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Elfriede Jelineks "Wut" in München
Viel Gewese um nichts

Regisseur Nicolas Stemann ist derzeit Hausregisseur an den Kammerspielen und der Jelinek-Spezialist unserer Zeit. Jetzt inszeniert er "Wut" an den Münchner Kammerspielen. Die österreichische Nobelpreisträgerin hat ihr neues Theaterstück in Reaktion auf den tödlichen Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris geschrieben.

Von Rosemarie Bölts |
    Der Schauspieler Daniel Lommatzsch in den Kammerspielen in München im Stück "Wut" von Elfriede Jelinek, inszeniert von Nicolas Stemann
    Der Schauspieler Daniel Lommatzsch in den Kammerspielen in München im Stück "Wut" von Elfriede Jelinek, inszeniert von Nicolas Stemann (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Nicolas Stemann ist ein netter Mann. Bevor es losgeht, erzählt er den Theaterzuschauern erst einmal, was auf sie zukommt. Dass die 124 Seiten Text von Elfriede Jelineks "Wut" "ohne Punkt und Komma, also wie immer, nur immer schlimmer", bei den Proben bislang 140 Seiten geworden sind. Dass man damit ja nie fertig und deshalb die Inszenierung sich bei jeder Aufführung noch mal verändern wird, also herzliche Einladung, immer wieder zu kommen. Und dass es, "ein Novum", in den nächsten knapp vier Stunden eine Pause geben wird, in der man raus- und reinkommen und gern während der Aufführung weiter essen und trinken kann.
    Alles soll anders sein
    Und das in dem ehrwürdigen Jugendstilambiente der Münchner Kammerspiele, wo jetzt mit dem neuen Intendanten Matthias Lilienthal und dem neuen Hausregisseur Nicolas Stemann alles anders sein soll. Offene Bühne, offene Türen, offenes Stück, offener Regisseur, alles offen. Wie aufregend. Und dann ging es irgendwie los und hörte tatsächlich irgendwann vor Mitternacht auf.
    "Ha! ... Sprechgesang"
    Work in progress hieß das mal. Lesende Schauspieler, mal als Chor, mal als einzelne Typen, selten Dia- oder Triologe. Drei Männer und vier Frauen, die sich verkleiden, damit man weiß, dass sie dumme Girlies, blöde Neonazis, klein karierte Spieß-Bürger, Sprengstoffgürtelbepackte Dschihadisten, Burkaverhangene Muslima, Harlekin-Pappnasen-Perückentragende, lustige Clowns sind. Klavier und Schlagzeug untermalen und übertönen jedes Klischee, und da es nur Klischees gibt, sind die beiden Musiker ständig im Einsatz, so, wie es für die Schauspieler auch keine Pause gibt.
    Viel Klamauk. Manches wirklich komisch
    Eine Frau, die mit einer Live-Video-Stange herumgeht. Denn fünf Leinwände, die vor den schwarzen Stoffwänden hängen, müssen ständig bespielt werden, wenn schon sonst nichts "inszeniert" ist. Und der, ja, soll man jetzt sagen, "Regisseur"? Nicolas Stemann, der die ganze Zeit mit seinem Textbuch dabei bleibt, selber auch mal singt und Gitarre spielt, aber nicht seine Schauspieler führt, sondern frei laufen lässt. Das ist ja bekanntermaßen sein Stil, wenn man denn von Stil reden kann. Oder wie soll man die angereicherte Veralberung des Jelinek-Textes nennen, wenn er zusammen mit den beiden Musikern auf dem Sofa sitzt und singt:
    "Kinder, Küche, Kalaschnikoff …"
    Alles sehr vordergründig. Viel Klamauk. Manches wirklich komisch. Das steht dann nicht im Jelinek-Text. Die schrille "Party" zum Beispiel, zu der Jesus - mit Kreuz im Rücken - eine Religionsrunde samt Buddha, Ganesha, Zeus, dem Nikolaus und dem "Spaghettimonster" einlädt, bei der nur einer fehlt, Mohammed, und stattdessen eine Tunte mit Goldlamé Mini und hohen Plateausohlen immer wieder betonen muss, dass er, Pardon, sie "nicht!" Mohammed sei. Oder "die kleine Dramolette", in der die Schauspielerin Julia Riedler die Autorin, den Regisseur und sich selbst parodiert:
    Humor ist, wenn man trotzdem lacht?
    "Lass doch endlich dieses blöde Buch aus, an das du dich seit Jahren krallst. Dumme Kuh, du verstehst es eh nicht. – Gähn! - Wenn du nicht sofort losgehst, wirst du nie wieder zu dir zurückfinden. – Und wer zurück, will ich überhaupt wissen woll'n!"
    Und wo bleibt die "Wut"? Der nihilistische Jelinek-Text ist ja prallvoll davon. Ein Konvolut des entfesselten, blindwütigen Furors des Terrors, bei dem zu oft zwischen Gott und Terrorismus kurzgeschlossen wird. Das wird dann nicht nur ermüdend, sondern ermüdend eindimensional. Nicolas Stemann, der im Programmheft schreibt, "Wut und Aggression im theatralen Ritual zu einer Kraftquelle" zu machen und damit "Theater zu einem Ort der Erkenntnis", hat daraus bis hin zur Verniedlichung Trash-Unterhaltung gemacht.
    Humor ist, wenn man trotzdem lacht? Nö, viel Gewese um nichts.