- Was umfasst die Munitionsaffäre beim KSK?
- Welche Rolle spielt Brigadegeneral Markus Kreitmayr?
- Welche Rolle übernimmt Kramp-Karrenbauer in der Munitionsaffäre?
- Welche Gremien können zur Aufklärung der Munitionsaffäre beitragen?
- Welche politischen Konsequenzen könnte die Munitionsaffäre haben?
- In welchem Kontext/Milieu konnte die Munitionsaffäre entstehen?
- Rechtsextremismus-Vorwürfe und Reform des KSK
- Welche Aufgabe hat das Kommando Spezialkräfte?
Der KSK-Kommandeur, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, hatte 2020 erfahren, dass die Munitionsbewirtschaftung in der Eliteeinheit schlampig geführt worden war. Zehntausende Schuss Munition fehlten, und es gab keine Hinweise auf ihren Verbleib. Daraufhin ordnete er im April 2020 eine Sammelaktion am KSK-Standort in Calw in Baden-Württemberg an: Soldaten, die Munition zurückbrachten, sollten straffrei bleiben. Mehr als 40.000 Schuss Manöver- und Gefechtsmunition kamen zusammen. Diese Methode - Rückgabe gegen Straffreiheit - wird auch in den amerikanischen Streitkräften in solchen Fällen angewandt. Das Problem: Die Amnestie verstieß gegen Dienstvorschriften der Bundeswehr und möglicherweise auch gegen das Strafrecht. Gegen Brigadegeneral Kreitmayr, der das Kommando Spezialkräfte im baden-württembergischen Calw seit 2018 führt, steht der Vorwurf der Strafvereitelung im Amt im Raum.
Die Staatsanwaltschaft Tübingen prüft den Anfangsverdacht eines Verstoßes gegen Paragraf 40 des Wehrstrafgesetzes, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Matthias Grundke Anfang April 2021 erklärt hatte. Dies sei vergleichbar mit dem Straftatbestand der Strafvereitelung. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt Kreitmayr als unschuldig. Er hat sich zu dem Sachverhalt bislang nur intern, nicht aber öffentlich geäußert.
Militärpolizisten haben die dienstlichen Kommunikationsgeräte Kreitmayrs sichergestellt. Die Feldjäger setzen damit ein Amtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Tübingen um. Nach einer Anhörung im Verteidigungsausschuss des Bundestags sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am 3. Mai, ihr Ministerium habe diese Maßnahmen der Justizbehörden unterstützt.
Bundeswehr-Experten werten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur zusammen mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg das Diensthandy sowie ein dienstliches Tablet des Generals aus.
Als Kreitmayers Vorgesetzter, der Kommandeur der Bundeswehr-Division "Schnelle Kräfte", Andreas Hannemann, von der Sammelaktion erfuhr, befahl er unverzüglich deren Einstellung. Die Ministeriumsspitze erfuhr spätestens am 22. Juni 2020 von dem Vorgang, in Gestalt von Staatssekretär Gerd Hoofe. Der Vorgang war Thema der "Arbeitsgruppe KSK", die sich mit der Reform der Einheit befasst. Generalinspekteur Eberhard Zorn und Heeresinspekteur Alfons Mais wussten von der Amnestie, wollen aber nicht mit der Ministerin darüber gesprochen haben. Der Abteilungsleiter "Recht" des Verteidigungsministeriums, Andreas Conradi, unterrichtete am 1. Juli das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium. Normalerweise hat ein hoher Beamter in solchen Fällen einen sogenannten Sprechzettel dabei. Angeblich nicht in diesem Fall. Solche Sprechzettel müssen an den Leitungsstab des Ministeriums weitergeleitet werden – und wären damit auch der Ministerin zur Kenntnis gekommen.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will erst im Februar 2021 aus der Zeitung von diesem Vorgang erfahren haben. Sie war jedoch im Juni 2020 in Calw beim KSK zu Besuch, wo unter anderem ein 15-minütiges Briefing zum Thema Munitionswirtschaft anberaumt war. Auch dort soll nicht über die Sammelaktion und die Amnestie gesprochen worden sein.
Der Verteidigungsausschuss des Bundestages kann Aufklärung bringen. Er könnte sich sogar als komplettes Gremium als Untersuchungsausschuss konstituieren. Dann wären die Untersuchungen aber auch mit Ablauf der Legislaturperiode im September 2021 beendet. Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie Agnes Strack-Zimmermann hat deshalb vorgeschlagen, die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), mit einer eigenständigen Untersuchung als einer Art Sonderermittlerin zu beauftragen. Ihre Amtszeit ist nicht an die Legislaturperioden gekoppelt. Der Verteidigungsausschuss müsste eine solche Untersuchung aber einstimmig beauftragen.
Viele Abgeordnete des Verteidigungsausschusses halten es nicht für glaubwürdig, dass die Ministerin erst zehn Monate nach der Munitionssammelaktion davon erfahren hat.
Marie Agnes Strack-Zimmermann möchte zum Beispiel die Aufzeichnungen des Adjutanten einsehen, der Ministerin Kramp-Karrenbauer bei ihrem Besuch in Calw begleitet hat. Bis Montag früh (3. Mai) hatte sie diese trotz Zusage der Ministerin nicht erhalten. Der grüne Verteidigungspolitiker Tobias Lindner wollte das Aktenzeichen des Heeresberichtes erfahren, in dem die Amnestie thematisiert wurde, hörte jedoch aus dem Ministerium, es gebe kein Aktenzeichen.
Hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) tatsächlich erst so spät von diesem Vorgang erfahren, wird ihr der Vorwurf gemacht werden, ihr Ministerium nicht im Griff zu haben. Kann man ihr nachweisen, dass sie den Abgeordneten des Verteidigungsausschusses nicht die Wahrheit gesagt hat, müsste sie wahrscheinlich zurücktreten. In jedem Fall verringert die Affäre die Chancen Kramp-Karrenbauers, auch nach der Bundestagswahl im September 2021 im Amt zu bleiben.
Der laxe Umgang mit Munition ist nur ein Hinweis darauf, dass das KSK ein ungesundes Eigenleben abgeschottet vom Rest der Bundeswehr entwickelt hatte.
Motivation und Ausbildungsniveau der Elitesoldaten sind hoch. Das elitäre Bewusstsein der KSK-Soldaten und der daraus resultierende Korpsgeist sind einerseits erwünscht. Andererseits hat dieses Bewusstsein offensichtlich dazu geführt, dass sich rechtsextreme Tendenzen und Beziehungsgeflechte bei der Eliteeinheit gebildet haben, so der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels zum Deutschlandfunk:
"Ich glaube, dass Auswahl und Ausbildung bei den Spezialkräften eine besondere Rolle spielen. Man sucht die Härtesten der Harten. Man bildet sie dann in einer Weise aus, dass sie noch härter werden. Und für manchen mag das mental zu dem Schluss führen, dass er sich auch politisch jetzt das härteste, was er sich vorstellen kann, suchen muss. Und das ist dann der Nazi-Quatsch mit dem dann Einzelne in der Vergangenheit aufgefallen sind. Und ein zusätzliches Problem ist, wenn Kameraden dann aus falsch verstandener Kameradschaftspflicht glauben, sie müssten das nicht melden, es müsste ihnen nicht auffallen, es ist nicht so wichtig, weil man sich ja in den gefährlichen Situationen, für die man ausgebildet wird, eben 100-prozentig aufeinander verlassen will, auch können muss. Und dann ist eben der Kamerad mit der sehr seltsamen politischen Einstellung jemand, den man nicht anschwärzen will."
Weiter Misstände beim KSK
Auch Missstände abseits der Munitionsaffäre sind offensichtlich: Das KSK fiel auch durch rechtsextreme Vorfälle, Kontakte zu dubiosen Vereinen, bei Auftragsvergaben ohne Prüfung und durch die häufige Nebenbeschäftigung der Soldaten auf. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer selbst hat die Probleme klar benannt und hatte 2020 eine Gruppe unter der Leitung des damaligen Staatssekretärs Peter Tauber mit Reformvorschlägen beauftragt. Eine allgemeine und unter Verteidigungsexperten verbreitete Erklärung für problematische Entwicklungen ist, dass das KSK sich als ein abgetrenntes Biotop in der Bundeswehr entwickelt hat, mit manchmal eigenen Regeln und Sitten. Die zum Teil nötige Geheimhaltung, die elitäre Ausbildung, das Selbstbewusstsein der Truppe und die Personalauswahl tragen dazu bei. Der Grüne Verteidigungspolitiker Tobias Lindner kann sich damit abfinden, dass die Parlamentarier über laufende Einsätze des KSK nur im kleinen Kreis und geheim informiert werden. Er schlägt jedoch zum Beispiel vor, dass die Bundesregierung einmal im Jahr dem Verteidigungsausschuss über abgeschlossene Einsätze des KSK berichtet.
Schon öfter war die Truppe mit rechtsextremen Vorfällen aufgefallen. 2017 gab es ein Schlüsselereignis: Die zweite Kompanie des KSK fiel mit einer Party auf. Dabei hatte es einen Parcours unter dem Motto "römisch-mittelalterliche Spiele" gegeben, bei dem unter anderem Schweineköpfe geworfen wurden, was der Feier nachträglich den Namen "Schweinekopf-Party" in der Presse gab. Doch es ging nicht in erster Linie um die bizarr anmutenden Spiele, sondern darum, dass nach Angaben einer Augenzeugin dabei auch Rechtsrock gespielt wurde und es Hitlergrüße gegeben hatte. Bei anschließenden Ermittlungen stieß der Militärische Abschirmdienst (MAD) allerdings auf eine Mauer des Schweigens.
Das Fass zum Überlaufen brachte erst eine Durchsuchung auf dem Privatgrundstück eines KSK-Soldaten im Mai 2020. Mehrere tausend Schuss Munition und zwei Kilogramm Sprengstoff wurden gefunden. Damit nicht genug: Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, musste damals eingestehen, dass insgesamt beim KSK 85.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff fehlen, beziehungsweise nicht verbucht sind.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer löste einen von vier Kompanien[*] der Eliteeinheit auf und verordnete dem KSK eine Reform, die der Brigadegeneral Kreitmayr unter Aufsicht des Verteidigungsministeriums durchsetzen sollte.
Das KSK wurde 1996 als Reaktion darauf gegründet, dass im Bürgerkrieg in Ruanda 1994 deutsche Staatsbürger von belgischen Spezialkräften gerettet werden mussten, weil es keine entsprechenden deutschen Einheiten gab. Das KSK kann im Ausland Geiseln befreien oder Kriegsverbrecher festsetzen. Außerdem kann die Einheit Spezialaufklärung betreiben und Schlüsselinformationen in Krisengebieten einholen. Auch an der Ausbildung von ausländischen Truppen ist es beteiligt.
Bis auf die Linke fordert keine Partei die Auflösung des KSK, es wird als unverzichtbar angesehen. Das KSK soll aktuell zum Beispiel eine wichtige Rolle bei der Sicherung des Abzugs der deutschen Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan spielen.
*In einer vorigen Version haben wir die aufgelöste Einheit fälschlicherweise nicht als Kompanie bezeichnet. Wir haben dies korrigiert.