"Liebe, Angst ... Hass, Freude ... Freude! Ja Freude ist sehr wichtig, und Zufriedenheit, dass man zufrieden ist mit seinem Leben. Nervosität und so ein Gefühl der glücklichen Ausgeglichenheit."
"Gefühle sind wichtig. Menschen merken das, weil sie in bedeutsamen Situationen besonders starke Emotionen erleben. Damit nicht genug: Gefühlen beeinflussen, wie Menschen handeln", sagt Professor Malek Bajbouj. Er ist Psychiater und leitet an der Berliner Charité den Bereich Affektive Neurowissenschaften.
"Sie moderieren, sie modellieren Entscheidungen, die wir treffen, sie lenken sie. In vielen kleinen Entscheidungen spielen Emotionen eine große Rolle."
Da erstaunt die Annahme, dass Gefühle für die großen, gesellschaftlichen Entscheidungen kaum eine Rolle spielen sollen. Dennoch haben sich die Kultur- und Sozialwissenschaften lange wenig mit ihnen beschäftigt.
"Das hat einfach damit zu tun, dass die Erklärungsansätze, die wir in der Soziologie oder in den Sozialwissenschaften hatten, sich eigentlich immer im großen und ganzen auf zwei Konzepte bezogen haben. Das eine sind Normen und das andere ist Rationalität gewesen."
Christian von Scheve ist Professor für Emotionssoziologie an der Freien Universität Berlin.
"Also wie und warum handeln Menschen auf eine bestimmte Art und Weise, wie funktioniert Gesellschaft, wie hängen Individuum und Gesellschaft zusammen und dann sind Normen und Rationalität eigentlich so die zwei großen sozialwissenschaftlichen Sterne am Himmel, wenn man so will."
"Die Wende zum Emotionalen"
So gingen beispielsweise die Soziologen Max Weber und Norbert Elias davon aus, dass die Menschen im Zuge von Modernisierung und Zivilisierung zunehmend ihre Gefühle kontrollieren und ihr Handeln der Rationalität unterwerfen müssen.
Für Historiker waren Emotionen ebenfalls lange kein Thema. Mittlerweile verändert sich das. Einige Forscher wollen bereits den sogenannten Emotional Turn ausgemacht haben. Dr. Bettina Hitzer leitet am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine Forschungsgruppe zur Geschichte der Emotionen. Sie hat mehrere Aufsätze über diese neue Perspektive geschrieben.
"Eigentlich versteht man darunter – übersetzt einfach – die Wende zum Emotionalen. Also dass einerseits Wissenschaften sich stärker mit Gefühlen beschäftigt haben aber gleichzeitig auch, dass die Gesellschaft an sich Gefühlen eine stärkere Bedeutung zugemessen hat. Also das geht glaube ich immer Hand in Hand. Die meisten verorten diesen Emotional Turn in den 1980er-Jahren."
Wie sehr sich der Blick auf Gefühle verändert hat, lässt sich anhand von drei Entwicklungen illustrieren. Erstens setzte sich die Erkenntnis durch, dass Gefühle nicht statisches sind. Bettina Hitzer fasst das unter dem Stichwort Therapeutisierung zusammen. Das war eine lange, schleichende Entwicklung.
"Es fängt natürlich an mit Freud, also mit der Psychoanalyse, dass überhaupt die Vorstellung da ist, ich kann etwas an meiner Psyche, an meinen Gefühlen bearbeiten, dass ich auch nicht notwendigerweise im klinischen Sinne oder im psychiatrischen Sinne krank sein muss, sondern auch die Vorstellung, dass Emotionen grundsätzlich bearbeitbar sind, also therapierbar sind und auch therapiert werden sollten."
Therapieboom in den70er-Jahren
In der Folge kam es zweitens ab den 1970ern zu einem Therapieboom, der bis heute anhält: Zahlreiche therapeutische Verfahren zur Behandlung oder Optimierung der Psyche drängen seither auf den Markt. Sich ihrer zu bedienen ist heute ganz normal – auch wenn man nicht leidet, erklärt der Psychiater Malek Bajbouj.
"Ein und dieselben Techniken bieten wir an für Menschen, die an einer Depression leiden, aber auch bei irgendwelchen DAX-Vorständen, die ein Coaching brauchen. Und das illustriert ganz gut, dass, welche Rolle Emotionen spielen, wie wir uns verhalten, welche Determinanten es gibt für unser Verhalten, dass das Ganze nicht nur im psychiatrischen Kontext relevant ist, sondern eben auch für unser alltägliches Leben."
Hinzu kommt eine dritte Entwicklung: Der Blick auf das Verhältnis von Emotion und Kognition, von Gefühl und Vernunft, hat sich verändert. Forscher nehmen heute sogar an, dass Gefühle für rationale Entscheidungen wichtig sind. Was paradox klingt, beschreibt der Neurowissenschaftler Antonio Damasio in seinem Buch "Descartes Irrtum – Ich fühle, also bin ich". An Fallbeispielen zeigt er unter anderem, dass Gefühlsarmut die Entscheidungsfindung beeinträchtigt.
"Und das hat er dann generalisiert in einer Weise, dass man da zum ersten Mal gesehen hat, dass Emotionen Grundvoraussetzungen sind, dass man vernünftig entscheidet. Wenn man diese nicht hat, dann kann man nicht vernünftig entscheiden. Und das hat dieses binäre Modell, was man bis dahin hatte, man ist entweder rational, Mr. Spock, oder man hat Emotionen und Emotionen stören eher rationale Abläufe, hat er über Bord geworfen."
Diese Erkenntnis haben zuerst Psychologen und Neurowissenschaftler gehabt. Mittlerweile sei sie in weiten Teilen der wissenschaftlichen Welt verbreitet, sagt die Emotionshistorikerin Bettina Hitzer.
"Und von da aus hat es sich eben dann in die anderen Wissenschaften eigentlich ausgebreitet. In die Ökonomie, die Abschied genommen hat vom Homo Oeconomicus, also vom rational entscheidenden Menschen, der nur aufgrund dieser Vernunft Marktentscheidungen trifft, sondern, dass man stärker auch guckt, in wie fern sind Gefühle beteiligt und ist das nur schlecht, wie kann man das einbeziehen in ökonomische Berechnungen. In der Soziologie, die auch in der politischen Soziologie, ganz stark dann Gefühle miteinbezogen hat, wenn es eben um politisch- soziale Bewegungen ging und schließlich auch in der Geschichtswissenschaft."
Ein Problem gibt es dabei aber: Forscher können zwar Gefühle mittlerweile im Magnetresonanztomographen sichtbar machen, indem sie zeigen, welche Gehirnregionen, bei welchen Gefühlen aktiv sind. Sie können sich auch von Probanden erzählen lassen, was sie fühlen.
"Etwas gern haben, dieses warme, liebevolle Gefühl, wütend sein, traurig sein. Hass. Freude. Freude und Traurigkeit."
Definition von Gefühl bereitet Kopfzerbrechen
Wie genau sich Liebe, Hass oder Freude für den einzelnen anfühlt, ist aber schwer zu sagen. Denn das Erleben eines Gefühls ist ein internes Geschehen. Es ist nicht beobachtbar. Niemand kann einem anderen in die Seele schauen und das Gesehene dann intersubjektiv nachvollziehbar aufbereiten. Und bereits eine kühle Definition von Gefühl bereitet Kopfzerbrechen.
Bajbouj: "Gefühl ist etwas sehr, sehr schwieriges ..."
Hitzer: "Uff, das ist, je nachdem wen Sie fragen, mehr oder weniger schwer zu beantworten."
Scheve: "Oh, das ist aber gleich die schwerste Frage, die man überhaupt stellen kann."
Bajbouj: "Jeder hat eine ungefähre Vorstellung, aber in dem Moment, wo man es definieren soll, bekommt jeder Schwierigkeiten."
Hitzer: "Uff, das ist, je nachdem wen Sie fragen, mehr oder weniger schwer zu beantworten."
Scheve: "Oh, das ist aber gleich die schwerste Frage, die man überhaupt stellen kann."
Bajbouj: "Jeder hat eine ungefähre Vorstellung, aber in dem Moment, wo man es definieren soll, bekommt jeder Schwierigkeiten."
In der Tat sind sich selbst Psychologen nicht einig, wenn es darum geht zu sagen, was Gefühle überhaupt sind. So gibt es unter anderem kognitive, evolutionäre und lernpsychologisch sowie neuropsychologische Ansätze, die Emotionen jeweils anders auffassen. Eine ganz basale Definition liefert aber der Psychiater Malek Bajbouj:
"Eine Emotion ist eine Reaktion auf ein inneres oder äußeres Ereignis. Nehmen sie ein Beispiel: Sie sehen einen Bären, und was passiert? Sie haben eine motorische Reaktion, sie möchten wegrennen, sie haben eine vegetative Reaktion, das Herz schlägt schneller und sie haben das Gefühl, in dem Fall, die Angst."
"Die Kultur- und Sozialwissenschaften haben eine etwas andere Perspektive auf die Sache", sagt Emotionssoziologe Christian von Scheve.
"Indem sie sagen, eigentlich ist der Weg von diesem basalen Gefühlsempfinden hin zu so was wie – was man dann eine distinkte Emotion nennt – ist relativ weit und ist kulturbehaftet und kulturbeladen. Also die kulturelle Prägung und die kulturellen Deutungsmuster machen eigentlich erst aus einem solchen basalen Gefühlsempfinden eine ganz bestimmte Emotion. Und die Emotion ist dann auch wieder mit einer bestimmten kulturellen Wertigkeit behaftet."
Demnach sind Gefühle keine archaischen Programme, die von Geburt an in uns stecken. Wie wir fühlen, ist zu weiten Teilen sozial erlernt und in hohem Maße kulturell bestimmt. Kultur- und Sozialwissenschaftler fragen genau nach diesen Determinanten.
"Als Historiker und als Historikerin tut man gut daran zu sehen, was haben die Menschen jeweils darunter verstanden und was haben sie denn aus diesem Konzept gemacht. Also welche Bedeutung hat die Vorstellung, dass Gefühl etwas irrationales ist, was ich nicht oder nur wenig beherrschen kann, was ich mühsam lernen muss zu kontrollieren, welche Bedeutung hat das zum Beispiel für den Umgang mit Kindern, für politische Entscheidungen, für Marktentscheidungen, wie soll der Markt strukturiert werden, wie sollen Entscheidungen im Kalten Krieg getroffen werden, um zum Beispiel so etwas wie eine gefährliche irrationale Emotion auszuschließen. Das ist eigentlich das, was mich interessiert."
Die Historiker waren eigentlich Spätzünder. Sie haben erst vor ungefähr 20 Jahren angefangen, sich mit Emotionen zu beschäftigen. Die Wurzeln der Emotionsgeschichte sind eng mit dem Namen Peter Stearns verbunden. Er veröffentlichte 1994 ein Buch mit dem Titel "American Cool".
"Peter Stearns ist einer der ersten, die sich mit Emotionsgeschichte beschäftigt haben. Und er hat ein Modell entwickelt, wie man das tun kann – zusammen mit seiner Frau, Carol Stearns: Emotionology. Die Idee dahinter war eigentlich, dass man die Gefühle an sich nicht erforschen kann als Historiker, sondern nur die normativen Gefühlsregime, also die Art, wie man Regeln, wie man fühlen soll, beziehungsweise, wie man Gefühle zeigen soll. Die Hauptquelle, die er benutzt, sind erziehungspädagogische Ratgeber als auch Ratgeber von Psychologen zur Erziehung, die eben festlegen, wie man mit Angst umgehen soll, wie Eltern ihren Kindern beibringen sollen, dass sie keine Angst haben sollen, dass sie mutig sein sollen. Daraus rekonstruiert er dann diese emotionalen Normen und kann so eine Geschichte dieser emotionalen Normen erzählen."
Für Nordamerika beschreibt Stearns schließlich eine "Cool Emotionology". Das ist Vorstellung, dass intensives Fühlen unangemessen sei und Gefühle nicht mehr gezeigt werden sollten. Entstanden seien diese emotionalen Regeln im viktorianischen Zeitalter und hätten dann in den 1970er-Jahren langsam begonnen sich zu ändern. Stearns knüpft in seiner Untersuchung an Konzepte aus der Soziologie an.
Airline-Video als Ausgangspunkt für emotionssoziologischen Studien
"Welcome abord and thanks for flying with Delta. Our first priority on every flight is safety. So before we depart, I will be giving a brief safety presentation."
In einem Video der Delta Airlines gibt eine Stewardess Sicherheitshinweise. Das Gefühlsleben von Mitarbeitern der nordamerikanischen Fluglinie war der Ausgangspunkt für eine der ersten emotionssoziologischen Studien.
"Das war also die klassische Studie Von Arlie Hochscheid Ende der 70er Jahre. Das war eine ethnografische Studie, wo sie sich angeschaut hat, wie Flugbegleiterinnen dazu angehalten werden, nicht nur ein Lächeln aufzusetzen, sondern tatsächlich Freude beim bedienen der Kundschaft zu empfinden. Natürlich mit einem bestimmten Hintergedanken, nämlich der, dass nur dann, wenn dieses Gefühl tatsächlich empfunden wird und nicht nur in Form eines falschen Lächelns zum Ausdruck gebracht, desto höher ist natürlich die Zufriedenheit der Kunden."
Arlie Hochschild prägte die beiden Begriffe emotion work und feeling rules. Emotion work, also Emotionsarbeit, bedeutet, dass Menschen Strategien anwenden, um ihre Gefühle zu erzeugen, sie zu verändern oder sogar zu unterdrücken. Menschen gehen nicht willkürlich mit Gefühlen um. Sie folgen bestimmten Gefühlsregeln, den feeling rules. Das können beispielsweise institutionelle Normen oder kulturelle Verhaltenserwartungen sein.
William Reddy hat sich auch mit Gefühlsregeln beschäftigt. Er ist einer der wichtigsten Emotionshistoriker. Mit ihm verbindet sich eine Theorie, die Emotionen als einen wesentlichen Motor der Französische Revolution sieht. Reddy rekonstruiert ein emotionales Regime, also Gefühlsregeln, die vorgeben, welche Gefühle wie ausgelebt werden können. Bettina Hitzer:
"Und seine Idee war dann, dass ein solches Regime auch zu einem emotionalen Leiden führen kann. Weil es eben nicht für alle Gefühle die Möglichkeit gibt, ausgelebt zu werden. Und das in so einer Situation sich dann emotionale Refugien bilden, also kleinere Gruppen, die sich versuchen, diesem emotionalen Regime zu entziehen und einen neuen emotionalen Stil zu entwickeln und zu leben. Und das so ein emotionales Refugium dann tatsächlich auch eine politische Bedeutung gewinnen kann."
Aber Vorsicht, Gefühle können nicht alles erklären. Das würde auch William Reddy nicht machen, sagt Bettina Hitzer.
"Ich würde aber schon sagen, dass er natürlich andere Faktoren mit einbezieht und selber als Emotionshistorikerin sagen, dass man das in jedem Fall muss. Mann kann die Geschichte nicht allein, selbst die Gefühlsgeschichte, nicht allein aus Gefühlen erklären, sondern man muss unbedingt andere soziale, ökonomische, gesellschaftliche Entwicklungen mit einbeziehen."
Der Emotional Turn ist eine neue Perspektive. Dadurch wird deutlich, dass Gefühle an vielen gesellschaftlichen Entwicklungen beteiligt sind und Entscheidungen beeinflussen. Die neue Perspektive hat aber auch eine individuelle Bedeutung. Bettina Hitzer macht das an ihrem aktuellem Forschungsprojekt – der Medizingeschichte – deutlich. Es sei auffällig,
"dass ich auch da immer wieder feststellen kann, wie Vorstellungen darüber, was man in bestimmten Krankheiten fühlen soll, wie man mit bestimmten Formen von Krankheit umgehen soll, sehr stark normativ besetzt sind. Und wenn man dann erkennt, wie stark auch diese Vorstellung, was gut, richtig, gesundheitsfördernd usw. war, und wie sich diese Vorstellungen geändert haben, dann würde ich das für mich selber sagen, aber ich glaube auch, dass ich das vermitteln kann, und möchte, dass das einem eine Freiheit gibt, auch im Umgang mit den eigenen Gefühlen. Und sich ein Stück weit von diesen zeitgenössischen normativen Setzungen darüber, welche Gefühle richtig und gut und schädlich und schlecht sind, sich davon ein Stück weit zu distanzieren."