EM 2024
Die Polizei räumt für die EM auf

Laut einem Bericht des Bundesarbeitsministeriums sind in Deutschland mehr als 260.000 Menschen ohne Wohnung. Fast 39.000 Menschen leben auf der Straße. Während der Fußball-EM soll es zur Verdrängung von obdachlosen Menschen gekommen sein.

Von Ronny Blaschke | 07.07.2024
Ein Obdachloser ist am Bahnhof Zoo zu sehen, wie er in seinen Habseligkeiten kramt.
Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass im Schatten der EM Obdachlose verstärkt aus dem Stadtbild verdrängt werden. (dpa / picture alliance / Schoening)
Fröhliche Fans in ihren Landesfarben. Solche Bilder prägen die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Doch Jörn Sturm möchte auf eine weniger sichtbare Entwicklung hinweisen. Als Geschäftsführer des Straßenmagazins „Hinz und Kunzt“ setzt er sich für obdachlose Menschen ein. Jörn Sturm sagt, dass die EM insbesondere am Hamburger Hauptbahnhof zu einer Verdrängung beigetragen habe.
„Polizisten kommen um die Ecke und die Obdachlosen stehen auf und verlassen die Plätze. Die eigentliche Kontrolle ist dann schon gar nicht mehr notwendig, weil obdachlose Menschen eben nicht gern in Kontakt mit der Polizei kommen. Man will den Eindruck erschaffen, dass Hamburg nicht ein Ort ist, in dem viele Menschen auf der Straße leben. Aber faktisch ist es halt so. Hamburg hat über 2000 Obdachlose, hat sehr viele Wohnungslose.“

"Straßensozialarbeiter finden ihre Klienten nicht mehr"

Am Hamburger Hauptbahnhof haben die Kontrollen von Polizei, Sicherheitsdiensten und Bahnmitarbeitern in den vergangenen Monaten zugenommen. Dieser Eindruck, sagt Jörn Sturm, sei ihm mehrfach von obdachlosen Menschen bestätigt worden. Eine Konsequenz: Zahlreiche Obdachlose hätten sich in Hamburg woanders einen Schlafplatz gesucht, zum Beispiel am Bahnhof Altona oder am Bahnhof Holstenstraße.
„Da tauchen jetzt vermehrt Obdachlose auf. Und das ist ja auch für die Straßensozialarbeit ein Riesenproblem, weil die finden ihre Klienten nicht mehr. Und Straßensozialarbeit hat unglaublich viel mit Vertrauen zu tun.“
Die Behörde für Inneres und Sport in Hamburg möchte diesen Vorwurf nicht gelten lassen. Auf Anfrage schickt sie eine ausführliche Stellungnahme. Darin heißt es, dass nach der Pandemie auch am Hamburger Hauptbahnhof eine, Zitat, „Verschlechterung der Aufenthaltsqualität“ festgestellt wurde. Folglich wurden die polizeilichen Kontrollen erhöht. Zudem wurden aber auch die sozialen Angebote erweitert, heißt es in der Stellungnahme:
„So gibt es im direkten Bahnhofsumfeld die Bahnhofsmission, die Tagesaufenthaltsstätten Herz As und Cari Care sowie die seit Anfang 2023 neu dazugekommen die Tagesaufenthaltsstätte Spaldingstraße. In den Tagesaufenthaltsstätten stehen den obdachlosen Menschen dabei unabhängig davon, ob sie hier in Deutschland leistungsberechtigt sind oder nicht, umfassende Beratungsangebote zur Verfügung.“

Klagen gegen Gastgeberstädte werden geprüft

Jörn Sturm vom Magazin „Hinz und Kunzt“ steht offiziellen Stellungnahmen der Stadt eher skeptisch gegenüber. Und er ist damit nicht allein: Die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“, ein Netzwerk von Juristen und Netzpolitikern, prüft nun rund um die EM mögliche Klagen gegen die Gastgeberstädte, auch in Hamburg, sagt die Juristin Luisa Podsadny.
„Das wurde ganz massiv beobachtet, dass obdachlose Menschen auf der Straße ein Platzverweis erteilt wurde durch die Polizei. Und das bedeutet eigentlich: im juristischen Sinne braucht es dafür eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Und wir sehen es oft nicht als gegeben an.“
Die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ strebt eine strategische Klage an, um die Umstände solcher Platzverweise rechtlich zu klären. Ein Urteil könnte bundesweit Relevanz haben. „Abseits abschaffen.“ So heißt die Kampagne der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ gegen Verdrängung bei dieser EM. Damit sollen auch die Beratungsangebote für obdachlose Menschen gestärkt werden.
Denn häufig wissen diese nicht, wogegen sie vorgehen können. Zudem mangele es an finanziellen Mitteln, sagt Luisa Podsadny, und auch Sprachbarrieren spielen mitunter eine Rolle.
„Also es gibt auch andere Maßnahmen, die wir für rechtswidrig halten. Verschiedene Verkehrsbetriebe gehen zurzeit verstärkt dagegen vor, dass Menschen in den Bahnen betteln. Die haben in ihren Beförderungsbedingungen ein ganz pauschales Bettelverbot festgehalten, das wir auch in dieser Form nicht für rechtmäßig halten. Weil das sind staatliche Betriebe, die dürfen nicht einfach grundrechtlich geschütztes Verhalten pauschal verbieten. Das müssen sie schon irgendwie erklären.“

Vorwürfe der Verdrängung gibt es aus mehreren Städten

Vorwürfe der Verdrängung von obdachlosen Menschen wurden zuvor in Hamburg, Berlin und Dortmund laut. Die Stadtverwaltungen weisen das jedoch zurück. Immer wieder erhalten sie von Einwohnern Beschwerden über Obdachlosen-Camps. Die Folge sind reguläre Kontrollen, sagt auch der Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal.
„Das Campieren und Lagern auf öffentlichen Flächen ist in Dortmund untersagt. Und deswegen machen wir mit unseren Ordnungskräften genau das, was wir seit über zwei Jahren intensiv tun. Nämlich auch die Menschen darauf hinzuweisen, sie zu bitten, auch den Ort zu verlassen. Das machen wir auch während der EM, so wie wir es vorhergemacht haben. Das ändert sich dadurch nicht.“
In Hamburg hat Jörn Sturm, der Geschäftsführer des Straßenmagazin „Hinz und Kunzt“, viel Zuspruch für seinen Vorstoß bei der EM erhalten. Und auch die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ will mit Hilfe des Turniers auf den größeren Kontext hinweisen. Luisa Podsadny fasst es so zusammen: „Aus unserer Sicht gibt es ein Recht auf Wohnen. Und das muss vom Staat sichergestellt werden.“