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Elsass
Fremdbestimmt durch die Großregion "Grand Est"

Straßburg ist Hauptstadt der Region Grand Est, dem noch recht jungen Zusammenschluss der Regionen Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne. Die Gebietsreform hat Narben hinterlassen. Viele Elsässer befürchten, politisch unter die Räder zu kommen.

Von Tonia Koch |
Flaggen Frankreichs und der Stadt Strasbourg am Lycée Fustel de Coulangesin Straßburg.
Straßburg ist die Hauptstadt der Region Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine im Nordosten Frankreichs (picture alliance / imageBROKER / Michael Weber)
In Sichtweite des europäischen Parlamentes in Straßburg steht ein Glaspalast: das Haus der Region, der Sitz des Grand Est. Im dritten Stock hat sich eine Delegation aus Oberösterreich eingefunden. Die Kaffeetassen im Konferenzsaal werden noch schnell abgestellt und dann ertönt auch schon der Gong.
Claudine Ganter eröffnet die Sitzung. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Beziehungen und versucht, das Gebilde Grand Est zu umschreiben.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Europa, Straßburg, Paris - Phänomen Entfremdung.
"Wie sie bereits wissen, ist die Region Grand Est ein noch junges Gebilde mit enormer Ausdehnung, über 57.000 Quadratkilometer und mit insgesamt 750 Kilometer Grenze zu vier Nachbarstaaten."
Hollande setzte die Gebietsreform durch
Im Rahmen einer Gebietsreform wurde vor drei Jahren aus dem Elsass, der Champagne-Ardenne und Lothringen eine große Ostregion geformt. Sie reicht von Reims vor den Toren von Paris über Metz, Nancy und Straßburg bis nach Mühlhausen an der Schweizer Grenze und ist zwei Mal so groß wie Belgien. Jean Rottner ist Präsident des Grand Est. Der konservative Politiker gehört den Republikanern an und ist so was wie ein Ministerpräsident, nur nicht mit den gleichen Kompetenzen. Rottner befürwortet die neu geschaffene Verwaltungseinheit, weil er überzeugt ist, dass der französische Zentralismus als allein selig machendes Handlungsprinzip ausgedient hat.
"Wir brauchen ein Recht auf Differenzierung. Alles über einen Kamm zu scheren, alles, überall mit den gleichen Mitteln lösen zu wollen, das geht doch schon lange nicht mehr."
Aber die von Paris angebotenen Freiheiten blieben weit hinter dem zurück, was die Politiker vor Ort erwartet hatten, auch finanziell. Der erste Präsident des Grand Est, Philippe Richert, warf nach kurzer Zeit das Handtuch. Er konnte den Elsässern die Sorge vor dem Verlust ihrer Identität nicht nehmen. Das Unbehagen wuchs. Umfragen zufolge sind nach wie vor 80 Prozent der elsässischen Bevölkerung gegen die Fusion mit den beiden anderen Regionen. Schließlich sah sich die Regierung Macron gezwungen zu handeln.
Ab 2021 bekommt das Elsass mehr Kompetenzen
Raus aus dem Grand Est darf das Elsass zwar nicht, aber ab 2021 soll es mehr Kompetenzen bekommen. Es wird eine neue Gebietskörperschaft mit Namen "Collectivité européene d’Alsace" geschaffen, die Jean Rottner, der neue Präsident des Grand Est, nutzen möchte.
"Wir wollen die Zweisprachigkeit, den Bereich Tourismus und alles, was grenzüberschreitend läuft, selber regeln, das sind die drei wesentlichen Ebenen dieser Vereinbarung."
Noch halten die beiden anderen Mitglieder des Grand Est, Lothringen und Champagne d’ Ardenne die Füße still. Sie haben gegenüber Paris auch keine eigenen Forderungen gestellt. Dabei hätten sie gute Gründe, auf aktuelle Entwicklungen zu pochen. Ganz besonders beim Thema grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Schließlich schickt Lothringen viel mehr Grenzgänger zum Arbeiten nach Luxemburg und Deutschland als das Elsass über den Rhein und in die Schweiz. Jean Rottner versucht, die Benachteiligung gegenüber dem Elsass wegzuwischen.
"Mit der collectivité d‘ Alsace geht es nur um ein klein wenig mehr Anerkennung für diesen ausgeprägten Willen, eines Landstriches eine positive Rolle zu spielen. Heute hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nichts mehr mit abwarten und Teetrinken zu tun, sondern es geht um sehr konkrete Projekte."
"Das Elsass ist nicht das Grand Est"
Das Autonomiestreben der Elsässer war schon immer deutlich ausgeprägter als das der Lothringer. Und Rottner, lässt keinen Zweifel daran, dass er die Dinge zum Wohle des Elsass entscheiden möchte, ohne sich ständig in Paris absichern zu müssen, so wie es die Korsen oder die Basken machen.
"Das Elsass wünscht als kompetenter Partner der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu gelten und das Elsass ist eben nicht der Grand Est. Es schaut nach Baden-Württemberg. Punkt."
Ein Präsident des Grand Est kann es sich nicht leisten, das Autonomiestreben der Elsässer zu ignorieren auch wenn viel davon auf nostalgisches Empfinden zurückgeht. Die junge Generation redet lieber Englisch statt Elsässerdeutsch oder Hochdeutsch. Auch politisch steht einiges auf dem Spiel, gerade für die bürgerlichen Parteien. Denn die elsässische Bevölkerung hat bereits mehrfach gezeigt, dass sie nicht lange fackelt und einer extremen Rechten wie Marine Le Pen die Steigbügel hält. Mit wirtschaftlichen Kenndaten, auch wenn diese nicht eben rosig sind, hat das wenig zu tun. Vom Elsass als einer abgehängten Region könne sicher nicht die Rede sein.
"Es gibt viel Angst vor dem Neuen, Verlustängste und dieses Gefühl: jeder für sich. Dann dieser Trotz, dieser Widerspruchsgeist, der auch einem berühmten gallischen Dorf eigen ist. Aber ich trete für ein offenes Elsass ein und für einen Verbleib im Grand Est."
Straßburg - die europäische Hauptstadt
Rottner bemüht sich um eine Standortbestimmung für das Elsass und auch für Straßburg, die stolze Metropole. Metz, Reims und Nancy haben Straßburg den Vortritt gelassen, als es darum ging, wer wird Verwaltungssitz also sozusagen Hauptstadt des Grand Est. Aber die Stadt sei eben mehr als ein regionales Zentrum, Straßburg sei eben auch eine europäische Hauptstadt, so Rottner.
"Straßburg muss europäische Hauptstadt bleiben, das ist ein starkes Symbol der deutsch französischen Freundschaft."
Diese Freundschaft will gelebt werden, nicht nur im Elsass, sondern auch im größeren Rahmen des Grand Est.