Nur wenige Jahre liegen zwischen der braven, fast ein wenig schüchtern in die Kamera blickenden Bankierstochter Elisabeth Schüler in Elberfeld und der selbstbewussten Bohème-Dichterin Else Lasker-Schüler, die in Berlin im legendären "Café des Westens" Hof hält. Fast zufällig hat ein Fotograf die spätere Szene 1905 für die Rubrik "Von Berliner Stammtischen" in der Beilage des "Berliner Tageblatts" festgehalten. Neben Else Lasker-Schüler sitzt ihr Ehemann, der Schriftsteller, Komponist, Verleger und "Sturm-Galerist" Georg Lewin, dem sie den Namen "Herwarth Walden" gegeben hatte. Für ihn hatte sie die bürgerliche Existenz als unglückliche Ehefrau des Berliner Arztes Berthold Lasker aufgegeben. An seiner Seite wurde sie zur erfolgreichen Lyrikerin. Als sich die 41-Jährige 1910 auch von Walden trennte, war die Dichterin finanziell auf die Unterstützung von Freunden wie Karl Kraus, Gottfried Benn und Franz Marc angewiesen, der sich auch maßgeblich an einer Benefizauktion für sie beteiligte.
Sehnsuchtsstadt Theben
Die Dichterin war auch Zeichnerin: Faszinierend sind die Blei- und Farbstiftblätter anzusehen, auf denen sie – zum Teil mit Farb- und Goldpapier collagiert – die Welt ihres Alter ego, des Prinzen Jussuf von Theben, zeigt: Schlangentänzer und Indianerinnen, Elefanten und Dromedare, Häuptlinge und ihre Söhne – und immer wieder Phantasieansichten der Sehnsuchtsstadt Theben. Nicht nur in ihren Gedichten gelang es Else Lasker-Schüler, ein ganzes Universum lebendig werden zu lassen.
Schon lange vor der Vertreibung durch die Nazis ins Exil sind diese Zeichnungen entstanden – also nicht als Reaktion auf politische Ereignisse, sondern als autonomer Entwurf einer poetischen Gegenwelt in Text und Bild. Natürlich war Else Lasker-Schüler nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auch "Die Verscheuchte", als die sie sich in einem ihrer bekanntesten Gedichte selbst darstellte. "Man ist ja nicht allein ein Emigrant, wenn man ein Emigrant ist. Daran setzt sich alle Schmach und Verlassenheit und alles Elend", schrieb sie in einem Brief aus dem Exil 1935. Die Wuppertaler Ausstellung zeigt Else Lasker-Schüler aber nicht als Opfer politischer oder öknomischer Umstände, sondern als selbstbewusste Frau, die ihr Leben so gestaltete, wie sie es für richtig hielt und es ihr möglich war. Und sie zeigt – zum ersten Mal seit der Ausstellung 2010 im Jüdischen Museum Frankfurt – die Dichterin auch ausführlich als bildende Künstlerin.
Kulturelles Umfeld
Die erstklassige eigene Sammlung des Von der Heydt-Museums macht es möglich, dabei auch das kulturelle Umfeld des Doppeltalentes zu zeigen: Kuratorin Antje Birthälmer hat ihr großartige zeitgenössische Hauptwerke von Alexej Jawlensky, Wassily Kandinsky und Franz Marc, Oskar Kokoschka und Karl Schmidt-Rottluff, Plastiken von Renée Sintenis und Milly Steeger, Papierarbeiten von George Grosz und Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee und Christian Rohlfs zur Seite gestellt. Auf diese Weise wird eine ganze Kulturepoche lebendig, die 1933 brutal zu Ende ging. 150 Jahre nach ihrer Geburt ist Else Lasker-Schüler damit nach Wuppertal-Elberfeld zurückgekehrt. Und das Von der Heydt-Museum ist dafür genau der richtige Ort.