Ein einfacher Gitarrenloop, dazu ein Trap-Beat und Texte über Selbstmordgedanken, Depressionen und die Unfähigkeit zu lieben. Das sind die wesentlichen Markenzeichen der Musik von Joe Mulherin, der als Nothing, Nowhere bereits seit mehreren Jahren seinen Seelenschmerz offenbart. Auf seinem neuen Album "Ruiner" weicht er davon nur minimal ab. Im gleichnamigen Titeltrack thematisiert der schmächtige Rapper mit den schwarz gefärbten Haaren lähmende Traurigkeit und den Tod eines ihm nahestehenden Menschen.
"Emo-Rap", bezeichnet die Musikpresse den Sound von Joe Mulherin. Die Abkürzung Emo steht für Emotional und meint eine Spielart der Rockmusik, die mit Hardcore-Bands wie Rites of Spring oder Embrace in den 80er-Jahren ihren Anfang nahm und zu Beginn der 00er-Jahre mit Interpreten wie Dashboard Confessional oder Jimmy Eat World den Mainstream eroberte. Thematisiert wurde die eigene Verletzlichkeit und immer wieder romantische Beziehungsdramen. Tristan George sagt:
"Ich denke, dass diese Generation an Rappern, die derzeit sehr populär ist, dass viele davon auch diesen Emo-Trend durchfahren haben in ihrer Kindheit oder in ihrer Teenagerzeit und dass das Ganze jetzt einfach auf musikalischer Ebene weiter ausgelebt wird oder beziehungsweise jetzt sein Revival findet."
Ausdruck des digitalen Zeitalters
Tristan George ist der Betreiber des digitalen Fanzines "Znova", wo er Analysen über gegenwärtige Hip-Hop-Trends schreibt. Für ihn ist Emo-Rap nicht nur eine Rückbesinnung auf die musikalischen Vorlieben der Kindheit, sondern auch Ausdruck des digitalen Zeitalters, mit seiner Entgrenzung der Genres und dem Remix von popkulturellen Phänomenen.
"Auf jeden Fall wurde das durch das Netz gefördert. Ich denke, dass es zurückzuführen ist auf die Digitalisierung per se und unsere Generation, der wir gerade gegenüberstehen. Das ist eine Generation, die sehr schnelllebig ist, auch sehr vergesslich ist. Und da machen solche Punkte, die so eine Art Vermischung haben, die nichts Ganzes, nichts Halbes sind, die mehrere Aspekte in sich auffassen; ich glaube, das ist das, was Emo-Rap generell an sich reizvoll macht."
Zu den populärsten Vertretern des Genres zählt US-Rapper Lil Peep, der im November letzten Jahres an einer Überdosis Opiate starb. Seine Drogensucht thematisierte er immer wieder in seinen düsteren Songs. Um die dunklen Seiten des Lebens geht es auch auf XXXTentacions Debütalbum "17". Der Track "Save Me" wirkt wie ein Hilfeschrei eines verzweifelten Teenagers.
"Was wir zurzeit beobachten können, ist, dass die textliche Verlagerung heutzutage immer mehr in diese Innerliche, ja, diese Abkapselung von der Außenwelt, Abgrenzung, bis hin zur Konzentration auf die eigene Gefühlswelt geht."
Nostalgie und Eskapismus
Den Grundstein für emotionale Bekenntnisse im Hip-Hop legten allerdings Kanye West mit seinem Album "808s and Heartbreak" oder der Melancholiker Drake. Ungewöhnlich ist hingegen die Verschmelzung von Emo und Rap. Emo-Rap lässt sich vielleicht als Gegenentwurf zum politischen Conscious-Rap eines Kendrick Lamar verstehen, als eine jugendliche Alltagsflucht vor Zukunftsängsten und der Realität. Nostalgie und Eskapismus zeigen sich auch visuell: Nothing, Nowhere gestaltet manche seiner Videos in grobkörniger VHS-Ästhetik. Andere Emo-Rapper hinterlegen ihre Tracks mit Aufnahmen von geloopten Anime-GIFs und Ausschnitten aus Filmen, mit denen sie aufgewachsen sind.
Hip-Hop zählt in den USA zu den beliebtesten und meistgehörtesten Genres und hat die Rockmusik abgelöst - Verkaufszahlen, Charts-Platzierungen und Streaming-Abrufe bestätigen das. Und doch gibt es auch eine andere Deutung: Rock scheint im Augenblick im Hip-Hop neu erfunden zu werden. XXXTentacion experimentiert zum Beispiel mit verzerrten Trap-Beats, die an E-Gitarren erinnern und sampelt außerdem Musik von Bands wie Korn oder Slipknot. Und das neue Album "Ruiner" von Nothing, Nowhere zeigt mit gelungenen Tracks zwischen melancholischen Klageliedern und intimen Erfahrungsberichten, wieviel Potenzial in dieser Fusion steckt.
"Ruiner" ist seit 13. April als digitales Album verfügbar. Auf Vinyl erscheint das Album am 27. Juli.