EM 2024
Das Pride House in Berlin als Rückzugsort für queere Fans

Die Gastgeber der EM 2024 sprechen von der "nachhaltigsten EM aller Zeiten". Gemeint ist damit nicht nur der Klimaschutz, sondern auch Konzepte gegen Diskriminierung. Ein Beispiel ist das "Pride House", ein Treffpunkt für queere Menschen in Berlin.

Von Ronny Blaschke | 30.06.2024
Das Foto zeigt zwei Beinpaare von hinten, die in weißen Socken mit Regenbogen-Bündchen stecken.
Die EM 2024 findet auch während des Pride Month statt, wo in vielen deutschen Städte CSD-Parade stattfinden. (IMAGO / Christian Spicker / IMAGO / Christian Spicker)
Im Poststadion in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs bestreitet der Berliner AK seine Heimspiele in der Fußball-Regionalliga. Zurzeit finden keine Partien statt. Und trotzdem ist die Haupttribüne in diesen Wochen gut gefüllt. Das Poststadion beherbergt während der Europameisterschaft das "Pride House".
Hunderte Menschen versammeln sich hier, um die Spiele auf einer Leinwand zu verfolgen. Die Atmosphäre ist ausgelassen, frei von Aggressionen. Es ist diese entspannte Stimmung, die vor allem queere Menschen anlockt, sagt Alice Drouin, die Projektleiterin des "Pride House": "Weil die Mainstreamangebote sehr oft und eigentlich immer noch nicht sicher genug sind für queere Menschen, übrigens für ganz viele andere Menschen auch noch nicht. Und so lange diese Mainstreamangebote nicht sicher genug sind, braucht es Ergänzungsangebote. Ganz wichtig: kein Ersatzangebot, sondern ein Ergänzungsangebot."

Pride House soll ein "Safer Space" sein

Das "Pride House" ist so ein Ergänzungsangebot - ein "Safer Space". Ein Ort also, der für queere Menschen sicherer sein soll als die vollbesetzten Tribünen der EM-Stadien und als die Fanmeilen.
Denn seit Jahrzehnten werden beim Fußball immer wieder homophobe und sexistische Sprüche dokumentiert, bis hin zu körperlichen Angriffen. Auch im "Pride House" sind solche Angriffe nicht ausgeschlossen.
Aber das Organisationsteam hat ein Sicherheitskonzept erstellt, sagt Alice Drouin: "Es ist sehr oft so, zum Beispiel auf Fanzones, wenn mal was passiert, dass ein Riesenfokus auf dem Täter liegt. Man kümmert sich um diese Person, und niemand so richtig mit guten Qualifikationen und Kompetenzen um die Person, die was erlebt hat. Und eigentlich in dem Moment im Hauptfokus liegen sollte."

Traumatische Erfahrungen durch Sport

Das "Pride House" knüpft an eine Tradition an: Bereits in den 1970er Jahren hatten queere Menschen den Sport als Rückzugsort genutzt. Sie gründeten Trainingsgruppen und Vereine, organisierten Veranstaltungen wie die Gay Games.
Ein "Pride House" bei einem Großereignis öffnete erstmals bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Ob später bei den Sommerspielen 2012 in London oder bei der Fußball-EM 2016 in Frankreich: Immer wieder organisieren die "Pride Häuser" Ausstellungen oder Filmabende zu politischen und sportlichen Themen. Auch aktuell in Berlin.
Alice Drouin sagt: "Auch das ist ein Ziel des Pride Houses: Sport und queere Menschen wieder teilweise näher zu bringen. Viele queere Menschen haben keinen guten Bezug zu Sport, haben traumatische Erfahrungen in Bezug zu Sport gemacht in ihrem Leben. Ich kann nur Schulsport nennen, als Ort, wo sehr oft queere Personen, natürlich insbesondere trans*, inter* und nicht-binäre Personen, aber eben nicht nur, wo da einfach traumatische Erlebnisse gemacht werden. Und das dann auch für ein Leben lang reicht, um sich vom Sport komplett zu entfernen."

Freiheit versus Sicherheit

Die queere Gemeinschaft ist im Fußball inzwischen verankert, zumindest an der Basis mit Festivals, Freizeitteams oder Fanklubs. Dennoch hat sich bis heute kein aktiver Profi im deutschen Fußball als schwul geoutet.
Und so sollte auch der organisierte Sport intensiver queere Strukturen stärken, sagt die Journalistin Inga Hofmann vom "Tagesspiegel", die seit langem zu Projekten wie dem "Pride House" recherchiert: "Leider beruhen solche Projekte ebenso wie Anlaufstellen für Antidiskriminierung häufig auf ehrenamtlicher Arbeit. Es wäre aber total wichtig, dass gerade große Verbände wie der Deutsche Fußball-Bund oder die Vereine der Bundesliga dafür Ressourcen bereitstellen."
Auch bei den Olympischen Spielen in Paris soll es ein "Pride House" geben. Und auch dort wird queeren Sportlern und Fans oft die Frage gestellt, warum sie sich denn von der Mehrheit "abschotten" würden.
Es ist eine Frage, die auch in der queeren Gemeinschaft aufgeworfen wird, zum Beispiel von der Journalistin und Verlegerin Manuela Kay: "In der jetzt schon seit Jahren andauernden Debatte um Freiheit versus Sicherheit muss man aufpassen in marginalisierten Gruppen, sich vor lauter Sicherheit nicht wegsperren zu lassen praktisch und sich die Teilhabe selber zu versagen, aus Angst vor Feindseligkeit. Aber während der EM hätte ich dann auch besser gefunden, wenn es das meinetwegen mitten in der Fanmeile gegeben hätte. Oder dass man sagt: Wir machen einen queeren Block im Olympiastadion. Aber sichtbar für die Anderen."

Erfahrungen für künftige Sportereignisse

Auch außerhalb der queeren Rückzugsorte finden während der EM Veranstaltungen statt, die Themen wie Sexismus, sexualisierte Gewalt und Queerfeindlichkeit in den Mittelpunkt rücken.
Zudem wurden an den Spielstätten Sicherheitskonzepte für die Fanfeste entwickelt, erläutert Tristan Heß, EM-Nachhaltigkeitsbeauftragter in Hamburg: "Wir arbeiten mit einem professionellen Dienstleister zusammen, der auch ein System zur Verfügung stellt, wo man über QR-Codes sich Hilfe holen kann, wenn man irgendwo in Bedrängnis gerät. Es gibt einen physischen Rückzugsraum oder einen Schutzraum, einen so genannten Safer Space. Und wir arbeiten auch mit Beratungseinrichtungen für Betroffene zusammen, beispielsweise mit dem Hamburger Frauennotruf oder der Organisation 'Empower', die sich an Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt richtet."
Konzepte wie diese haben bei der Fußball-WM in Katar oder bei den Olympischen Spielen in Peking keine ernsthafte Rolle gespielt. Das Team im Berliner Poststadion möchte dazu beitragen, dass die Erfahrungen aus ihrem "Pride House" auch in künftige Sportveranstaltungen einfließen werden.