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Ellwangen
Mihalic: Ankerzentren der völlig falsche Weg

"Ich sehe nicht, dass der Rechtsstaat in die Knie gegangen ist", sagte die Grünen-Politikerin Irene Mihalic im Dlf zu den Vorfällen in Ellwangen. Zu überdenken sei aber die Unterbringung von Geflüchteten in Sammelunterkünften, weil dies die Ausbildung von Kriminalität begünstige.

Irene Mihalic im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 17.02.2017 bei der Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin.
    Erfahrene Polizeibeamte müssten sich zurückziehen, wenn die Umstände es nicht anders zuließen, so Irene Mihalic, selber ausgebildetete Polizeibeamtin (dpa/picture alliance/Bernd von Jutrczenka)
    Stefan Heinlein: Über die Vorfälle von Ellwangen und die neuerliche Debatte um die Asyl- und Flüchtlingspolitik möchte ich jetzt sprechen mit der Innenexpertin Irene Mihalic von den Grünen. Guten Abend, Frau Mihalic.
    Irene Mihalic: Guten Abend.
    Heinlein: Sie sind selber ausgebildete Polizeibeamtin, haben lange Jahre in Ihrem Beruf auch gearbeitet. Können Sie uns aus Ihrer Erfahrung berichten: Was geht in Polizisten vor, wenn sie wie gestern in Ellwangen von einem Mob bedroht werden und sich dann zurückziehen müssen?
    Mihalic: Ja, das ist natürlich kein Idealzustand. Das wünscht sich kein Polizist, wenn er zu so einem Einsatz gerufen wird und dann eine Maßnahme treffen möchte, dass er die dann am Ende auch nicht treffen kann, weil die Umstände es einfach nicht zulassen. Ich kann natürlich jetzt diesen Polizeieinsatz nicht im Detail bewerten, weil ich nicht dabei war und weil mir auch schlicht diese Detailkenntnisse über den Ablauf fehlen. Aber nach allem, was ich so mitbekommen habe, war der Rückzug, wenn man ihn so nennen will, absolut richtig und die Kolleginnen und Kollegen haben da wirklich sehr besonnen gehandelt, dass sie sich zunächst einmal zurückgezogen haben, um sich und andere auch nicht noch zusätzlich in Gefahr zu bringen.
    "Das sehe ich nicht als Kapitulation an"
    Heinlein: War es ein Fehler, dass Ihre Kollegen, diese Streifenwagen zunächst nicht in ausreichender Zahl offenbar vor Ort waren und ohne Spezialausrüstung versucht haben, diese Abschiebung durchzusetzen?
    Mihalic: Na ja, solche Abschiebungen finden ja regelmäßig statt und man kann auch nicht im Vorfeld damit rechnen, dass es am Ende so eskaliert, wie das jetzt in Ellwangen der Fall gewesen ist. Insofern gehe ich jetzt erst mal davon aus, dass die Beamtinnen und Beamten im Vorfeld alles dafür getan haben, dass der Einsatz auch gelingen kann. Dass es am Ende so eskalieren musste, das hat sicherlich so niemand vorhergesehen, und dieser Einsatz hat ja dann noch weitere Maßnahmen nach sich gezogen.
    Heinlein: Wie gefährlich, Frau Mihalic, ist es, wenn der Rechtsstaat vor einem Mob, egal ob das Neonazis sind, Hooligans oder jetzt Flüchtlinge, in die Knie geht?
    Mihalic: Ich würde das gar nicht so bezeichnen. Ich sehe nicht, dass hier der Rechtsstaat irgendwie in die Knie gegangen ist. Ganz im Gegenteil! Ein Polizeieinsatz muss natürlich immer von vornherein so geplant und auch angesetzt werden, dass alle Umstände, die zu diesem Einsatz gehören, auch berücksichtigt werden, dass er am Ende auch gut durchgeführt werden kann, auf der Basis unserer Gesetze. Das kann natürlich auch im Einzelfall erfordern, dass man sich zunächst einmal zurückzieht, wenn die Bedingungen andere sind, als man sie erwartet hat. Das sehe ich nicht als Kapitulation an, ganz im Gegenteil. Das erwarte ich von erfahrenen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auch, dass sie sich dann auch zurückziehen, wenn es die Umstände nicht anders zulassen, um auch deeskalierend zu wirken, weil die Alternative wäre wahrscheinlich gewesen, dass Polizeibeamte verletzt worden wären, dass vielleicht auch Geflüchtete verletzt worden wären, dass es am Ende vielleicht zu einer größeren Eskalation geführt hätte, und wenn man sich dann zurückgezogen hat, kann man die Lage neu bewerten und dann auch mit verstärkten Kräften dort noch mal vor Ort tätig werden, und das ist ja dann am Ende auch gelungen. Insofern sehe ich nicht, dass hier der Rechtsstaat in irgendeiner Art und Weise in die Knie gegangen ist oder, wie andere gesagt haben, sogar kapituliert hätte. Das würde ich überhaupt nicht so sehen.
    Geplante Ankerzentren "scharf zu kritisieren"
    Heinlein: Innenminister Seehofer hat die Vorfälle von Ellwangen als Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung bezeichnet. Haben Sie eine Schlagzeile für die Bewertung von Ellwangen?
    Mihalic: Ich verstehe erst mal nicht, was Herr Seehofer damit sagen will. Wenn sich Menschen nicht gesetzestreu verhalten, dann ist das natürlich immer ein Schlag ins Gesicht gegenüber denjenigen, die sich rechtstreu verhalten. Aber Kriminalität ist jetzt nicht etwas, was sich jetzt auf diesen Vorfall in Ellwangen beschränkt, sondern das findet tagtäglich an vielen Orten in Deutschland statt. Das ist natürlich jetzt ein Ereignis, das hat viele aufgewühlt, da wird natürlich noch mal die Frage aufgeworfen, wie kann so etwas sein. Ich persönlich würde da eine andere Schlussfolgerung daraus ziehen. Ich würde vielleicht eher überdenken, wie man Geflüchtete unterbringt, ob man sie in solchen großen Sammelunterkünften unterbringt, weil das natürlich immer die Gefahr birgt, dass sich da organisierte Strukturen bilden, dass es da eine ungute Dynamik gibt und dass da auch ein hohes Gewaltpotenzial sich anreichert und dann auch zu solchen Auswüchsen führt. Deswegen sind aus meiner Sicht die geplanten Ankerzentren, wie sie von Herrn Seehofer ja jetzt favorisiert werden und auch durchgeführt werden sollen oder eingerichtet werden sollen, scharf zu kritisieren.
    Heinlein: In Ellwangen, Frau Mihalic, sind etwa 500 Menschen untergebracht. Was ist denn für Sie eine noch akzeptable Größenordnung für Asylunterkünfte?
    Mihalic: Das hängt natürlich von der jeweiligen Einrichtung ab. Aber ich glaube, es geht in erster Linie auch um die Dauer. So eine Sammelunterkunft kann ja wirklich nur ein erster Schritt sein bei der Aufnahme von Geflüchteten. Dann muss natürlich das Ziel sein, dass die Geflüchteten so schnell wie möglich dezentral auch in eigenem Wohnraum untergebracht werden, damit man nicht diese Dauerlösung mit großen Sammelunterkünften hat, wo dann auch die Probleme, so wie wir sie jetzt in Ellwangen erleben mussten, entstehen können. Das sollte, finde ich, auch der Maßstab sein, dass dort nicht solche großen Einrichtungen zum Standard werden, wo sich dann die Probleme, die es ohnehin schon gibt, auch noch verschärfen können. Ich befürchte, dass mit den Ankerzentren genau das geschieht, dass sich vorhandene Probleme, die in Sammelunterkünften sowieso an der Tagesordnung sind, auch noch verstetigen, auch noch verschärfen können, und ausbaden müssen es dann am Ende die Einsatzkräfte der Polizei, die dann mit entsprechenden Kräften Maßnahmen vor Ort treffen müssen, und das kann nicht Sinn der Sache sein. Deswegen, finde ich, kritisiert die Gewerkschaft der Polizei diese Ankerzentren auch völlig zurecht, weil das ist einfach eine unausgegorene Politik auf dem Rücken der Einsatzkräfte und auch auf dem Rücken von geflüchteten Menschen.
    "Sammelunterkünfte ein ganz großes Problem"
    Heinlein: Viele argumentieren genau umgekehrt. Sie sagen, gerade in diesen großen Sammelunterkünften lassen sich die Menschen besser betreuen, besser versorgen, aber auch besser unter Kontrolle halten, als wenn diese 500 Menschen dann an 50 unterschiedlichen Stellen untergebracht sind.
    Mihalic: Das kann ich so nicht bestätigen, weil auch das Bundeskriminalamt legt uns ja in regelmäßigen Abständen Zahlen vor, wie es zum Beispiel mit der Kriminalität im Kontext von Zuwanderung bestellt ist. Da stellen wir immer wieder fest, dass wenn Kriminalität festgestellt wird von geflüchteten Menschen, dass sie sich zu einem großen Teil in solchen großen Sammelunterkünften abspielt. Wenn es um Gewaltkriminalität geht, aber auch wenn es um Diebstahl geht oder andere Dinge, dann sind gerade auch diese Sammelunterkünfte da ein ganz, ganz großes Problem. Wenn wir uns jetzt dieses Beispiel in Ellwangen anschauen, oder andere Widerstandshandlungen, wenn ein Geflüchteter abgeschoben werden soll, dann ist das natürlich aus meiner Sicht ein weiterer Beleg dafür, dass in solchen Sammelunterkünften, wenn Menschen dort auf Dauer untergebracht sind und auch in großer Zahl, es zu solchen Problemen kommt, die sich dann natürlich mit der Dauer des Aufenthalts auch noch verschärfen können. Das kann ja nicht in unserem Interesse sein. Auch im Interesse derjenigen, die dort untergebracht sind, aber auch im Interesse der Einsatzkräfte sollte eine dezentrale Unterbringung auf jeden Fall das Ziel sein.
    Heinlein: Besteht sogar die Gefahr von rechtsfreien Räumen in diesen Asylunterkünften, wenn die Menschen auf Dauer dort untergebracht sind?
    Mihalic: Ich finde diese Rhetorik nicht richtig, immer von rechtsfreien Räumen zu sprechen. Mir ist in Deutschland kein Ort bekannt, der in irgendeiner Art und Weise rechtsfrei ist, weil letzten Endes wird das Recht überall durchgesetzt, von staatlichen Einrichtungen, von Institutionen, von Polizei und Justiz. Es gibt also keinen Raum, wo die Polizei oder auch die Justiz nicht in der Lage wäre, durchzugreifen und Gesetze zur Anwendung zu bringen. Rechtsfreie Räume, diese Rhetorik finde ich da auch völlig fehl am Platz in diesem Zusammenhang.
    Aber es gibt natürlich Probleme, die in solchen Einrichtungen auftreten, und deswegen sollten wir doch alles daran setzen, eine Politik umzusetzen, die diesen Problemen entgegenwirkt, und da sind die Ankerzentren aus meiner Sicht der völlig falsche Weg.
    Heinlein: Soweit die grüne Innenexpertin Irene Mihalic. Wir haben das Gespräch kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.