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Emmy Ball-Hennings

Sie war ein umschwärmtes Modell diverser Maler und Fotografen wie Reinhold Junghanns und Hans Holdt; sie war Muse und Geliebte berühmter Literaten wie Ferdinand Hardekopf, Georg Heym, Erich Mühsam, Johannes R. Becher. Und später dann: Frau und Nachlaßverwalterin des Dichters Hugo Ball. Emmy Ball-Hennings. Lange Zeit wurde sie zu unrecht lediglich als reizende, begabte Amateurin gehandelt. Ihre Journale, ihre Gedichte und Prosawerke tauchten in vielen Literaturgeschichten der Nachkriegszeit nicht einmal als Fußnote auf. Ihr Zeitgenosse, väterlicher Freund und Förderer Hermann Hesse erkannte ihren künslerischen Rang bereits 1922: "Emmy Hennings ist in Deutschland nahezu 'berühmt', und wenn sie halb so bedeutend und erfolgreich in der Schuhbranche oder im Bankfach wäre wie in der Literatur, so wäre sie Millionärin, aber für geistige Werte ist heute keine Geltung da..."

Beate Berger |
    Mit dem Buch "Wege und Umwege zum Paradies" von René Gass liegt nun erstmals eine umfassendere Biographie vor, die Emmy Ball-Hennings gerecht zu werden versucht. Der Autor gibt sich bescheiden, er will, das schickt er voraus, nicht die ultimative Biographie über Emmy Ball-Hennings liefern, sondern eine essayistische Annäherung. Die wissenschaftliche Aufarbeitung ihres Nachlasses steht noch aus.

    René Gass hält sich beim Aufbau seines Buches an die Chronologie der biographischen Eckdaten. Innerhalb der einzelnen Kapitel umkreist er die entscheidenden Lebensthemen dieser schillernden Frau. Er zitiert aus ihren Werken, Briefen, aus Kommentaren und Werken ihrer Zeitgenossen. Dieses collagenhafte Vorgehen hat den Vorteil, daß die Wesenszüge von Emmy Ball-Hennings sehr deutlich hervortreten, insgesamt aber geht dies zulasten der faktischen Übersichtlichkeit. Hin und wieder wünscht man sich bei der Lektüre konkretere zeitliche Orientierung, sprich: Wie lange war sie an diesem oder jenem Ort? Warum ist sie weitergezogen? - Banale Fragen, aber je nach dem wichtig für die Schlüssigkeit einer Biographie. Schon eine differenzierte Zeittafel im Anhang des Buches hätte dieses Manko ausgleichen können.

    Der 1928 in Basel geborene René Gass, hauptberuflich Buchhändler, Bibliothekar und Dokumentarist, hat sich Emmy Ball-Hennings mit literarhistorischer Distanz, passagenweise aber auch mit verehrungsvollem Respekt genähert. Ihr Leben oszillierte zwischen Fiktion und Wirklichkeit - eine Herausforderung für den Biographen, die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit ganz besonders zu beleuchten. Just dies gelingt Gass nicht immer. Da ist oft zuviel Vorsicht, Faszination, Bewunderung im Spiel, als daß er es wagen würde, der mysteriösen Diva tatsächlich in die Karten zu schauen. Kurz, insgesamt wäre es wünschenswert, das vorhandene biographische Material würde etwas kühner gebündelt und auf dem historischen Hintergrund noch kritischer kontouriert. Aber das ist ein verzeihbarer Schwachpunkt, denn René Gass hat das lesenswerte Portrait einer ungewöhnlichen Frau zutage gefördert, einer Unangepaßten, deren Zeit- und Wertmaßstäbe sich auch in den privatesten Momenten vom allgemeinen Konsens des Soll-und-Haben unterschieden: "Wir wollen nicht vorausdenken", schrieb sie einmal in ihrem Journal "Rebellen und Bekenner", "Wir wollen nicht nach Flitterwochen, sondern nach Flitteraugenblicken denken."

    Emmy Ball-Hennings, geboren 1885 in Flensburg, gehörte zu den interessantesten und schillerndsten Künstlerinnen jener Zeit. In den Berliner und Münchner Varietés vor dem Ersten Weltkrieg trat sie als exzentrische Chansonsängerin auf; ihre Stimme, so schrieb ein zeitgenössischer Kritiker, konnte "über Leichen hüpfen und sie wie ein gelber Kanarienvogel seelenvoll trällernd verhöhnen."

    Die Künstlerin stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, aus einer Umgebung, in der sie schon als junges Mädchen "nicht die Spur von geistigem Leben entdecken konnte." Schauspielerin wollte sie werden und nach dem leidvollen Umweg einer gescheiterten frühen Ehe wird sie es auch. Ihren Sohn - er stirbt noch vor seinem zweiten Lebensjahr - und ihre Tochter gibt sie in die Obhut ihrer Mutter. Nichts und niemand kann sie in ihrem Lebenshunger aufhalten. Sie tingelt mit kleinen Wandertheatern quer durch Europa - harte Lehrjahre auf der Straße und nicht zuletzt auch auf dem Strich.

    Zwischen 1908 und 1914 zählt die melancholische Schöne zum harten Kern der Münchner und Berliner Bohème. Sie schreibt, dichtet, tritt in den Künstlercafés und Varietés als Chansonsängerin auf. Ihre Aura, eine wilde Mixtur aus Unschuld, Hysterie und Verruchtheit, fasziniert die Zeitgenossen - und bringt weniger attraktive Konkurrentinnen wie die Dichterin Else Lasker-Schüler in Rage. Selbst Erich Mühsam konnte zwischen den beiden nicht schlichten: "Die Angelegenheit Else Lasker-Schüler - Emmy spitzt sich dramatisch zu. Ich erhielt einen langen Brief von Elschen, in dem sie Emmy als 'geiles kleines Nähmädchen' beschimpft, in deren Mund ihr ‘erlauchter' Name (...) nichts zu tun habe, und worin sie schließlich erklärt, sie lasse sich das Betreten öffentlicher Lokale nicht verbieten."

    Die Tagebücher von Erich Mühsam verraten des weiteren, daß die Libertinage der Bohèmiens nicht nur ein Mythos war: "Emmy verführte mich zum Koitus. Ich warnte sie, ich sträubte mich, ich kämpfte gegen mich, aber ich war schwach. Nun werde ich sie wohl angesteckt haben, und Kätchens Tripper wird die Runde durch München machen."

    Die Gefahr des existenziellen Absturzes ist der ungestümen Emmy immer bewußt. Sie versucht sie zu bannen durch Hausaltärchen und Gebete. Liebhaber Mühsam kommentiert ihre Taufe 1911 amüsiert: "Es ist allerliebst zu sehen, wie sich bei ihr der Entschluß, katholisch zu werden, so durchaus deutlich aus Neugier, Sentimentalität und Geilheit zusammensetzt."

    In den Jahren 1913/14 trifft Emmy Hennings im Münchner Simplizissimus einen Geistesverwandten, der ihre Religiosität und fortan auch ihr Leben teilen wird: Hugo Ball. Das Paar emigriert zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach Zürich. Zusammen mit Hans Arp, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara und Marcel Janco, gründen sie das Cabaret Voltaire und die Galerie Dada, ein pazifistisches Künstlerforum, das zum Synonym für das internationale Kunst-Phänomen "Dada" werden sollte.

    Das Experiment Dada ist für Hennings und Ball bereits nach einem Jahr beendet. 1917 zieht das Paar zusammen mit der zehnjährigen Annemarie, Emmys Tochter aus erster Ehe, ins Tessin. Hermann Hesse, ihr direkter Nachbar und Freund, sorgt des öfteren diskret für die finanzielle Existenzsicherung der immer weltfremder werdenden mittellosen 'Aussteiger’. Der katholische Glaube war für die Balls existenzielle und kreative Quelle zugleich. In einem Brief aus dem Jahr 1917 schreibt Hugo Ball an seine Lebensgefährtin: "Es ist etwas Schönes um die katholische Kirche. Sie ist wie eine ewige Mutter, die uns Eintagskinder in ihre Arme auffängt. Ich bin so glücklich, Dich geborgen zu wissen."

    Für Außenstehende erscheint diese ans bigotte grenzende Frömmigkeit bisweilen nur schwer verständlich. Über das 1926 erschienene Buch "Der Gang zur Liebe" äußert sich Hermann Hesse mit Befremden: "Liebe Emmy, ich blicke in die liebe Heiligen- und Glaubenswelt Ihres Buches hinüber wie ein verhungerter Arbeitsloser am Silvesterabend in das Schaufenster eines eleganten Blumenladens blickt."

    Nach Hugo Balls Tod, im September 1927, führt Emmy Ball-Hennings ein rastloses Leben, gezeichnet von extremer Armut und Krankheit. Dennoch verlangt sie sich stets die weitläufige Allüre der Sorglosigkeit ab und unternimmt sogenannte "Zickzackfarten ins Blaue" - Tochter Annemarie bescheinigt ihr "Weglaufsucht". Emmy Ball-Hennings war, wie es in ihrem Gedicht, "Mädchen am Kai" heißt, ein "Passagier im Zwischendeck des Lebens". Ihr Biograph René Gass stellt sie uns als eine rastlose Grenzgängerin vor, die sich zwar fatalerweise immer nach der Bodenhaftung einer geordneten Existenz sehnte, letztlich aber lieber "aus dem Stegreif" lebte.