Kommentar zur EM-Bilanz
Diese EM gehört den Fans!

Die Fans haben diese EM geprägt, insbesondere die Fanwalks haben für ausgelassene Feste gesorgt. Das war eine willkommene Ablenkung in schwierigen Zeiten, viele spürten ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Doch der Alltag wird zurückkehren.

Ein Kommentar von Matthias Friebe |
Bei einem Fanmarsch der Schotten bei der EM 2024 in Köln sitzt ein Mann auf den Schultern eines anderen und ruft mit ausgebreiteten Armen etwas in die Menge.
Fanmarsch der Schotten bei der EM 2024 in Köln (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Es ist der Ohrwurm des Turniers – der niederländische Partysong „Links Rechts“. Zehntausende Oranje-Fans sind so fröhlich-feiernd, nach links und rechts springend durch Berlin, Dortmund oder Leipzig gezogen. Das bleibt genauso in Erinnerung, wie das kollektive „Huh“ der Isländer vor acht Jahren in Frankreich.
In Erinnerung bleibt sicher auch die „Tartan Army“ der hunderttausenden schottischen Fans. Trotz des überschaubaren sportlichen Erfolgs der eigenen Mannschaft haben sie die ersten Turniertage kariert gefärbt - mit ihrer ganz eigenen Art von freundlich-friedlicher, zuweilen bierseliger Ausgelassenheit.
Was für ein Geschenk für diese Europameisterschaft, dass die Schotten dem Eröffnungsspiel so einen stimmungsvollen Rahmen beschert haben! Sie gaben den Ton vor für ein Turnier, das sich im besten Sinne als Fanfest präsentierte.

Terror und Hacker waren kein Thema bisher

Wie groß waren im Vorfeld die Sorgen in Sachen Sicherheit? Vor dem Finale bleibt das Fazit, es war alles sicher. Terror in den vier Wochen praktisch kein Thema, befürchtete Hackerangriffe auf die digitalen Systeme des Turniers sind ausgeblieben, Fan-Krawalle de facto auch. Die wenigen kleineren Rangeleien gelten selbst bei der Polizei in Anbetracht der schieren Masse der Fans als kaum erwähnenswert.
Die EM 2024 war das Turnier der Fans, sie haben farblich und stimmlich das Bild geprägt und viele Städte und Arenen vier Wochen lang zu besonderen Orten gemacht. Es war wie ein Comeback der Fankultur nach zwei sehr schwierigen Turnieren zuvor. Nach einer EM vor drei Jahren, die unter Pandemie-Bedingungen litt und darunter, dass die UEFA es für eine tolle Idee hielt, das Turnier in elf Ländern auszutragen.

Die Verantwortlichen dürfen zufrieden sein

Und: noch mehr nach der WM in Katar, bei der bezahlte sogenannte „Fans“ die Stadien füllen sollten. Mit echter Stimmung und Fankultur hatte die WM in Katar so wenig zu tun wie Schneemänner in der Wüste zu finden sind. Diese Fußballanhänger aus der Retorte dienten allenfalls als Belustigung ob der plump-künstlichen Stümperhaftigkeit, mit der sie einstudierte Fangesänge und Choreographien zum Besten gaben. Die EM in Deutschland war das genaue Gegenteil: ein Fest der Fan-Kultur. Die von der UEFA mitorganisierten Fanwalks zu den Spielen waren eine der besten Ideen dieses Turniers.
Nicht nur, aber auch deshalb können und werden die Verantwortlichen zufrieden sein, viele Hoffnungen haben sich erfüllt. Vier Wochen lang hat der Fußball wieder einmal seine ihm schon so oft zugeschriebene Rolle erfüllt und eine willkommene Ablenkung in schwierigen Zeiten geboten. Mehr noch: viele spürten ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das lange vergessen schien. Ob das allerdings diese EM überdauert, muss bezweifelt werden, auch 2006 war die gefühlsduselige Stimmung schnell wieder verraucht.
Lob gab es von vielen Seiten auch für die Gastgeberqualitäten Deutschlands, mit deutlichen Abzügen in der B-Note was das Transportsystem angeht. Die Deutsche Bahn hat zwar nicht schlechter performt als vor dem Turnier, die EM hat die Probleme aber jetzt international bekannt gemacht. Hinzu kamen örtliche Transport-Probleme. Vor allem die in Gelsenkirchen rüttelten am Anfang schon am Ansehen des Gastgebers, wurden aber bis zum Turnierende auch von den glücklichen Fan-Bildern übermalt.

Politik auf dem Platz

Nicht übermalen ließ sich die Politik, die zur Freude vieler Funktionäre lange nur eine untergeordnete Rolle in diesem Turnier spielte, dann aber in der zweiten EM-Halbzeit doch noch mit auf dem Platz stand. Auf der einen Seite die überraschend dezidierten Aussagen der französischen Nationalspieler, die in bisher selten gehörter Klarheit sich zur Nationalversammlungs-Wahl positionierten und öffentlich mit ihrer nicht zu unterschätzenden Reichweite Stellung bezogen.
Auf der anderen Seite ließ sich wieder einmal beobachten, wie schnell Fußball auch zur politischen Instrumentalisierung dienen kann: als der türkische Spieler Merih Demiral seine Tore im Achtelfinale mit dem sogenannten Wolfsgruß bejubelte – das Erkennungszeichen der ultranationalistischen, rechtsextremen Grauen Wölfe.
Auf die Sperre der UEFA wegen ungebührlichen Verhaltens auf dem Platz, reagierten die Fans in großer Einigkeit und zeigten den in Deutschland nicht verbotenen Gruß zu Tausenden im Stadion beim nächsten Spiel. Und das in Anwesenheit von Staatspräsident Erdogan, der eigens gekommen war und insgeheim jubeln dürfte über die geschlossene Unterstützung der Fans in dieser Sache. Das sportliche Aus für die Türkei konnte das am Ende nicht verhindern.
Danach bestimmten vor allem wieder Partysongs und Fanwalks die Bilder des Turniers. Eine vierwöchige Feier, in der viel „nach links und rechts“ getanzt wurde. Bald aber schon dürften links und rechts nicht mehr für Party in Oranje sondern für grauen Politikalltag und Grabenkämpfe stehen. Wie schön wäre es, wenn etwas von der Leichtigkeit der EM bleiben würde.  
Matthias Friebe (Deutschlandfunk – Aktuelles, freier Mitarbeiter) 
Matthias Friebe, Jahrgang 1987, Journalist, studierte Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Münster und Duisburg-Essen. Volontariat bei domradio.de und Ausbildung an der Journalistenschule ifp in München. Danach arbeitete er als Moderator und Redakteur für WDR, Deutschlandfunk und domradio.de. Heute ist er Redakteur in der Sportredaktion des Deutschlandfunks.