Sportpsychologe
Elfmeterschießen sind „eine furchtbare Angelegenheit“

England galt immer als Fußballnation, die im Elfmeterschießen versagt. Diese Schwäche scheint besiegt. Ein paar konkrete psychologische Handgriffe könnten Teil des Erfolgs sein. Und ein Sportpsychologe bescheinigt den Engländern gar, dass sie auf dem Weg zur Perfektion seien.

Von Victoria Reith |
Der englische Torhüter Jordan Pickford hält einen Elfmeter des Schweizers Manuel Akanji im Viertelfinale der Fußball-EM in Deutschland.
Der englische Torhüter Jordan Pickford hält einen Elfmeter des Schweizers Manuel Akanji im Viertelfinale der Fußball-EM in Deutschland. (IMAGO / Crystal Pix / IMAGO / Dan Weir)
Der Norweger Geir Jordet beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Psychologie von Elfmeterschießen und hat sogar ein Buch herausgebracht: "Unter Druck - Was wir aus der Psychologie des Elfmeterschießens fürs Leben lernen können".

Vier Elemente für den Erfolg

Ihm zufolge versteht England versteht die Art und Weise neu, Elfmeter zu schießen und hat dabei vier Elemente in der Herangehensweise geändert:
  1. Jeder Spieler wird von einem Mannschaftsmitglied abgeholt, hat also einen Begleiter, der dafür sorgen soll, dass er den Weg vom Elfmeterpunkt zur Mannschaft nicht alleine gehen muss. Falls derjenige verschossen hat, wäre er dann auf dem Rückweg nicht alleine mit seinen Gedanken, sondern hätte direkt einen tröstenden Teamkollegen an seiner Seite
  2. Die Mannschaft steht am Mittelkreis nicht mehr Arm und Arm und bildet ein Bollwerk gegenüber einem Spieler, sondern steht locker nebeneinander. So kann der Schütze wieder schneller in die Gruppe integriert werden.
  3. Southgate schickt all diejenigen weg, die nicht zur aktuellen Elf gehören, also alle Betreuer und Ersatzspieler, damit er sich auf Auswahl der Schützen und deren "Begleiter" konzentrieren kann.
  4. Dieses Element wird inzwischen von den Schiedsrichtern unterbunden, wurde aber zuvor praktiziert: Englands Torhüter Pickford bringt dem nächsten Schützen seines Teams den Ball. Somit entsteht ein gefühltes Kräfteverhältnis von 2:1 gegenüber der gegnerischen Mannschaft. Ein Trick, um den Gegner aus der Ruhe zu bringen.

Bewunderung für Bukayo Saka

Unter dem aktuellen Trainer Gareth Southgate gewannen die Engländer drei von vier Elfmeterschießen bei den vergangenen Turnieren. Einzig bei der EM-Finalpleite 2021 gegen Italien mussten sich die Briten geschlagen geben. Beim jüngsten Sieg gegen die Schweiz verwandelten alle fünf englischen Schützen. Darunter war auch Bukayo Saka, der vor drei Jahren vergeben hatte und später rassistischen Anfeindungen ausgesetzt war.
Sportpsychologe Jordet sagte der FAZ, er sei voller Bewunderung für Saka. "Er hat damals nicht nur den entscheidenden Elfmeter verschossen, die Konsequenzen für ihn waren verheerend." Saka habe seither intensiv an seiner Elfmeter-Routine gearbeitet. Er kenne "kaum einen Spieler, bei dem die Abläufe derart automatisiert sind, der sich auch so viel Zeit lässt vor seinem Schuss."

England auf dem Weg zur Perfektion

Dabei bekommen es ihm zufolge selbst gestandene Profis beim Elfmeterschießen mit Angst zu tun, die sie zuletzt in der Kindheit verspürten. Elfmeterschießen seien "eine furchtbare Angelegenheit". Jordet betont: England arbeite seit acht Jahren an dieser Sache. Gegen die Schweiz habe man gesehen, dass sie sich einem perfekten Elfmeterschießen langsam nähern.