Vier Turniere als Spieler, neun als Verantwortlicher beim DFB: Der ehemalige DFB-Direktor ist bei dieser EM erstmals seit Jahren nur noch in der Beobachterrolle. Von 2006 bis 2022 war Bierhoff als Manager der Nationalmannschaft und DFB-Direktor ganz dicht dran am Team und bei jeder EM oder WM dabei.
Er musste sich etwas umstellen, sagte er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. „Ich habe mich auch drauf gefreut, das Ganze mal von außen zu sehen. Natürlich ist die Anspannung eine andere. Aber ich habe, das muss ich ehrlich zugeben, diese Anspannung bei den Turnieren immer sehr gemocht. Das war immer wieder ein Highlight für uns, gerade bei der Nationalmannschaft, wenn du weißt: Jetzt kommt die große Zeit.“
Die Nationalmannschaft als Fulltime-Job
Die Nationalmannschaft während eines Turniers zu führen, sei ein Fulltime-Job, der 24 Stunden, sieben Tage die Woche andauere. „Wir waren ja bis 2018 bei jedem Turnier bis zum Ende dabei. Letztendlich sechs Wochen 24 Stunden mit dem Betreuerstab, den Trainern, arbeitet man am Ziel. Das war schon besonders toll.“
Er habe es immer geliebt, sich mit dem Team voll einzulassen und ein bisschen hinter der Wagenburg zu versammeln, gab der Sportfunktionär zu. „Was ich immer genossen habe, war auf der einen Seite, in dieser eigenen Blase zu sein, wo man voll fokussiert ist, miteinander arbeitet. Aber auch ein bisschen Frieden hat von dem, was von draußen alles auf einen einströmt.“
"Die wichtigste Aufgabe war, dass ich geschaut habe, dass keine Brände entstehen“
Wichtig sei dabei besonders, in den größten Drucksituationen die Leichtigkeit und den Spaß nicht zu verlieren, sagte der 56-Jährige. "Das ist ein Ratschlag, den ich jedem gebe: entdramatisieren. Da kann man hinterher sagen, das sind ganz wichtige Momente, alle schauen drauf. Und man macht irgendeinen Spaß, versucht die Situation aufzulockern. Weil es hilft ja nicht, wenn du als Verantwortlicher da auch verkrampft an der Seite stehst.“
Enorm wichtig sei dabei auch, im engsten Team enorm verbunden zu sein, auch wenn man nicht immer einer Meinung sein können. "Nach außen hin musst du da wie eine Eins stehen.“ An der Nationalmannschaft sei von allen Seiten immer gezerrt und gezogen worden. "Jeder will irgendetwas von der Mannschaft", sagte er. „Die wichtigste Aufgabe bei mir war im Turnier, dass ich eigentlich nur beobachtet und geschaut habe, dass keine Brände entstehen.“
Bierhoff begeistert von der EM 2024 in Deutschland
Dabei habe er immer frühzeitig versucht, aufkeimende Streitigkeiten zu entschärfen und rechtzeitig anzusprechen. "Für mich war immer wichtig, neben dem Trainer, der die technischen Dinge macht, diese Dinge auszugleichen. Indem ich den Trainer aufmerksam gemacht oder mit den Leuten gesprochen habe. Oder ich gesehen habe, da entstehen Konflikte, das versuche ich vorher abzubügeln, dass man schon mal intern keine Unruhe hat."
Von der aktuell stattfindenden Europmeisterschaft zeigte Bierhoff sich begeistert. "Es gehen wunderbare Bilder in die Welt, tolle Stadien mit guter Stimmung, Fans, die meist friedlich miteinander auskommen. Und die deutsche Mannschaft hat mit emotionalen und leidenschaftlichen Auftritt, schon die Herzen der Fans erobert und die Begeisterung der Fans geweckt. Die Leute haben ein Bedürfnis sich zu freuen und zu feiern, und das wird sich noch steigern."
Europameister als Spieler, Weltmeister als Manager
Gleichzeitig zweifelte er etwas die langfristigen Effekte eines solchen Turniers an. "Wir müssen die harten Hausaufgaben in den anderen Bereichen machen, in unserer Wirtschafts- oder sonstigen Politik. Das kann der Fußball nicht übernehmen." Die EM könne aber dabei helfen, die zukünftigen Herausforderungen etwas positiver anzugehen.
Am 30. Juni jährt sich auch der Jahrestag des deutschen EM-Titels von 1996. Ein Triumph der auch immer mit dem Namen Oliver Bierhoff verbunden sein wird, weil der Stürmer mit seinem Golden Goal die DFB-Elf damals zum Titel geschossen hat. "Zwei Tore im Finale im Wembley ist schon toll. Da gibt es eigentlich nur mehr, dass man Weltmeister wird. Das habe ich als Spieler leider nur bis ins Finale geschafft. Da hat es nicht gereicht. Aber dann als Manager im Maracanã 2014. Das sind so zwei Highlights für mich. Da kann man sich glücklich schätzen."
Erinnerungen an die EM 1996
Dabei war die EM 1996 für den Stürmer von Udinese Calcia bis zum Finale eher enttäuschend gelaufen. Wenig Spielzeit, keine Tore. Als Angreifer war er hinter Jürgen Klinsmann, Fredi Bobic und Stefan Kuntz nur auf Position 4 abgerutscht.
"Zwei Tage vor dem Finale habe ich mit zwei Bekannten zum Essen getroffen und habe denen gesagt: 'Guck, das Turnier ist für mich gelaufen, ich werde nicht mehr zum Einsatz kommen und wir werden die Tschechen schlagen.' Da hat mein Bekannter mir gesagt: 'Nein, Du wirst sehen, Du kommst rein und schießt dann zwei Tore!' Und ich war mit Thomas Helmer im Hyde Park in London joggen und da hatten wir ein gutes Gespräch und er hat mir zugesprochen", erinnert sich Bierhoff.
"Es ist noch mehr Geschäft geworden"
Von dem Moment des Golden Goals ist ihm vor allem hängen geblieben, dass er sich im Augenblick des Jubels unmittelbar nach dem Siegtor das Trikot vom Leib gerissen hat. "Ich habe in meiner Karriere vorher und hinterher nie mein Trikot ausgezogen. Ich weiß nicht, was da in meinem Kopf vorging", sagte der Siegtorschütze von 1996.
Etwas nachdenklich zeigte sich der ehemalige DFB-Kapitän auch bei den Erinnerungen an das Turnier und das damalige Spiel. "Es war weitaus weniger Inszenierung. Das Spiel war auch ein anderes. Ich fand das Spiel sehr viel härter. Heute hat keiner mehr blutige Schienbeine. Bei uns waren die Beine immer irgendwie kaputt, was da getreten wurde."
Generell sei der Fußball ein großes Geschäft geworden. Man sehe keinen Stopp mehr. "Es wird immer mehr vermarktet und wird immer kommerzieller. Es wird globaler. Die UEFA-Partner, das sind jetzt viele asiatische Firmen, die das große Geld anpacken. Es hat sich einfach verändert. Es ist noch mehr Geschäft geworden", sagte Bierhoff. Man müsse Sorge haben, dass die Schere immer weiter auseinander gehe.
"Fußball muss immer wieder zur Tradition zurückkommen"
Bierhoff verteidigte dabei auch die Kommerzialisierung beim DFB und der Nationalmannschaft, für die auch er als Nationalmannschaftsmanager und DFB-Direktor immer kritisiert worden war. "Das Geld geht in Großteilen ja wieder in die Basis. Das ist anders als im Verein, wo 50 Prozent in die Spielergehälter gehen. Die Gelder, die wir einnehmen, die nehmen wir für einen gemeinnützigen Verband ein und deswegen habe ich das auch immer als sinnvoll betrachtet, ohne dass man dabei natürlich seine Identität oder seine Ehrlichkeit verlieren darf."
Viele Fußballfans hätten Sorgen, dass der Fußball seine Ehrlichkeit und seine Authentizität verliere. "Da muss man immer aufpassen, dass der Sport und der Kern erhalten bleibt", sagte Bierhoff. Die Diskussion werde aber weitergehen. "Der Fußball muss immer wieder zur Tradition zurückkommen. Das sind die Länder England, Deutschland, Brasilien, Argentinien. Und das die Fans das dort auch live erleben können."