Wir sprechen auch über die Menschen, die zur Umsiedlung gezwungen, die deportiert wurden."
Die große Halle am Kai stammt aus der Zeit zwischen den Weltkriegen. Damals verwandelte das 1918 als Staat wiedererstandene Polen das Fischerdorf Gdingen in die größte polnische Hafenstadt – Gdynia. 1933 wurde die Abfertigungshalle eröffnet, durch die Touristen und Auswanderer die Stefan Batory und andere polnische Ozeanschiffe bestiegen. Die Architektur der Halle ist modern und zugleich machtorientiert mit Anspielungen auf eine Ritterburg. Hier im Dworzec Morski, auf Deutsch Überseehof, hat heute das erste polnische Emigrationsmuseum seine Pforten geöffnet. Es ist ein in vieler Hinsicht symbolträchtiger Ort, erklärt Museumssprecherin Joanna Wojdyło:
"Von diesem Überseehof machten sich Zehntausende Polen und nicht nur Polen auf die Schiffsreise in die weite Welt. Von hier fuhr 1939 der Dichter Witold Gombrowicz nach Argentinien und kam nicht wieder. Von diesem Überseehof aus reiste Zbigniew Brzeżiński, der spätere US-Sicherheitsberater, als Kind mit seinen Eltern nach Kanada."
Rund 20 Millionen Polen leben derzeit und oft auf Dauer außerhalb ihres Landes, in den Vereinigten Staaten, Südamerika, Australien, Großbritannien, allein zwei Millionen auch in Deutschland. Die Dauerausstellung des Emigrationsmuseum zeigt mehrere Jahrhunderte polnischer Emigrationsgeschichte. Marcin Szerle, zuständig für die Forschungsarbeit des Museums:
"Wir bemühen uns, Emigration in einem sehr breiten Spektrum vorzustellen – als einen ganz natürlichen Prozess, etwas was die Menschheit immer begleitet hat, etwas ganz Lebendiges. In diesem Sinne hat sich ja gezeigt, dass die Auswanderung aus Polen in der Zeit nach der Wende wieder ein ganz neue Dimension erreicht hat, ein Ausmaß, das sie zuvor, im kommunistischen Polen, nicht haben konnte."
Ausführliche Dokumentation der Industrialisierungszeit
Besonders ausführlich behandelt wird in den mit Bildern und Bildschirmen eng bestückten Sälen die Zeit der Industrialisierung, die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und die Zwischenkriegszeit. Es geht nicht um Polen im ethnischen Sinne, sondern auch um polnische Juden und Angehörige diverser Minderheiten aus polnischen Landen, deren Motiv meist in der Verbesserung ihrer Lebenssituation bestand. Aber, sagt, Marcin Szerle:
Die Schicksale polnischer Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg
"Wir sprechen auch über die Menschen, die zur Umsiedlung gezwungen, die deportiert wurden."
Polnische Zwangsarbeiter zum Beispiel, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht ins kommunistische Polen zurückgingen, sondern als Displaced Persons in Westdeutschland lebten, bevor sie meist in die fernere Welt aufbrachen. Es geht aber auch um das Schicksal deutscher Spätaussiedler und um jene über zehntausend Juden, die 1968 infolge einer antisemitischen Kampagne Polen verlassen mussten und denen der kommunistische Staat die Wiedereinreise strikt verwehrte.
Als Besucher fühlt man sich durch die Vielzahl der Bilder und Filme mitunter fast bedrängt. Das Gefühl der Enge entsteht sogar im großen Saal, in dem der auf ungefähr ein Zehntel verkleinerte Nachbau der längst verschrotteten Stefan Batory steht.
Joanna Wojdyło:
"Drei Jahre lang haben wir Exponate gesammelt. Allerdings ist unsere Sammlung nicht so umfangreich, dass wir alles, jeden Aspekt durch das Arrangement dieser Gegenstände verdeutlichen könnten. Deshalb bedienen wir uns multimedialer und audiovisueller Technik. "
Die Eröffnung des Emigrationsmuseum in Gdynia ist bereits das dritte museale Großvorhaben mit internationaler Ausstrahlung und finanzieller Unterstützung durch die EU an der polnischen Ostseeküste. Vor einigen Wochen bekam in Danzig das Europäische Solidarność-Zentrum ein neues Haus. Ebenfalls in Danzig wartet das Museum des Zweiten Weltkriegs auf die Eröffnung seines neuen Hauses in der Innenstadt. 2016 soll es soweit sein.