Sie verwandelte historische Fakten in lebendige Szenen, etwa in ihrer Darstellung des "Dreißigjährigen Krieges". Was zu Beginn ihrer Karriere als neuer historischer Roman breite Resonanz fand, entwickelte Ricarda Huch im Alter zu einer bis heute berührenden Literatur. In ihrer Kurzgeschichte "Der Fliegerangriff" schilderte sie eine Szene im Luftschutzkeller, während im Frühjahr 1945 Bomben auf Jena fielen:
"Es zerreißt mir das Herz, dass ich diese Qual nicht lindern kann. Dass diese Angst der Kreatur mich ohnmächtig macht. Ich bin alt, sage ich mir, ich sollte etwas sagen, das uns über dieses Grauen hinweghebt, einen Bibelspruch vielleicht, von dem der Teufel weicht, wenn man das Kreuz schlägt, aber ich empfinde nichts als wahr und angemessen."
Nichts ist mehr wahr und angemessen. Aus dem Mund von Ricarda Huch klingt das wie eine Bankrotterklärung der humanistischen Bildung. Die damals 81-Jährige, die wie keine andere diese Tradition verkörperte, schien zu kapitulieren. Nach zwölf Jahren Niedergang des Geistes nun die Apokalypse des Bombenkriegs. Aber sie überlebte. Dabei hätten die Nationalsozialisten allen Grund gehabt, sie verschwinden zu lassen.
"Sie wissen, dass sie 1933 demonstrativ aus der Preußischen Akademie aus politischen Gründen ausgetreten ist, als sie merkte, wie sie von den Nazis vereinnahmt werden sollte. Sie hat, während der Jahre des Dritten Reiches, sie lebte also in Deutschland, gehörte also zur inneren Emigration, sie hat jede Kollaboration mit dem Nazi-Regime vermieden."
Mitreißende Darstellung der Romantik
Der Publizist Wolfgang Matthias Schwiedrzik über Ricarda Huch. Er publizierte ausgewählte Tonaufnahmen der Intellektuellen, darunter auch Erinnerungen an ihre Studienzeit in der Schweiz. Die am 18. Juli 1864 in Braunschweig geborene Tochter eines Kaufmanns wurde 1891 in Zürich im Fach Geschichte promoviert. Mit leichter Bitternis rief sich die Schriftstellerin ihre Studienjahre ins Gedächtnis. Professor Gerold Meyer von Knonau [*] wurde ihr zum Sinnbild einer Geschichtswissenschaft, von der sie sich distanzierte.
"Er war das Muster eines jener Gelehrten, der die Quellen gewissenhaft durchforscht und in unermüdlicher Arbeit die Ergebnisse sammelt. Das ist selbstverständlich notwendig und gut. Aber bloße Tatsachen, wenn sie nicht in Beziehung zu uns und zu den Geistern in der Luft, wie der Apostel Paulus sie nennt, gebracht werden können, mit denen wir kämpfen, leiden doch Spreu."
Ricarda Huch publizierte neben Dramen und Aufsätzen vier Bände mit Gedichten und eine mitreißende Darstellung der Romantik. Eine empfindsamere Historikerin hat es wohl nicht gegeben. Ihre Liebe zur Dichtung brachte ihr die Skepsis der männlichen Kollegen ein, was die selbstbewusste Autorin jedoch nicht aus der Bahn warf. Bei allem, was Ricarda Huch widerfuhr, blieb ihr das Wort letzte Instanz. Das war selbst nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs so. 1947 eröffnete sie in Berlin den ersten freien Schriftstellerkongress.
Ricarda Huch galt als Gewissen der Nation
"Die Dichter und Schriftsteller haben eine besondere Beziehung zur Einheit. Und zwar durch die Sprache. Die Sprache scheidet ein Volk vom anderen, aber sie hält auch ein Volk zusammen. Und die Dichter und Schriftsteller sind ja die Verwalter der Sprache. Sie bewahren und erneuern die Sprache, sie bewegen mit ihrer Sprache die Herzen und lenken die Geister. Und durch die Sprache sind sie auch Verwalter des Geistes. Denn die Sprache ist ja die Scheide, in der das Messer des Geistes sitzt."
Ricarda Huch galt nun als das Gewissen der Nation. Sie starb wenig später, am 17. November 1947, während einer Reise bei Frankfurt am Main. Obwohl in den sechziger Jahren eine elfbändige Gesamtausgabe ihrer Schriften erschienen war, blieb eine kritische Auseinandersetzung lange aus. Hundert Jahre nach ihren ersten Erfolgen hat die Wissenschaft sie neu entdeckt. Gewürdigt wurde sie nun erstmals - und das hätte sie gefreut - auch als Historikerin, die kongenial Politik-, Militär-, Sozial- und Kulturgeschichte miteinander kombinierte.
[*] Anm.: Abweichend von der Sendefassung wurde an dieser Stelle eine falsche Jahresangabe entfernt.