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Vor 150 Jahren geboren
Emily Davison – Märtyrerin der Suffragetten

Im Kampf  für das Frauenwahlrecht protestierte die britische Suffragette Emily Davison, warf Steine und zündete Briefkästen an. Auch Haft und Zwangsernährung konnten sie nicht brechen. Ihr Tod auf einer Pferderennbahn gibt bis heute Rätsel auf.

Von Monika Dittrich |
Historisches Foto vom Epsom Derby 1913, mit Pferden und Zuschauern sowie gestürzten Tieren und einem Mensch auf dem Boden der Rennbahn
Tod auf der Rennbahn: Emily Davison besuchte 1913 das Epsom Derby und verursachte dort einen schweren Unfall (picture alliance / empics / PA)
Juni 1913: Frauen und Männer in feiner Garderobe sind zum traditionellen Epsom Derby südlich von London gereist. King George und Queen Mary verfolgen das Treiben von ihrem Logenbalkon aus. Die Pferde donnern über die Rennbahn, Zuschauer drängen sich hinter der Absperrung. Nichts deutet darauf hin, dass sie gleich Zeugen eines dramatischen Unfalls werden – festgehalten auf einer der damals noch raren Filmaufnahmen.
Plötzlich schlüpft eine Frau unter dem Zaun hindurch, rennt zwischen die galoppierenden Pferde, wird erfasst, reißt ein Pferd samt Jockey mit sich, stürzt. Tier und Reiter kommen mit leichten Blessuren davon, doch die Frau bleibt bewusstlos und stirbt vier Tage später an ihren Verletzungen. Sie heißt Emily Davison – und ist seitdem eine Märtyrerin der britischen Frauenbewegung:
„Also, die Opferbereitschaft und das Martyrium spielen ja auch eine große Rolle. Sie war extrem religiös und hat sich sehr mit dieser Opferbereitschaft identifiziert.“

Davisons Tod bleibt ein Rätsel

Die Sozialwissenschaftlerin Jana Günther forscht zu den britischen Suffragetten, die Anfang des 20. Jahrhunderts auch mit militanten Mitteln für das Frauenwahlrecht kämpften. Der Begriff Suffragette bezieht sich auf das lateinische Wort „suffragium“ für „Stimmrecht“. Emily Davison gehörte zu den energischsten Akteurinnen dieser Bewegung. Ihr Tod allerdings bleibt bis heute ein Rätsel. Wollte sie sterben?
„Man könnte das heroisch, märtyrerhaft, in diesem religiösen Duktus interpretieren, doch wenn man die Bilder sieht, würde meine Interpretation eher in die Richtung gehen: Sie wollte einen Punkt machen, und sie wollte Presse machen.“

„Die perfekte Amazone"

Und für Aufsehen sorgen: Möglicherweise wollte sie das Pferd des Königs stoppen oder ihm einen Schal mit politischer Botschaft anheften. Sicher ist: Sie nahm das Risiko in Kauf, hatte sie doch selbst einmal geschrieben:
„Die perfekte Amazone ist diejenige, die alles bis zum Letzten opfert, um für ihr Geschlecht die Perle der Freiheit zu gewinnen.“
Emily Davison wird am 11. Oktober 1872 in London geboren, der Vater ist ein bereits pensionierter Kaufmann. Sie ist begabt, nach der Schule beginnt sie ein Studium, das sie allerdings abbrechen muss, als der Vater stirbt. Doch sie verdient sich als Gouvernante das nötige Studiengeld und macht in Oxford ihren Abschluss in Literatur, Biologie und Chemie, so Jana Günther:

„Sie hat wirklich zu dieser jungen Generation von Britinnen gehört, die diesem Bild der ‚New Woman‘ entsprochen haben, sportlich, selbstständig, gut ausgebildet, sie war schwimmen, Rad fahren, sie ist gerne eisgelaufen, sie hatte sportliche Erfolge.“

Hungerstreik und Zwangsernährung

Und sie wollte ein Wahlrecht haben wie die Männer, was damals allerdings ein Besitzwahlrecht war und nur Vermögende zuließ. Sie schloss sich der Women’s Social and Political Union der Suffragette Emmeline Pankhurst an. Nachdem Frauen in England sich jahrelang so friedlich wie vergeblich um das Stimmrecht bemüht hatten, setzte diese Organisation auch auf zivilen Ungehorsam und Gewalt. „Taten statt Worte“ lautete das Motto.
Emily Davison protestierte und demonstrierte, sie drängte Politikern ihre Petitionen auf, warf Steine und steckte Briefkästen in Brand. Immer wieder musste sie ins Gefängnis. Dort scheiterte sie mit der Forderung, als politische Gefangene anerkannt zu werden. Davison reagierte – wie andere inhaftierte Suffragetten: mit Hungerstreik. Der Staat reagierte seinerseits: mit Zwangsernährung, sagt Jana Günther:

„Das ist natürlich Folter. Das war ein dicker Gummischlauch, der wurde mit Gewalt durch die Nase eingeführt. Und dann wurden Milch, rohe Eier reingeschüttet. Ich kann das jetzt auch nicht sensibler beschreiben.“

Frauenwahlrecht für Britinnen 1918

Doch nichts davon konnte ihren Willen brechen: Emily Davison kämpfte weiter, bis zu ihrem Tod. Der Trauerzug mit tausenden Frauen hinter ihrem Sarg wurde zur politischen Kundgebung der Suffragetten, so Jana Günther:

„Das muss man ihnen lassen: Die haben radikal mit dem Bild der passiven Frau, die ins Haus gehört, aufgeräumt. Und Davison hat das gelebt.“
Ein eingeschränktes Wahlrecht erhielten die Britinnen 1918, fünf Jahre nach Emily Davisons Tod.