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Ende der Braunkohle
Bangen und Zuversicht in der Lausitz

In Brandenburg wird die Braunkohleförderung immer weiter heruntergefahren. Hunderte Menschen könnten allein in diesem Jahr ihre Jobs verlieren. Andere sehen im Kohleausstieg eine Riesenchance – und versuchen mit Innovationen den Strukturwandel zu gestalten.

Von Vanja Budde |
Vor dem Werkstor des Braunkohle-Kraftwerks Jänschwalde hängt ein Protestbanner
Widerstand gegen das Ende der Braunkohle: Vor dem Werkstor des Kraftwerks Jänschwalde hängt ein Protestbanner (Deutschlandradio / Vanja Budde)
Die Maschinenhalle im Lausitzer Kraftwerk Jänschwalde ist zehn Meter hoch und etwa 150 Meter lang. Sie beherbergt zwei mächtige Turbinen, die dröhnend Strom produzieren. Mit 3.000 Megawatt installierter Leistung ist Jänschwalde das drittgrößte Braunkohle-Kraftwerk Deutschlands. Es stößt jährlich um die 20 Millionen Tonnen CO2 aus.
Das ist Platz vier auf der Liste der klimaschädlichsten Kraftwerke Europas. Am 30. September 2018 wurde darum einer der sechs Blöcke abgeschaltet. Klimaschützer jubelten. Doch für den stellvertretenden Kraftwerksleiter Jürgen Ackermann war das ein trauriger Tag:
"Auch die Mannschaft, die dieses Manöver der Stilllegung des Blockes dann hier machen musste, die ist bestimmt nicht gerne auf Arbeit gekommen an dem Tag. Es war ein Sonntag. Wir waren natürlich auch alle hier. Aber ich muss ehrlich sagen: Ob ich mir das für den zweiten Block E noch mal antun werde, da muss ich noch mal darüber nachdenken."
Der stellvertretende Kraftwerksleiter Jürgen Ackermann vor einer Turbine im Kraftwerk Jänschwalde
Der stellvertretende Kraftwerksleiter Jürgen Ackermann vor einer Turbine im Kraftwerk Jänschwalde (Deutschlandradio / Vanja Budde)
600 Arbeitsplätze könnten allein 2018 verloren gehen
Der zweite Block soll im Oktober dieses Jahres in Reserve geschickt werden. 600 Arbeitsplätze werden den Stilllegungen zum Opfer fallen, sagt Jürgen Ackermann, 500 davon in den umliegenden Tagebauen, die das Kraftwerk mit Braunkohle beliefern. Jürgen Ackermann:
"Es ist aus unserer Sicht großer Schwachsinn, dass man unsubventionierte Kraftwerkskapazität stilllegt, hochmodern, flexibel einsetzbar, und damit auch eine Vielzahl Arbeitsplätze verschwinden. Das können wir als Kraftwerker und Werkleute eigentlich nicht einordnen."
Jänschwalde sei doch nach der Wende für Milliarden modernisiert worden, um Umweltstandards zu genügen, meint Jürgen Ackermann. Auch Wilfried Platz ist sauer, 62, vergangenes Jahr 45-jähriges Dienstjubiläum, seit Anfang der 80er Jahre in Jänschwalde:
"Dass in 59 Staaten zurzeit 1.380 Kohlekraftwerke in Planung und im Bau sind. Dann schlägt man die Hände überm Kopf zusammen, dass man hier in Deutschland das Weltklima retten will, wenn man hier fünf oder zehn Braunkohlekraftwerke abschaltet."
Die Lausitz soll mit Milliarden Euro unterstützt werden
Wilfried Platz, Meister für Kraftwerkstechnik, sitzt in der Steuerungszentrale am Computer und beobachtet ein halbes Dutzend Bildschirme. Seine Aufgabe ist es, die Blöcke möglichst wirtschaftlich zu fahren.
Dann klingelt das Telefon. Schichtleiter Wilfried Platz muss ein Problem mit dem Kühlwasser klären. Derweil erläutert Jürgen Ackermann, warum er den anstehenden Strukturwandel in der Lausitz mehr als skeptisch sieht, obwohl die Bundesregierung den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen in den kommenden 20 Jahren 40 Milliarden Euro Beihilfen in Aussicht stellt:
"Also, Infrastruktur entwickeln macht sicherlich Sinn, keine Frage. Wenn man sich allerdings die Summen anguckt, dann muss ich natürlich hier als Erstes klarstellen, dass die Summen, die für die Lausitz bereitgestellt sind, gar nicht vergleichbar sind mit der Wertschöpfung, die wir gegenwärtig mit unserer Firma, ich rede also nur von der LEAG mit den Tagebauen und Kraftwerken, machen."
Anderthalb Milliarden Euro Jahresumsatz mache der Betreiber LEAG, erklärt Jürgen Ackermann. Die jährlich auf die Lausitz entfallenden 800 Millionen Euro an Steuergeldern für Strukturbeihilfen seien davon nur die Hälfte. Er meint:
"Deshalb kann ich mir gar nicht vorstellen, dass da nun so ein großer Ruck durch die Region gehen wird. Also, mir fehlt da sehr wohl der Glaube – auch aus den Erfahrungen der Vergangenheit, dass wir hier doch sehr abgehängt sind in der Lausitz im Vergleich zu vielen anderen Regionen in Deutschland."
Prof. Jan-Heiner Küpper will mit Mikroalgen-Kulturen CO2 aus der Atmosphäre entnehmen
Prof. Jan-Heiner Küpper will mit Mikroalgen-Kulturen CO2 aus der Atmosphäre entnehmen (Deutschlandradio / Vanja Budde)
Untergang oder Riesenchance?
Jürgen Ackermann und Wilfried Platz gehen beide nächstes Jahr in Rente. Sie glauben, dass mit dem Kohleausstieg das Totenglöckchen für die Lausitz läutet. Doch Jan-Heiner Küpper spricht von einer Riesenchance: Der Professor für molekulare Zellbiologie an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg will mit Mikroalgen-Biomasse CO2 aus der Atmosphäre entnehmen. Jan-Heiner Küpper:
"Mikroalgen wie zum Beispiel die bekannte Mikroalge Spirulina, die eine im Vergleich zu Landpflanzen 50- bis 100-fach erhöhte Biomasseproduktivität haben. Entsprechend geringer ist auch mein Flächenbedarf."
Dafür hat Jan-Heiner Küpper 2017 die Firma Carbon Biotech gegründet. 40 bis 50 Arbeitsplätze wolle er schaffen, sagt der Wissenschaftler und Unternehmer voller Tatendrang. Jan-Heiner Küpper kam vor zehn Jahren aus Heidelberg in die Lausitz: ein leidenschaftlicher Klimaschützer im Braunkohlerevier – damals ein Kulturschock. Er erzählt:
"Ich habe dann immer wieder in meinen Vorlesungen auch über technologische Innovationen gesprochen und gesagt, dass man auch über eine Zeit nach der Kohle nachdenken müsse. Und da waren einige Studenten, die das nicht hören wollten, und dann zu mir sagten: 'Über Kohleausstieg darf man hier in der Region nicht reden'. Habe ich aber trotzdem gemacht."
"Der Strukturwandel hat längst begonnen"
Mittlerweile habe der Strukturwandel längst begonnen, erzählt Jan-Heiner Küpper. Viele findige Köpfe säßen an innovativen Ideen und Methoden. Sie alle hoffen nun, von den Bundesbeihilfen zu profitieren. Für ein erstes Sofortprogramm sind 240 Millionen Euro vorgesehen. Davon sollen mehr als 70 Millionen in Forschungs- und Innovationsprojekte investiert werden: in Künstliche Intelligenz, nachhaltige Energie, Bioökonomie, Digitalisierung und Medizin.
"Und da passiert in der Lausitz im Moment so viel, wie sonst nirgendwo anders in Deutschland. Insofern glaube ich, dass wir hier wirklich auf einem sehr, sehr guten Weg sind."
Meint Jan-Heiner Küpper. Dass die Kohle-Kumpel mit Angst und Trauer auf die Entwicklung blicken, das kann er aber nachvollziehen:
"Und wenn man Verständnis zeigt, und wenn man zeigt: Es geht in der Region weiter – das ist ganz wichtig für die Leute zu wissen, es wird nicht einfach eine Industrie abgeschaltet, sondern es wird etwas Neues aufgebaut, und es gibt eine Zukunft für die Lausitz –, dann geht die Ablehnung deutlich zurück und man stößt auf Zustimmung."