Für Walter Momper, der den Satz von den Deutschen als dem "glücklichsten Volk der Welt" vor 30 Jahren geprägt hat, gilt er auch heute noch. Lukas Bärfuss, Schweizer Dramatiker und Büchner-Preisträger 2019, sagt, für die Wiedervereinigung werde man den Ostdeutschen für immer dankbar sein.
Doch viele Ostdeutsche teilen die Freude nicht. Die Wiedervereinigung hat Arbeitsbiographien, vielleicht die kulturelle Identität großer Teile der Bevölkerung zerstört. Vieles ist schief gelaufen beim Prozess der Wiedervereinigung. Zur Streitfrage "Das glücklichste Volk der Welt" - Hält die Freude an? diskutieren die Künstlerin Elske Rosenfeld und der Historiker Dierk Hoffmann:
Elske Rosenfeld
"Ich persönlich habe mich über die Wiedervereinigung eigentlich nie gefreut. Ich gehörte 89/90 zu Leuten, die sich mit der Bürgerbewegung sehr stark identifiziert haben, die damals als erste auf der Straße waren. Und die natürlich zunächst nicht für diese Wiedervereinigung demonstriert haben, sondern für einen sogenannten dritten Weg, für einen eigenständigeren und gleichberechtigteren Weg in eine mögliche Annäherung der deutschen Staaten auf Grundlage der Erfahrung des Staatssozialismus und seines Scheiterns. Darüber hinaus denke ich an den Begriff "Volk": Wer ist das und wer in diesem Volk konnte sich damals schon auch nicht besonders über die Wiedervereinigung freuen? Ich denke da an die Migrant*innen in Ost und West. Und drittens würde ich gern die Frage stellen, wie glücklich die Leute, die für diese Wiedervereinigung gestimmt haben bei der Volkskammerwahl im März, tatsächlich über den dann eingeschlagenen Weg waren."
Elske Rosenfeld forscht als Künstlerin, Autorin und Kulturarbeiterin zur Dissidenz in Osteuropa und zu den Ereignissen 1989/90. Sie hat das Projekt "Palast der Republik" im Haus der Berliner Festspiele im Frühjahr 2019 kuratiert, ein Festival für Gegenerzählungen.
Dierk Hoffmann
"Der Mauerfall, die Friedliche Revolution, die deutsche Einheit sind glückliche Momente in der wechselvollen Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Dass die Friedliche Revolution friedlich geblieben ist, war für die Zeitzeugen bis zum Abend des 9. Oktober 1989 ungewiss. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Montags-Demonstrationen in Leipzig wussten nicht, ob die Staatsmacht zurückschlagen würde. Und die Proteste im Keim ersticken würde mit Gewalt, wie am 17. Juni 1953 oder wie wenige Monate zuvor auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Die deutsche Einheit wurde zustimmend begleitet nicht nur von den vier Siegermächten, sondern auch bei allen europäischen Nachbarn. Auch das ist, angesichts des Beginns des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland und der deutschen Verbrechen, insbesondere auch des Holocaust an den europäischen Juden, alles andere als selbstverständlich und insofern durchaus eine glückliche Fügung."
Prof. Dierk Hoffmann ist Historiker und stellvertretender Abteilungsleiter am Institut für Zeitgeschichte München - Berlin (IfZ). Er leitet ein auf mehrere Jahre angelegtes Forschungsprojekt zur Rolle und zur Geschichte der Treuhand und den Folgen der Privatisierungspolitik.