Für Agnès Monnet geht es bei den Wahlen in der Elfenbeinküste an diesem Samstag um sehr viel. Sie tritt als Kandidatin für das Bürgermeisteramt im Ort Agou im Süden des Landes an. Dort war sie schon einmal knapp zwölf Jahre lang Bürgermeisterin. Aber Agnès Monnet ist nicht nur Lokalpolitikerin, sie ist auch Generalsekretärin des Front Populaire Ivoirien, kurz FPI, der wichtigsten Oppositionspartei.
"Die meisten Parteien blicken bei diesen Wahlen auf die Perspektiven für die Präsidentschaftswahl 2020. Deswegen will jeder gewinnen. Aber ich denke, wir werden klug genug sein, dass es keine Ausschreitungen gibt. Natürlich sind Wahlen immer Anlass für verbale Auseinandersetzungen. Aber es sollte auf der verbalen Ebene bleiben..."
Doch schon im Vorfeld der Wahlen gab es Handgreiflichkeiten zwischen den Anhängern verschiedener Kandidaten. Und wenn die Menschen in der Elfenbeinküste auf die nächsten Präsidentschaftswahlen blicken, dann denken sie auch zurück daran, was 2010 geschah, als der jetzige Präsident Alassane Ouattara gewählt wurde. Sein Vorgänger und Konkurrent Laurent Gbagbo erkannte die Wahl nicht an; es folgte ein fünfmonatiger Bürgerkrieg, den erst das Eingreifen internationaler Truppen zugunsten von Alassane Ouattara beendete. Wenige Monate später wurde Laurent Gbagbo an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert, wo sein Prozess immer noch läuft.
Wahlkommission wird von der Regierung organisiert
Wahlen sind in der Elfenbeinküste also schon mehrfach Anlass für Auseinandersetzungen gewesen. Ein Streitpunkt ist bis heute auch die Zusammensetzung der Wahlkommission, wie Agnès Monnet betont:
"Das Problem mit der Wahlkommission ist, dass von der Zentrale bis an die Basis alles von der Regierung organisiert wird. Die Opposition ist nur ganz schwach vertreten. Die Regierung nominiert den Präsidenten der Wahlkommission. Und nicht nur das – alle Regierungsorgane sind vertreten. Und die Wahlkommission entscheidet über die Vorsitzenden der lokalen Wahlbüros. Die stehen dann unter ihrer Fuchtel. Und alle wissen, dass Wahlbetrug in vielen Fällen existiert."
Deswegen hat ein anderer Flügel ihrer Partei FPI entschieden, die Wahlen zu boykottieren, bis die Wahlkommission reformiert ist. Das hat Präsident Alassane Ouattara nun immerhin für das Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 angekündigt. Überhaupt ist er bemüht, seinen Gegnern ein wenig entgegenzukommen. So hat er im August eine Amnestie für 800 Menschen erlassen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Darunter war auch Simone Gbagbo, die Ehefrau seines alten Rivalen. Was die einen als großzügige Geste der Versöhnung werten, sehen andere mit gemischten Gefühlen.
Frühere Verbrechen nicht aufgearbeitet
Karim Coulibaly zum Beispiel. Der ehemalige Taxifahrer zählt zu den Opfern der Auseinandersetzungen von 2010, er verlor durch eine Schussverletzung sein linkes Bein. Die Freilassungen seien schon in Ordnung, sagt er, aber:
"Man kann nicht zur Versöhnung übergehen, wenn man Dinge nicht in Ordnung bringt. Wir Opfer haben bis heute keinen Ausgleich erhalten für das, was uns passiert ist. Das heißt nicht, dass wir gegen Versöhnung sind, aber davor muss man die Dinge klären, und die Opfer müssen entschädigt werden."
Das findet auch Arsène Néné Bi von der Menschenrechtsorganisation APDH. Zusammen mit anderen Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch hat die APDH sich grundsätzlich gegen die Amnestie gestellt, denn:
"Für uns verstößt die Amnestie gegen die Rechte der Opfer und trägt nicht zur nationalen Versöhnung bei. Schon unter dem früheren Präsidenten Laurent Gbagbo gab es ein Amnestie-Gesetz für alle, die schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Rebellion von 2002 begangen hatten. Man dachte damals, das würde die Aggressivität mindern. Aber schon die Barbarei, die unser Land 2010/2011 erlebte, zeigt die Wirkungslosigkeit einer solchen Amnestie – sie ist aus unserer Sicht vielmehr eine Ermutigung zur Straflosigkeit."
Ressourcenkonflikte und Klientelpolitik
Auch wenn eine Wahrheitskommission eingerichtet wurde - die mangelnde Aufarbeitung früherer gewaltsamer Konflikte prägt die politische Landschaft in der Elfenbeinküste bis heute. Zumal die wichtigsten Akteure größtenteils seit über 25 Jahren dabei sind. Begonnen hatten die Auseinandersetzungen mit einer Wirtschaftskrise in den 1990er-Jahren, analysiert Thilo Schöne, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan:
"Dieser Ressourcenkonflikt zwischen den drei großen Lagern, den Parteien, hat sich dann auf verschiedene ethnische Zugehörigkeiten überlagert, die am Anfang so nicht klar waren. Aber mit dem sich zuspitzenden Ressourcenkonflikt und der unkontrollierten Machtübergabe des Langzeitpräsidenten Houphouët-Boigny wurde versucht, den anderen politischen Spieler auszuschalten."
Dazu kommt, dass Politiker in der Elfenbeinküste kaum für ihren Gesellschaftsentwurf gewählt werden. Vielmehr erhalten sie Stimmen vor allem deshalb, weil sich eine – heute oft regional oder ethnisch bestimmte - Bevölkerungsgruppe Hoffnungen macht, von diesem Kandidaten auch materiell versorgt zu werden.
"Auswirkung einer schlecht gemachten Sozialpolitik"
Der junge Informatiker Serge Kouassi hat bei der Friedrich-Ebert-Stiftung ein Programm zur Nachwuchsförderung durchlaufen. Er sieht in der Armutsbekämpfung einen wichtigen Faktor, um politische Krisen – nicht nur im Umfeld von Wahlen – zu vermeiden:
"Die Konfliktlinien, die heute entstehen, sind die Auswirkung einer schlecht gemachten Sozialpolitik. Alle bisherigen politischen Systeme haben auf der sozialen Ebene versagt, das ist Grund für die zahlreichen Krisen, die wir erleben. Wenn die Menschen ein gutes Auskommen haben, dann müssen sie sich nicht um Politik kümmern und leben besser zusammen. Deswegen scheint mir Sozialpolitik die Garantie für Versöhnung zu sein."