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Elterngeld oder Betreuungsgeld?

Zu den wichtigsten Maßnahmen in der Familienpolitik der vergangenen vier Jahre gehört das Elterngeld. Die "Zeit"-Journalitin Elisabeth Niejahr begrüßt die Maßnahme, der Deutschlandfunk-Redakteur Jürgen Liminski bevorzugt das Betreuungsgeld.

Elisabeth Niejahr und Jürgen Liminski im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Blickt man kurz vor der Bundestagswahl auf die letzten vier Jahre zurück, dann sorgte die Familienpolitik für reichlich Gesprächsstoff. Ursula von der Leyen hat die Familienpolitik der Union erheblich reformiert, nicht wenige meinen sogar auf den Kopf gestellt. Es gab zum Teil erheblichen Widerstand auch aus den eigenen Reihen. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört das Elterngeld, das junge Eltern mindestens ein Jahr lang erhalten, und die Große Koalition hat für die Zeit ab dem Jahr 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der Kita festgeschrieben. Beides, Elterngeld und Kita-Anspruch, soll es besonders Frauen erleichtern, Beruf und Familie zu vereinbaren, doch ob diese Anliegen von Erfolg gekrönt sind, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Elisabeth Niejahr, Kollegin von der "Zeit", befürwortet in weiten Teilen die neue Familienpolitik der Union. Guten Morgen, Frau Niejahr!

    Elisabeth Niejahr: Guten Morgen!

    Heinlein: Jürgen Liminski, Deutschlandfunk-Redakteur und Autor mehrerer Sachbücher, steht der Politik der Familienministerin dagegen eher kritisch gegenüber. Guten Morgen, Herr Liminski.

    Jürgen Liminski: Guten Morgen.

    Heinlein: Frau Niejahr, an Sie die erste Frage. Die Geburtenzahl 2008 ist zurückgegangen, wenn auch nur leicht. Haben alle Reformen am Ende doch nicht funktioniert, Väter und Mütter sind nicht überzeugt?

    Niejahr: Diese Annahme halte ich für falsch. Ich glaube, dass die Geburtenraten ohne diese neue Familienpolitik noch viel niedriger wären in Deutschland. Wir haben jetzt einfach junge Männer und Frauen, die im Familiengründungsalter sind, die zu geburtenschwächeren Jahrgängen gehören als die Baby-Boomer. Schon deswegen ist klar, dass die Geburtenraten zurückgehen. Es gibt einfach platt gesagt viel weniger Frauen im gebärfähigen Alter als noch vor 10, 15 Jahren. Und ohne diese ganzen ermutigenden Dinge, die Sie gerade genannt haben, Kita-Ausbau, Elterngeld und so weiter, aber auch ohne die gute Stimmung der letzten Jahre, Boom-Jahre, Aufschwung-Jahre, Jahre, wo die Leute sich vielleicht nicht ganz so viel Sorgen um ihren Job gemacht haben, wäre die Bilanz wahrscheinlich schlechter.

    Heinlein: Herr Liminski, sind Sie auch froh, dass es das Elterngeld gibt?

    Liminski: Nein, eigentlich nicht. Ich bin natürlich froh, das ist ein Tippelschritt in die richtige Richtung, dass man einen Lohnersatz mal endlich eingeführt hat, aber es ist viel zu kurz und viel zu wenig und geht vor allen Dingen auf Kosten der Geringverdiener, denn vorher hatten die Geringverdiener 24 Monate ein Erziehungsgeld und jetzt haben sie es eben nur zwölf Monate und ich glaube, dass insofern diese Maßnahme ihr Ziel verfehlt. Man sieht es ja in der Tat auch an den Geburtenziffern.

    Heinlein: Frau Niejahr, ist das eine Politik für den Mittelstand?

    Niejahr: Absolut! Wir haben in diesen Jahren auch eine Umverteilung von unten nach oben gehabt. Das ist richtig. Für Geringverdiener mit Kindern hat sich die Lage erst mal verschlechtert, weil da weniger Geld gezahlt wurde, und das war politisch gewollt. Wir hatten vorher diese ganzen Debatten über kinderlose Akademikerinnen. Das war eine Politik, die auf diese Zielgruppe ausgerichtet war, dass man einen bestimmten Typus von berufstätigen Frauen ermutigt - oder auch Männern, Kinder zu bekommen, Familien zu gründen und so weiter. Ich halte das in der Sache trotzdem für richtig, weil wir da in Deutschland wirklich auch ein Defizit und einen Nachholbedarf haben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Problemthema bei uns und die ganzen demografischen Prognosen, gerade wenn man sich Länder wie Frankreich anguckt, die ja in der ganzen sozio-ökonomischen Struktur nicht so anders sind als wir, zeigen, dass es eben auch ganz anders geht. Da hat Deutschland also ganz viel aufzuholen. Deswegen finde ich diesen Ansatz zu sagen, nicht nur jemand, der wegen Krankheit ausfällt, der wegen Arbeitslosigkeit ausfällt oder anderen Dingen, kriegt so eine Art Lohnersatzleistung für eine bestimmte Zeit, diesen Ansatz finde ich richtig. Das heißt aber nicht, dass man nicht für Leute mit geringen Einkommen trotzdem mehr tun sollte in anderen Bereichen.

    Liminski: Ich glaube, dass wir wirklich einen echten Nachholbedarf haben, nämlich in Teilzeitangeboten. Es ist erwiesen, dass die Frauen in ihrer überwiegenden Mehrheit Teilzeitjobs haben möchten, um sozusagen Beruf und Familie besser zu vereinbaren, und das ist in Dänemark der Fall. Dort bevorzugt man das 1,5-Verdiener-Modell, also einer, der sozusagen Vollzeit arbeitet, und der zweite eine Teilzeitstelle. Da ist sozusagen bei uns auch die Wirtschaft gefordert und die Politik könnte der Wirtschaft durchaus Beine machen, und das geschieht leider nicht, weil, wie ich annehme, die Politik hier viel zu sehr der Wirtschaft gehorcht und an die stille Reserve der Frauen ran will. Wir wissen ja: Die Demografie macht uns Schwierigkeiten und wir brauchen die stille Reserve der gut ausgebildeten Frauen.

    Niejahr: Da widerspreche ich Ihnen schon. "An die stille Reserve ran will" ist eine Formulierung, die mir gar nicht über die Lippen gehen würde, weil ich eine hohe Erwerbsquote von Frauen grundsätzlich für eine gute Sache halte. Wenn man sich anschaut, wo in Deutschland eigentlich Not bei Familien besteht, also welchen Familien es besonders schlecht geht, da kommt man ganz schnell zum Beispiel auf die große Zahl der alleinerziehenden Mütter, die großenteils berufstätig sein wollen, wo sich auch zeigt, dass die nicht zu Hause sind großenteils, weil die schlechter ausgebildet sind, weniger motiviert sind und so weiter, sondern weil es entweder mit der Betreuung nicht funktioniert, oder weil die zum Teil auch höchstens sehr schlecht bezahlte Jobs bekämen, womit man wieder dann die Kinderbetreuungskosten nicht finanzieren kann. Das klassische Familienmodell von der Ein-Verdiener-Ehe und der Hausfrau, die bei den Kindern zu Hause bleibt, ist in Deutschland anders als in vielen anderen Industrieländern weniger ersetzt worden durch so gleichberechtigte Ernährermodelle, wo beide Eltern Teilzeit arbeiten, sondern in Deutschland ist das abgelöst worden durch die Arbeitsteilung, er hat eine gut bezahlte Stelle und Mama macht einen 400-Euro-Job, und das halte ich für eher eine Teilzeitfalle. Damit ist keine wirkliche Altersversorgung für die Frauen verknüpft. Wenn man sich anschaut, was für Scheidungsraten wir haben, wie viele Familien auf Dauer nicht bestehen, ist das eigentlich eine Rechnung, eine Lebenssituation, in die viele Frauen reingehen, die aber weder ihnen, noch mittelfristig auch ihren Kindern möglicherweise wirklich gut tut.

    Liminski: Aber Teilzeitfalle ist ja nun auch so ein Wort, das insinuiert, das sei kein vollwertiger Job. Es ist ja eine Teilzeit, um sozusagen dem zweiten Beruf, nämlich den Beruf der Mutter nachzugehen. Deswegen glaube ich, dass die Politik gerade die Mängel, die Sie bei Teilzeitjobs ja anbringen, beseitigen könnte. Sie müsste in der Tat etwas mehr Druck auf die Wirtschaft ausüben, dass die Teilzeitjobs auch entsprechend ausgestattet, sozialpflichtig und so weiter sind, und eben nicht nur 400-Euro-Jobs.

    Heinlein: Herr Liminski, die CSU will ja ein Betreuungsgeld - die Gegner sagen boshaft, eine Herdprämie – für Eltern, die ihre Kinder daheim lassen und nicht in Betreuung schicken. Entspricht dies Ihren Vorstellungen? Wäre das eine richtige Maßnahme?

    Liminski: Ich glaube, das ist eine richtige Maßnahme. Auch das ist in anderen Ländern schon längst der Fall, und zwar mit sehr viel höheren Beträgen, als es bei uns sozusagen angestrebt ist. Es soll ja erst 2013 eingeführt werden. Das ist eine Anerkennung der Erziehungsleistung der Mütter, die wirklich nicht in Kleckerles aufgewogen werden kann, und schon gar nicht, wie das immer wieder versucht wird, auch übrigens von der Kanzlerin, in Gutscheinen umzusetzen. Hier kann ich nur mit Kirchhof sagen, gute Scheine sind besser als Gutscheine.

    Heinlein: Frau Niejahr?

    Niejahr: Ich glaube, wir haben in Deutschland ein so riesiges Defizit bei der Unterstützung von armen und benachteiligten Kindern, dass es einfach sinnvoll ist, da viel mehr Geld als bisher zu investieren, sowohl in eine bessere Betreuungsinfrastruktur, die gerade sozial Schwachen zugutekommt. Herr Liminski, es gibt einfach ganz viele Kinder in Deutschland, für die ist es ein Segen, wenn sie nicht zu Hause bei ihren Eltern bleiben, sondern zumindest teilweise auch in Betreuungsinstitutionen, in guten Kitas mit qualifizierten Erzieherinnen und so weiter sind. Das mag für einen breiten Teil der Mittelschicht nicht der Fall sein, aber es gibt viele Gründe, sich in Deutschland eben auch Sorgen um die anderen zu machen, um die Kinder, die ohne Socken in die Kita kommen, wenn sie überhaupt kommen, die zu Hause nicht vernünftig Deutsch lernen, die in der Grundschule eigentlich schon fast zu alt sind, um mit annähernd gleichen Chancen wie andere Kinder starten zu können. Das ist eigentlich der Bereich, wo ich finde, die nächste Regierung sollte Geld reinstecken, oder die alte hätte es in stärkerem Maße tun sollen. Ich glaube, das Betreuungsgeld ist nicht unser größtes Problem.

    Liminski: Aber, Frau Niejahr, gerade bei der Qualitätsdebatte hat diese Regierung ja kläglich versagt. Wenn wir wirklich für die 500.000 Kita- oder Krippenplätze Betreuerinnen haben wollten, und zwar mit einem, sagen wir mal, relativ ordentlichen Schlüssel von eins zu fünf, dann müssten wir ja Ausbildungsplätze für 100.000 Erzieherinnen schaffen. Haben Sie in irgendeinem Budget irgendwo mal etwas davon gesehen? Ich nicht. Und deswegen auch hier wieder mein Verdacht, dass es der Regierung nur darum geht, Parkplätze für die Kinder zu schaffen, damit die Frauen arbeiten können.

    Niejahr: Herr Liminski, das liegt auch an Leuten wie Ihnen, die im Zweifel dafür plädieren, den Familien das Geld lieber jetzt in die Hand zu geben, zum Beispiel mit dem Betreuungsgeld. Im Moment haben wir eine Situation, wo die Politik nicht etwa das Familiengründen oder Kinderreichtum begünstigt oder unterstützt, sondern das verheiratet sein. Wir laufen jetzt auf Jahre leerer Kassen zu und ich glaube, da muss man einfach noch mal neu erfinden, was man tun will. Es ist sehr einfach zu gestalten, wenn man viel Geld hat, es ist sehr viel anspruchsvoller, was jetzt in den nächsten vier Jahren kommt, und das gilt für alle, egal wer regiert.

    Liminski: Aber da würde ich doch einen Widerspruch anmelden wollen. Politik des Geldausgebens, das stimmt ja einfach nicht. Diese Regierung hat das Kindergeld um zwei Jahre gekürzt, sie hat die Eigenheimzulage gestrichen, sie hat die Verbrauchssteuern erhöht, das hat alles die Familien sehr stark getroffen. Hinzu kamen dann noch die Studiengebühren. Da hat sie den Familien sehr viel mehr Geld abgenommen, als sie durch das Elterngeld überhaupt geboten hat, ein vielfaches. Wenn man den Familien sozusagen die Möglichkeit gibt, die Freiheit gibt, ihren Konsum und das Geld selber zu bestimmen, dann ist das sehr viel mehr wert. Und im Übrigen: Ich verstehe auch nicht, warum soll man den Familien nicht ein Bruchteil nur von dem geben, was man anderen sogenannten systemrelevanten Institutionen wie den Banken auch gibt. Die Familie ist die systemrelevanteste Institution überhaupt. Ich sehe das allerdings auch bei der nächsten Regierung, egal welche gebildet wird, nicht.

    Heinlein: Die Familienpolitik der Koalition, darüber sprachen wir heute Morgen mit Elisabeth Niejahr von der "Zeit" und meinem Deutschlandfunk-Kollegen Jürgen Liminski. Vielen Dank an Sie beide.