Wann war sie selber zuletzt derart wichtig in einem eigenen Stück? In jedem Fall vor über zwanzig Jahren, als an gleicher Stelle, im Hamburger Schauspielhaus, Frank Castorf Elfriede Jelineks "Raststätte"-Stück inszenierte und gegen Ende ein bühnenhoch-monströses Puppen-Abbild der Autorin auf die Bühne rollen ließ. Damals reiste Jelinek noch zu wichtigen Premieren an – und stand dann im Beifall- und Buh-Gewitter zum Schluss neben sich selber als Puppe. Jetzt, für den wuchtigen Wutanfall nicht nur gegen Trump, sondern gegen den Trumpismus weltweit und vor allem auch gegen sich selber und das Versagen von ihresgleichen, haben Falk Richter und das Schauspielhaus Jelinek wieder ein "alter ego" beigegeben, das den ansonsten - und für alle! - ziemlich anstrengenden Abend auf wundersame Weise zusammenhält und erdet: Ilse Ritter spricht das "Ich" der Elfriede Jelinek; sie, einst ein Teil der Preziosen-Truppe um Peter Zadek hier, wird in Hamburg mit Auftrittsbeifall begrüßt. Sie hat das erste Wort.
"Von wem will ich da überhaupt sprechen? Darüber muss ich mich mit mir verständigen."
Als "Jelinek" bei Jelinek jetzt ist sie der schönste denkbare Glücksfall: fragil wie immer, aber macht- und kraftvoll verbissen in die Abrechnung der Autorin mit sich selber. Denn das ist –neben dem wortgewaltigen Wüten gegen die Trumps dieser Welt- der eigentliche, in jedem Fall schmerzhaftere Kern dieses rasenden Spektakels.
"Wir, die sind wie ich: Alle mal herhören! Wir haben ausgesprochen! Wir waren eine Zeit lang ausgesprochen begehrt, wir haben sogar die Meinungen angeführt, bis sie sich verirrt hat. Aber jetzt sind wir das noicht mehr; wir sind nicht mehr wir. - Ja Sie vielleicht schon, aber ich nicht mehr!"
Die Blindheit der linksbürgerlichen Öffentlichkeit
Eingebaut in die Suada gegen prä-zivilisatorisches Diktatoren-Gehabe hat die Autorin gegen Ende die Bibel-Story um Abraham und den beinahe geopferten Sohn sowie immer wieder den Mythos um Ödipus; nicht umsonst sitzt das Hamburger Ensemble zu Beginn, nach dem Entree mit Ritters Jelinek und dem wie unter Strom am Computer zappelnden Tänzer Frank Willens, um den Lesetisch und sticht sich theatralisch die Augen aus. Jelinek geißelt schonungslos die eigene Blindheit und die der liberalen, linksbürgerlichen Öffentlichkeit gegenüber dem Aufschwung des rechten Populisten-Wahns; und fügt konsequent die Analyse der Motive all jener hinzu, die Populisten an die Macht wählen –
"Wer sind die, welche da plötzlich auftauchen? // Die machen sich frei, die winden sich los, die überwinden sich – nein, das nicht ... die bedecken unser Schweigen und Schreien. Die schreien alles heraus, was sie wissen ..."
Das sind unter anderem die, die der herrschende und forciert globalisierende Finanz-Kapitalismus überflüssig werden lässt. Wer keine Arbeit hat, keine Perspektive, keine Zukunft, keine Heimat – was soll den hindern, sich irgendeinen halbgaren Heils-Versprecher zum Herrscher zu wählen? Idil Baydar gehört auch mit zum Spektakel, die türkischstämmige Internet-Kolumnistin unter dem Künstlernamen "Dilek Ayse"; sie fragt das wohlsituierte Publikum im Saal, ob wir uns eigentlich vorstellen können, was jemand tut, der ganz viel Zeit hat und nie was zu tun … in diesen Momenten gefriert der Abend und tut richtig weh.
Ein Ballerspiel mit geschliffenen Texten
Falk Richter hat für die Inszenierung zwei Methoden gewählt. Der erste Teil, knapp zwei Stunden, gibt sich als theatrales Ballerspiel wie im Internet, das Ensemble rast hin und her, exaltiert sich über die Maßen - vor allem der niederländische Performer Benny Claessens, der vor keiner Selbstentblößung zurück schreckt; eine Orgie an Ausstattung, Masken und Video-Material bricht los, Kermit sowie Waldorf und Statler aus der Muppets-Show inklusive ... Bis zum Abwinken fährt Richter Trash auf, und die Perücken von allen sind noch viel schlimmer als die Frisur von dem, um den es geht.
Ganz anders, und zum Staunen, gerät dann die letzte Stunde. Zwar wird noch der Ku-Klux-Klan beschworen, und Claessens zetert sich durch das letzte grandiose Publikumsbeschimpfungssolo – aber davor und danach sitzt das Ensemble - mit den Schreckensperücken! - in Sesseln wie bei der Talkshow und zelebriert Jelineks glasklar geschliffene Texte. Spürbar vergeht ihr gerade das oft so nervige Gewitzel, kalt wird’s in der Wortspielhölle. Die Selbstkritik ist nur ein bisschen weinerlich - als wäre Jelinek nicht die bedeutendste Dramatikerin deutscher Sprache, und als wüssten das nicht eigentlich alle …
"...und das Traummännlein selbst schließt gequält die Augen – lieber gleich blind sein, weil man sich den Sand irrtümlich in die eigenen Augen geschüttet hat!"
Doch dann nimmt sich eben noch einmal Ilse Ritter des Textes an – und veredelt Richters spektakulären Kraftakt endgültig zum Ereignis.