Gewürzshops und Parfümerien; Geschäfte für arabische Gewänder und Wasserpfeifen, Zuckerbäcker, kleine Restaurants, Cafés und Teehäuser... Ein Bazar, wie er aus der Türkei, aus Marokko und Ägypten bekannt ist.
Doch vieles ist anders als im Istanbuler Kapali Carsi, auf dem Jemma el-Fna von Marrakesch oder dem Kairoer Khan el-Khalili: Die Kunden und Gäste auf dem Souq Waqif in Doha, der Hauptstadt von Katar, sind überwiegend Ausländer; sie stammen aus Nord-Amerika und Europa, aus den reichen asiatischen Staaten und den arabischen Nachbarländern. Bedient werden sie von Billig-Lohn-Arbeitern aus Pakistan, Indien und Sri Lanka. Einheimische auf dem Souq Waqif? - Kaum. Der Bazar von Doha ist ein auf alt getrimmter Neubau; eine Retro-Freilicht-Mall mit modernen Service-Leistungen, in der Kunden, die draußen falsch geparkt haben, ausgerufen werden.
Der Souq Waqif wurde geschaffen, um Reisenden orientalische Unterhaltung zu bieten. Das Herrscherhaus von Katar will die Welt in sein Emirat holen, damit die Welt Katar kennenlernt. Katar: ein Zwergstaat, der auf einer Halbinsel im Persischen Golf liegt, an Saudi-Arabien grenzt und voller Superlative ist: Zwei Millionen Menschen verdienen das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt; wobei die meisten Ausländer sind. Geborene Kataris gibt es nur etwa 300.000...
Mohammed Attiya stammt aus einer der angesehensten Familien Katars; einer seiner Verwandten ist Außenminister des Emirates. Mohammed Attiya, ein Mann mit dicker Hornbrille, weißem Kopftuch und Dischdascha, dem traditionellen arabischen Gewand, ist Millionär, vielleicht Multi-Millionär. Er hat sein Geld mit einem sicheren Geschäft im heißen Katar gemacht: Er verkauft Klimaanlagen. Sein Hobby: Er hat vor Jahren eine Villa gekauft, die er zur Meclis gemacht hat; zu einem Ort, an dem man abends zusammen kommt, um sich auszutauschen. Stets wird Gästen süßer Tee oder Kaffee mit Kardamom nachgeschenkt; freitags, zum Wochenende, lässt er auch schon mal einen Hammel schlachten und zubereiten. Gleichzeitig ist Attiyas Meclis eine Art Museum: Er sammelt alte Mokka-Kannen, Holzmöbel mit Perlmutt-Intarsien und orientalische Teppiche.
Er schätzt vieles an den modernen Vorzügen in seinem Land. Aber der 56-jährige erinnert sich auch gerne an seine Kindheit, als Katar noch nicht Katar war: "Wir sind viel am Meer gewesen: Wir sind zum Fischen rausgefahren oder sind geschwommen ... und im Hinterland sind wir geritten; auf Pferden, aber auch auf Kamelen. Und wir haben überall Sport getrieben. Es gab noch nicht so viele Straßen wie heute mit dem ganzen Lärm. Autos gab es nur wenige. Am schönsten war die Ruhe."
Unabhängigkeit und Reichtum
Die ganz ruhigen Zeiten kennt Mohammed Attiya jedoch auch nur aus Erzählungen und von den alten Schwarz-Weiß-Fotografien, die die Wände seiner Meclis schmücken: Da sind weite Wüstenlandschaften abgelichtet, Zelte aus Ziegenhaar, Boote mit dreieckigen Segeln... 1939 waren die ersten Ölvorkommen entdeckt worden, die den Kataris - einst ein Fischer- und Hirtenvolk - schnell zu relativem Wohlstand verhalfen. Dann kam ein entscheidendes Jahr. 1971 - Mohammed Attiya war ein junger Mann – rief Katar die Unabhängigkeit von der bis dahin bestimmenden britischen Krone aus. Unter der Führung der wichtigsten Familie des Landes, der Al Thanis, erklärte sich der Staat zum Emirat, zum Fürstentum. Seither regiert immer ein Al Thani – absolutistisch, also als Staatsoberhaupt und als Inhaber aller exekutiven und legislativen Gewalt zugleich. Die Regierung ist ihm verantwortlich; ein Parlament oder gar politische Parteien existieren nicht; lediglich eine beratende Versammlung gibt es, deren Mitglieder aber wiederum er, der Emir, beruft.
Die Kataris hatten nie etwas dagegen. 1971 wurde in Katar das weltweit größte Gasfeld entdeckt. Und das brachte erst einmal dem Emir Reichtum, den er dann an den jungen Staat weiter gab. Er verstaatlichte alle Öl- und Gasgesellschaften und setzte auf eine rasche Entwicklung des Emirats: Er baute den Bildungs- und den Gesundheitssektor aus, siedelte Industrie an, gab jedem Katari Arbeit und ein sicheres Einkommen. Mohammed Attiya findet das selbstverständlich gut.
"Die Bürger Katars kriegen alles umsonst: medizinische Behandlungen, Ausbildung, Strom und Wasser. Sie bekommen ein Monatsgehalt von wenigstens 10.000 Dollar plus Urlaubsgeld. Und sie erhalten drei Monatsgehälter im Voraus, wenn sie in die Ferien gehen. Die Wohnungen sind auch umsonst... Gott sei Dank."
Böse Zungen sagen: Der Emir habe die Kataris gekauft. Doch sie haben sich auch gern kaufen lassen. Katar ist zu einem glitzernd-luxuriösen Staat herangewachsen – mit prächtigen Villen und gläsernen Hochhäusern, mit Limousinen und Yachten, Shopping-Malls und dem Edel-Bazar Souq Waqif. Erst 20 Jahre nach seiner Gründung begann Katar, eine weitreichende Außenpolitik einzuleiten. Die Initialzündung brachte die Kuwait-Krise. Michael Stevens forscht für das renommierte britische RUSI – das Royal United Service Institute, in der Zweigstelle Doha. Stevens sagt, dass die vielen Kriege in der Region das Herrscherhaus von Katar dazu gebracht haben, ihr Land bekannt zu machen:
"Einer dieser Kriege begann, nachdem Soldaten des irakischen Diktators Saddam Husseins 1990 in Kuwait einmarschiert waren. Kuwait: ein kleines Land, das sehr reich ist und damals sehr auf sich konzentriert war... Nach der irakischen Invasion hat erst einmal niemand geholfen. Erst als die Saudis befürchteten, dass Saddam Hussein auch sie angreifen könnte, interessierte sich die Weltöffentlichkeit; es kam dann 1991 zum Krieg. Und da hat man in Katar plötzlich verstanden, wie unsicher es ist für einen kleinen Staat in einer Unruhe-Region. Und man hat damals verstanden, dass man – nur weil man sich still verhält – nicht unbedingt sicher ist. Die Kuwait-Invasion war es, die den alten Emir zu der neuen Politik inspirierte – eben das Interesse an Katar weltweit zu wecken, Katar ins Gespräch zu bringen und die Menschen zu überzeugen, in Katar zu investieren. Der Emir hat sich gesagt: ‚Wenn die Leute weltweit dein Land kennen, sind sie auch in deine Sicherheit involviert."
Frieden durch Handel und al-Jazeera
Auf unvergleichliche Weise zogen die Kataris aus, um die Welt zu erobern: Kurz nach dem Krieg um Kuwait begannen Katar und die USA, militärische Beziehungen aufzubauen. Das Emirat beherbergt seit 1998 das Hauptquartier der US-Einheiten im Nahen Osten und wurde im Frühjahr 2003 Kommandozentrale im Krieg gegen den Irak. Parallel dazu investierte das Herrscherhaus in großem Stil auf dem internationalen Parkett; es kaufte Anteile an den Warenhäusern Printemps, Harrods und Sainsbury's, an Porsche und Volkswagen, an Crédit Suisse und Barclays, am französischen Fußballclub Paris St. Germain und, und, und.
Ein Programm mit dem Ziel, Katar langfristig von Gas- und Öl-Geschäften unabhängig zu machen - und gleichzeitig die Bekanntheit Katars zu erhöhen. In diesem Sinne ist auch die Gründung von al-Jazeera 1996 zu sehen. Die Top-Journalisten des Nachrichtensenders sprechen seitdem das breite Publikum der arabischen Welt an: provokativ, gefühlsgeladen, anti-westlich und kritisch. Und bis heute sind die al-Jazeera-Leute bekannt dafür, dass sie wenig zimperlich mit den Herrschern der arabischen Staaten umgehen - die Katars natürlich ausgenommen. Das gilt auch für die Macher von al-Jazeera-Englisch, ein Programm das 2006 den Betrieb aufgenommen hat.
Das Herrscherhaus war von Anfang an davon überzeugt, dass der Sicherheit Katars am besten gedient ist, wenn gute Kontakte zu allen Akteuren bestehen, die rund um das Emirat Einfluss haben: zu den USA und zum Iran, zum afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und den Taliban, zu Israel und der Hamas; der Hisbollah und deren sunnitischen und christlichen Gegnern im Libanon. Die Liste der regionalen Konflikte, in denen sich Katar als neutraler – aber arabischer – Mittler gibt – inzwischen muss man wohl sagen ‚gab' -, ist lang, was Katars Image in der Welt enorm geprägt hat. Dabei ist das Herrscherhaus immer beseelt von dem Gedanken, dass Konflikte innerhalb der Region geklärt werden sollten. Die Al Thanis wollen mit ihrer Außenpolitik die Region zusammenwachsen lassen. Sie setzen auf das Arabertum und den Islam als einigendes Moment in der Hoffnung, dass die Staatsgrenzen unwichtiger werden – von Marokko bis zum Irak; von Ägypten bis in den Jemen. Eine Art Neuauflage des Pan-Arabismus, den der Ägypter Gamal Abdel-Nasr einst zur Blüte gebracht hat.
Den wohl größten Prestige-Sieg errang Katar vor fast vier Jahren. Am 2. Dezember 2010 gab die FIFA an ihrem Sitz in Zürich bekannt, Katar werde die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ausrichten. Das Emirat hatte sich gegen die Mitbewerber Australien, Japan, Südkorea und die USA durchgesetzt. Ein Spross der Herrscherfamilie, der nach Zürich gereist war, versprach der FIFA, dass sie stolz sein werde auf Katar.
Kaum war der Jubel über die WM-Vergabe Katar verhallt - nur einen Monat später -, bekam das schöne Bild, das das Emirat in der Welt von sich gemalt hatte, hässliche Kratzer. Im Januar 2011 begannen die Volksaufstände in Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien, im Jemen und in Bahrain. Und das Königshaus von Katar war nicht mehr der angeblich neutrale Mittler, der es Jahre lang gewesen war: "Das änderte sich, als Katar begann, Waffen nach Libyen zu schicken, dortige Milizen aufzurüsten, eigene Militäreinheiten wie die Luftwaffe zu entsenden."
Jedermanns Freund ergreift Partei
Die Kataris - und der Westen mit seinen Luftschlägen - schafften es gemeinsam, Muammar al-Gaddafi zu stürzen. "Die Menschen sahen in Katar plötzlich nicht mehr den Friedensstifter. Das ach so diplomatische Land – jedermanns Freund – hatte plötzlich eine Position; und Katars Stimme, al-Jazeera, war extrem einseitig bei einigen Themen."
Katar – und die eigene TV-Großmacht al-Jazeera – schlugen sich auf die Seite derer, die als Sieger aus den Volksaufständen hervorzugehen schienen: die Gegner der alten Diktaturen, die Demonstranten, die Aufständischen. In Ägypten, Tunesien und Libyen zeichnete sich bald ab, dass bei der politischen Neuordnung Islamisten ganz vorn stehen werden - allen voran die Muslim-Bruderschaft sowie deren Ableger. Katar setzte auf sie.
Als Mohammed Mursi, ein Muslim-Bruder, in Ägypten Präsident wurde, lieh Katar dem Staat Geld und versprach große Investitionen. Katar wollte auch Tunesien helfen, wo die Enahda-Partei – die auf die ägyptische Muslim-Bruderschaft zurückgeht – die ersten freien Wahlen gewann. Doch die Islamisten hielten sich nicht lange; schnell nahm in Ägypten und Tunesien der Unmut über die neuen Machthaber zu, über Monate hinweg gab es wieder Massenproteste.
Erkannte das Herrscherhaus in Doha, dass es auf das "falsche Pferd" gesetzt hatte? Am 25. Juni 2013 jedenfalls dankte Scheich Hamad bin Khalifa zu Gunsten seines Sohnes ab; seither ist Scheich Tamim bin Hamad Al Thani der neue Emir. Ganz als hätte das Herrscherhaus vorauseilend auf das reagieren wollen, was neun Tage später passieren sollte: Am 3. Juli 2013 setzte das ägyptische Militär Mohammed Mursi ab - nach weiteren Großdemonstrationen gegen den Präsidenten und dessen islamistische Verbündete.
Die neue Führung Ägyptens zahlte sofort nach der Entmachtung von Mohammed Mursi die Schulden an Katar zurück – mit Hilfe schneller Finanzspritzen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Deren Herrscher sind seit jeher Gegner der Muslim-Brüder, weil sie in ihnen eine Gefahr für ihre Monarchien sehen. Manche Beobachter haben darauf gesetzt, dass es mit dem Thronwechsel in Katar auch einen Politikwechsel geben würde. Doch den gibt es nicht. So herrscht zwischen Kairo und Doha politische Eiszeit. Wie auch zwischen Doha und den anderen Golf-Arabern. Der neue Emir von Katar steht offensichtlich für die alte Politik.
Haarsträubende Arbeitsbedingungen zur WM
Auch auf anderer Ebene ist Katar unter Druck geraten: wegen des Prestige-Projektes Fußball-WM 2022. Da ist die immer wiederkehrende Kritik von Menschenrechtsorganisationen an den Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Arbeiter in Katar. Im Fokus ist vor allem das so genannte "Kafala-System": Jeder Ausländer, der in Katar arbeiten will – vom Bauarbeiter bis zum Professor – braucht einen Bürgen, dem der Günstling auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Ohne die Erlaubnis dieses Bürgen darf er Katar weder verlassen noch eine andere Arbeit annehmen. Normalerweise nehmen die Bürgen ihren Angestellten sogar die Pässe ab.
Da ist es leicht, willkürlich die Löhne zu streichen oder zu kürzen oder jede noch so leise Klage gegen Arbeitsbedingungen zum Schweigen zu bringen. Und diese Arbeitsbedingungen sind zum Teil haarsträubend – glaubt man Menschenrechtsorganisationen. So sagte bereits vor einigen Monaten Priyanka Motabarthy von Human Rights Watch: "Wir machen uns große Sorgen, dass die WM-Stadien unter Misshandlung von Arbeitern gebaut werden; von Arbeitern, die sich nicht frei bewegen können, die ihren Arbeitgeber nicht verlassen können, wenn er sie misshandelt. Manche arbeiten ohne Lohn. Und manche sind sogar der Zwangsarbeit ausgesetzt."
Die Kataris wollten einst von sich reden machen. Heute sind sie froh, wenn sie nicht länger im Gerede bleiben. Eines aber wollen sie überhaupt nicht: über diese Probleme reden – jedenfalls nicht mit Journalisten. Auch nicht beim Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft 2022. Es hat seinen Sitz in einem der vielen Wolkenkratzer in Doha: ein Glas-Turm, in dem Gäste mit kühlen Getränken verwöhnt werden und in feinsten Sesseln Platz nehmen dürfen, während sie auf den Hausherrn warten, den Generalsekretär des Komitees. Nach gut einer Stunde stürmt er plötzlich herbei und lässt das Interview platzen - wegen eines dringenderen Termins. Ein weiteres Gespräch will er nicht zusagen – mit Verweis auf seinen übervollen Kalender.
Die Dauer-Kritik an den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter, dazu die hohen Temperaturen - mehr als einmal war in den vergangenen Jahren zu hören, die WM-Vergabe an Katar sei ein Fehler gewesen. Im Frühsommer kamen dann plötzlich Korruptionsvorwürfe dazu: Britische Medien berichteten, sie seien im Besitz von "Millionen von E-Mails und Dokumenten", die – so heißt es - belegten, dass Millionen Dollar geflossen sind, um Katar Stimmen bei der FIFA-Abstimmung zuzuschustern. Noch laufen die Ermittlungen. Aber der Image-Schaden ist schon jetzt da. Das Herrscherhaus dürfte nicht "amused" sein. Ebenso wenig über den Vorwurf, Terroristen zu unterstützen.
Dieser Vorwurf wird Katar immer wieder gemacht – zum Beispiel vom deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller: "Man muss sich auch die Frage stellen, wer finanziert die ISIS-Truppen... das Stichwort Katar..."
Dieser Vorwurf wird immer wieder in Doha bestritten. Unlängst auch vom Emir selbst. Während seines Deutschlandbesuches sagte er kürzlich in Berlin: "Selbstverständlich unterstützt Katar kein Netzwerk und keine militante Gruppe in Syrien oder im Irak!"
Dass Privatfinanziers aus Katar militante Islamisten vom Schlage al-Qaidas mit Geld unterstützen, halten US-Behörden durchaus für möglich. Gleichwohl liegen keine eindeutigen Belege dafür vor, dass Katar als Staat Terrorgruppen direkt finanziert.
Vor mehr als 20 Jahren hat Katar seine Image-Offensive eingeleitet. Dazu gehörte, dass das Herrscherhaus eine Außenpolitik betrieb, die die arabischen Staaten einen sollte. Und jetzt? – Jetzt steht Katar als Staat da, der Terrororganisationen finanziert, als korruptes Unternehmen, dass sich eine Fußball WM gekauft hat, und als ein Emirat, das Arbeiter versklavt.