strengen Rituale der katholischen Kirche faszinieren ihn heute noch genauso wie Paul Claudel vor 100 Jahren. Kein Wunder dass seine elf Stunden Claudel ein Rausch der geistigen Sinne ist, ein Rückgriff auf barocke Theatertraditionen, auf Elemente der Comedia dell'arte, der Wandertheater.
In den Farben der spanischen Renaissance rot, gold und grün spielt sich die Geschichte von Rodrigo und Dona Prouheze ab, ein elfstündiges Epos über den Sinn von Liebe, die Suche nach Gott und die Lust am Verkleiden.
Auf vier Tage ist die Geschichte vom "Seidenen Schuh" aufgeteilt in je 13 Szenen. Ganz nach mittelalterlicher Tradition beginnt jede Szene mit einer Eingangsmusik, die Kulissen werden zurecht geschoben und der nächste Auftritt kann beginnen. Olivier Py hat beeindruckende Kostüme für seine 24 Schauspieler und Musiker ausgewählt, Phantasiekleider in grellen Farben für die obligatorischen Komödianten, strenge schwarze Gewänder für die Adligen. Auch wenn es im Kern des Abends um die ewig vergebliche Liebe geht, so behandelt Claudels oftmals sperriger Text mit vielen Nebenhandlungen unterschwellig immer wieder den Glauben an Gott. Wenn gleich zu Beginn ein gestrandeter Jesuitenmönch auf seiner einsamen Insel für seinen Bruder Rodrigo betet und die Erfüllung seiner großen Liebe zu Dona Prouheze.
Erst sieben Stunden und zwei Pausen später und nur ein einziges Mal ergibt sich für beide das ersehnte Treffen, dass sich vor allem um eines dreht, um das Reden. Über die mehr als 10 Jahre verzehrender Sehnsucht, ihre Rollen als Vizekönig im verhassten Mexiko auf der einen Befehlshaberin einer Militärfestung in Nordafrika auf der anderen Seite. 20 Minuten einer atemlosen, obskuren Ekstase von Selbstverleugnung, an deren Ende das Erhabene der Liebe zu Gott beschworen wird.
Für das Publikum von Edinburgh war "Der seidene Schuh" eine Herausforderung, weil pure französische Sprachkunst von der Bühne wogte. Jene, die kein Französisch verstanden , mussten also mit den überdies stark gekürzten Übertiteln vorlieb nehmen. So war das Festival Theater nach der zweiten Pause nur noch halbvoll, obwohl sich die Komödianten als Mühe gaben, aktuelle Witze und Scherze als Auflockerung der poetischen Großleistung einzustreuen:
Vielleicht lag das Problem aber auch darin, dass weder Claudel, noch Olivier Py als Regisseur von heute versuchten, sich von der vorgeblichen grandiosen Tradition des Katholizismus zu distanzieren. Eher wird der Glanz und Gloria-Schein einer vergangenen Epoche unreflektiert gefeiert. Mit allen an Claudel befremdenden Attitüden von Eurozentrismus, Katholizismus und Kolonialdenken. Selbst den im 16. Jahrhundert so verhängnisvollen Hass auf Protestanten und das Lächerliche von Außereuropäern lässt Py ohne jede Brechung in betörend klassischem Französisch zelebrieren. Vor barocken Kirchenportalen, goldenen Toren oder kardinalroten Vorhängen.
Bühnenbildner André Weitz' goldener Riesenglobus als Zeichen glorioser Weltherrschaft bestätigt nur, dass "Der seidene Schuh" nicht zur Vergangenheitsbewältigung taugt und mit Pomp das 21. Jahrhundert leugnet.
Dem Festivalleiter von Edinburgh Brian McMaster kann man trotzdem Achtung zollen für die Verpflichtung der Py-Inszenierung. Seinem Publikum die Möglichkeit zu geben, eine solche Theatererfahrung zu machen, allein dafür hat es sich gelohnt.