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Elfriede Jelineks ''Jackie und andere Prinzessinnen''

Archaisch und grausam stellt sich die Autorin den Beginn ihres fünften Teiles von "Der Tod und das Mädchen" vor: Ingeborg Bachmann und Sylvia Plath schlachten einen Widder mit viel Blut und Hoden, und wenn sie sich eingeschmiert haben, dann ziehen sie zu Bergschuhen ein Dirndl oder einen 50er-Jahre Badeanzug an. Regisseur Hans Neuenfels dagegen steckt seine Darstellerinnen in weiße Totenkleider und lässt sie im Kampffeld einer klinisch sauberen Küche gepellte Eier aus dem Kühlschrank zerlegen:

Ein Beitrag von Hartmut Krug |
    Herd, Spüle, Waschmaschine und Kühlschrank begrenzen einen Küchen-Bedeutungsraum des Totenreichs, in dem mit Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann zwei Ikonen weiblicher Schriftstellerei den Widder, den sie sonst für einen Lebensmittelladen bereiten, diesmal in kleiner Revolte zu Blutsuppe verkochen. Das Blut soll, wie im elften Gesang der Odyssee, die Seelen der Toten anlocken: es geht um den Austausch von Erfahrungen auch mit den Toten über weibliches Schreiben, über Deutungen und Bedeutungen. Natürlich hoffen die Frauen bei der Jelinek nicht auf den Seher Teiresias, sondern auf eine Therese.

    "Mein Ton ist der Hohn", sagt die Autorin über ihren Text, dessen Gefährdung durch die Lächerlichkeit überhöhter Bedeutungen sie selbst empfindet. Regisseur Neuenfels gibt die Szene mit Ironie, lässt mit dem Beil Schnittlauch auf dem Hackklotz zerteilen, zwei Karaffen von Blut aus dem Kühlschrank holen und wenn vom "Ding" die Rede ist, ein Würstchen mit der Schere in die Suppe schnippeln.

    In Elfriede Jelineks "Prinzessinnen-Zyklus" mit dem Obertitel "Der Tod und das Mädchen" geht es um das Bild von der Frau in der Gesellschaft, um die Subjektivität, die die Frau sich selbst gibt oder geben kann. Wenn man die neuen Teile vier und fünf dieses Zyklus liest, dann empfindet man sie nicht als sinnliche, lebendige Theatertexte, sondern als abstrakte, hoch komplexe Thesentexte. Sie wirken wie die literarische Verdichtung der These der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, die Frau in der Gesellschaft sei nur wahrnehmbar über ihren Tod, d.h., das Bild von der Frau in Kunst und Gesellschaft realisiere sich erst im Tod.

    Regisseur Neuenfels hat Teil V "Die Wand", in dem die Schriftstellerinnen im Totenreich die Seelen der negativen väterlichen Helden befragen, vor Teil IV mit dem Monolog von Jackie Kennedy gestellt. Und so debattieren die beiden lange über eine durchsichtige Wand als Spiegel und Selbstbegrenzung und scheinen mit dem Romantitel-Zitat "Die Wand" auf dessen Autorin Marlen Haushofer zu warten. In Ingeborg Bachmanns "Malina" verschwindet die Frau im Spalt einer Wand, in Sylvia Plath "Glasglocke" schottet sich eine Frau im Wahnsinn ab. -- Jelineks Text steckt voller Anspielungen und Bedeutungen, doch Leben und Theateratem enthält er nicht. Immerhin: hatten die ersten drei Teile des sogenannten Prinzessinnen-Zyklus bei ihrer kürzlichen Hamburger Uraufführung noch weitgehend ohne jede Aktion auskommen müssen, so schickt Neuenfels Frau Plath und Frau Bachmann in eine sprachlich wie ansatzweise auch szenisch bewegte Auseinandersetzung. Dabei machen die präzisen Darstellerinnen Almut Zilcher und Julia Wieninger die toten Schriftstellerinnen in diesem Beschwörungs-Denkspiel durchaus lebendig. Dennoch mäandert der in sich ruhende, redundante Text, obwohl schon mächtig eingekürzt, weiterhin recht einschläfernd bedeutungshubernd daher.

    Im Totenwald von Jackie Kennedy stehen dann die toten Helden als überlebensgroße Pappfiguren herum, statt nach dem Willen der Autorin von einer Jackie im Chanel-Kostüm hinter sich hergezogen zu werden. Elisabeth Trissenaars Jackie tritt im Leichentuch auf Karl Kneidls zwischen zwei Zuschauerränge gestellte Bühne und zeigt uns von der ersten Sekunde an das Handwerkszeug der wirkungswütigen Schauspielerin. Frau Trissenaar gibt die Tragödin und die Komödiantin, sie tanzt und singt, hüpft und springt und überheizt jeden kühlen Jelinekschen Satz mit schauspielerischer Bedeutung. Statt den Text auszustellen, verleibt sich Frau Trissenaar ihn als Material für Kunststücke ein. Die Darstellerin springt mit hoher Beweglichkeit durch ihren Text und von einem Aggregatzustand menschlicher Leidenschaften in den nächsten. Die Autorin dagegen zeigt den nüchternen Selbst-Schaffungsprozeß einer Frau als Objekt und öffentliches Bild, als Leerstelle, gefüllt mit Mode und ihrem ganz bestimmten Kleid als äußerer Form:

    Wo bei Elfriede Jelinek eine Tote allein auf die Aufbauarbeit an ihrem Bild schaut, bringt Regisseur Neuenfels einen Klavierspieler auf die Bühne (ein Hinweis auf Jelineks Roman "Die Klavierspielerin"), der nicht nur auf-, sondern auch mitspielt. Und Frau Trissenaar lässt Jackie nicht nur Kleidung, sondern auch völlig gegen den Text vor allem menschlich und emotional bewegt sein.

    Insgesamt eine Uraufführung, die ihr Objekt weitgehend verfehlt.

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