Einige Bundesländer haben beschlossen die Lohnfortzahlungen für Ungeimpfte in bestimmten Fällen auszusetzen. Grundlage dafür ist das Infektionsschutzgesetz vom 25. Juni 2021, in dem diese Möglichkeit gegeben wird, bisher aber nicht angewandt wurde.
Bisher bekamen Arbeitnehmer, die in während einer Quarantäne aufgrund einer Corona-Infektion nicht arbeiten konnten, Lohnfortzahlungen durch den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber wiederum konnte sich dieses Geld vom Staat erstatten lassen. Das soll sich für Ungeimpfte nun in einigen Bundesländern ändern.
Aktuell betrifft das die Bundesländer:
- Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Rheinland-Pfalz
Die Folgen für Ungeimpfte:
- Es wird kein Lohn mehr erstattet, wenn Ungeimpfte zum Beispiel nach Auslandsreisen oder im Rahmen der Kontaktverfolgung als Direktkontakt einer Corona-Infizierten Person in Quarantäne müssen.
Im Fall einer Covid-19-Erkrankung soll jedoch weitergezahlt werden. Im Infektionsschutzgesetz heißt es: "…nach gegenwärtigem Kenntnisstand (kann) nicht angenommen werden, dass eine Impfung die Infektion verhindert hätte."
DGB-Chef Reiner Hoffman hält die Entscheidung für falsch. Sein Argument: Ein richtiges Ziel, werde hier mit dem falschen Instrument verfolgt. Die Entscheidung zu den Lohnfortzahlungen bringt nach Ansicht Hoffmanns zahlreiche arbeitsrechtliche Konsequenzen mit sich, die "überhaupt nicht durchdacht worden seien" - und auch zu Kündigungen führen könnten. Die Politik forderte Hoffmann dazu auf, beim Thema Impfpflicht ehrlich zu sein. Menschen sollten beim Thema Impfen nicht in Zwangssituationen gebracht werden, so Hoffmann im Dlf. Er setzt auf Motivation statt auf Repression.
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Sandra Schulz: Verdienstausfälle für Ungeimpfte in Quarantäne, die sollen künftig in mehr und mehr Ländern nicht mehr erstattet werden. Ist das die richtige Weichenstellung, die da jetzt aus den Ländern kommt?
Reiner Hoffmann: Nein, das ist überhaupt nicht die richtige Weichenstellung. Wenn wir wollen, dass sich mehr Menschen freiwillig impfen lassen, dann ist es aus unserer Sicht deutlich besser, offensiv dafür zu werben, als den Druck jetzt auf die Ungeimpften immer weiter zu erhöhen. Mit einem solchen Zwang werden wir die Impfquote nicht deutlich erhöhen. Aber das muss auf intelligente Weise befördert werden.
"Konflikt wird auf die Beschäftigten verlagert"
Schulz: Wird es nicht eine ganz nüchterne Abwägung bei vielen sein, die dann Kosten und Nutzen für sich abwägen bei der Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht?
Hoffmann: Natürlich sollte man es den Menschen wirklich ausdrücklich empfehlen. Das haben die Gewerkschaften, das haben die Arbeitgeber gemacht. Aber hier wird ein Konflikt auf die Beschäftigten und im Zweifelsfall auf die Betriebe verlagert, weil damit ist nichts anderes als eine indirekte Impfpflicht verbunden, und da soll Politik sich ehrlich machen und sich entscheiden, was sie will.
"Politik macht sich nicht ehrlich"
Schulz: Aber es ist ja eine Entscheidung von tausenden von Entscheidungen, die jeder in seinem Alltag, die jeder in seinem Leben treffen muss. Jeder kann entscheiden, ob er sich leisten kann oder will, sich nicht impfen zu lassen. Ich frage das jetzt noch ein bisschen zugespitzter; bitte verstehen Sie es nicht als Polemik. Aber es ist ja wirklich absolut normal, dass man entscheidet, was man sich leistet und was nicht. Warum soll das beim Impfen anders sein?
Hoffmann: Es sind natürlich individuelle Beweggründe, die die Menschen bewegen, und da sollten wir schon durchaus Rücksicht drauf nehmen. Aber noch einmal: Auch die Gewerkschaften, gemeinsam mit den Arbeitgebern, sind seit Wochen auf dem Weg, Menschen zu motivieren. Aber ob Zwang der richtige Weg ist, das stellen wir deutlich in Frage, weil noch einmal: Die Politik macht sich nicht ehrlich, wenn sie nicht sagt, wir wollen eine Impfpflicht, sondern das ist eine Impfpflicht durch die Hintertür, und das muss man dann auch als solches kritisieren. Das kann man nicht mit Repressalien der Entgeltfortzahlung beantworten.
"Arbeitsrechtlichen Konsequenzen überhaupt nicht durchdacht"
Schulz: Gerade darüber läuft ja die Diskussion, ob das eine Impfpflicht durch die Hintertür ist oder nicht. Das Argument – Sie haben es auch gerade noch mal gehört -, das jetzt aus den Ländern kommt, die diese Erstattungen jetzt auslaufen lassen wollen, das ist ja ein Solidaritätsargument. Wir haben gerade die Zahl aus Baden-Württemberg gehört. Dutzende von Millionen von Euro werden aufgebracht von der Solidargemeinschaft, um finanziell die Entscheidung abzudecken von einzelnen, die sich nicht impfen lassen wollen. Ist das solidarisch?
Hoffmann: Ich halte dieses Zahlenbeispiel für falsch, weil das sind natürlich Kosten, die in der Vergangenheit angefallen sind, und da war es richtig, dass den Arbeitgebern im Fall, dass ihre Beschäftigten in Quarantäne mussten oder nicht in den Betrieb konnten, dann die Entgelt-Ersatzleistungen gezahlt werden. Das wird ja von den Arbeitgebern weiterbezahlt. Aber man muss sich doch mal vorstellen, welche ganzen arbeitsrechtlichen Konsequenzen dahinterstehen, dass wirklich den Konflikt in die Betriebe verlagern wird. Das kann auch den Arbeitgebern nicht recht sein, weil sie müssen dann nachweisen, was die Gründe sind, wenn sie nach dem Infektionsschutzgesetz die Entgelt-Ersatzleistungen erhalten wollen. Damit wird der Gesundheitszustand der Beschäftigten offengelegt. Auch das wollen wir nicht. Und hier sind einfach die ganzen arbeitsrechtlichen Konsequenzen überhaupt nicht durchdacht worden. Das halte ich für ein Defizit. So kann man mit dem Problem nicht umgehen. Wir sind der Auffassung, massiv dafür werben. Viele Unternehmen haben das gemacht. Da wo wir Betriebsräte haben, Personalräte haben, läuft das wunderbar. Da müssen die Kraftanstrengungen jetzt konzentriert werden und nicht eine falsche Debatte initiiert werden, die am Ende nur zu zusätzlichen Problemen führen wird.
"Menschen motivieren, aber ohne Repressionen"
Schulz: Welche Rückmeldungen haben Sie denn aus den Unternehmen? Im Moment sprechen wir ja über diese Erstattungen, die dann vom Staat geleistet werden. Die Lohnfortzahlung übernimmt ja nicht das Unternehmen, sondern das kommt dann wirklich vom Land. Und es steht ja jedem Unternehmen frei, das sagt, uns ist der Betriebsfrieden wichtiger, dann auch zu sagen, dann übernehmen wir auch die Lohnfortzahlung. Welche Signale haben Sie da?
Hoffmann: Es gibt viele Unternehmen, die waren durch die Pandemie, durch Kurzarbeit, durch Schließung von Geschäften massiv ökonomisch unter Druck, so dass die Arbeitgeber sagen, wenn es Möglichkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz gibt, Lohnersatzleistungen zu beantragen, dann machen wir das auch. Aber wenn sie das machen und gegenüber den Behörden diese Leistungen beantragen, die sie ja im Vorfeld den Beschäftigten schon ausgezahlt haben, müssen sie das offenlegen und müssen im Zweifelsfall auch sensible Gesundheitsdaten offenlegen, warum Beschäftigte sich nicht haben impfen lassen können. Hier wird noch mal ein neues Problem aufgemacht. Es werden Konflikte in die Betriebe hineinverlagert und nicht das eigentliche Problem angegangen, dass man Menschen wirklich motiviert, und zwar ohne Repressionen, sich impfen zu lassen. Da haben wir noch viel Nachholbedarf. Es ist doch klasse, dass wir jetzt endlich ausreichenden Impfstoff zur Verfügung haben, und deshalb wollen wir auch die Menschen motivieren, aber ohne Repressionen.
"Menschen nicht in Zwangssituationen bringen"
Schulz: In welche Form soll diese Motivation denn noch gegossen werden? Es ist ja im Moment das Angebot absolut niederschwellig. Man kann sich quasi überall impfen lassen. Was soll das jetzt als Motivationsspritze noch steigern?
Hoffmann: Das ist die völlig richtige Frage, Frau Schulz. Wir erleben doch, dass die Kommunen da relativ viel Fantasie in den letzten Wochen und Monaten entwickelt haben, etwa mit mobilen Impfstationen. Wir wissen doch auch über die Gesundheitsämter, welche Bevölkerungsgruppen haben wir bisher nicht erreicht, dass man da viel gezielter vorgeht. Da sind auch viele Bevölkerungsgruppen bei, die gar keine Beschäftigten sind, die arbeitslos sind. Auch die müssen wir erreichen. Auch da kann ich über solche Regelungen, die Entgeltfortzahlung nicht zu gewähren, diese Menschen nicht erreichen. Also viel zielgerichtetere Maßnahmen, schauen was sind eigentlich die Bevölkerungsgruppen, die wir bislang nicht erreicht haben, und da konkret anzusetzen, niederschwellige Angebote. Das machen viele Kommunen. Das funktioniert auch. Da müssen wir noch ein paar Kraftanstrengungen mehr unternehmen. Dann hoffe ich, dass wir die Menschen mitnehmen, aber nicht in Zwangssituationen bringen, wo Politik sich weigert zu sagen, was sie will. Noch einmal: Das ist ein verdeckter Infektionsschutz und da halte ich diese Unehrlichkeit auch nicht wirklich für zielführend.
"Eine Impfpflicht durch die Vordertür"
Schulz: Aber was genau ist denn daran verdeckt? Die Signale sind inzwischen ja wirklich kaum noch zu übersehen. Es setzen jetzt mehr und mehr Bundesländer vor allem auf die Öffnung in Richtung 2G. Gehen Sie davon aus, dass der Zug sich bewegt in einer Richtung des höheren Drucks in den Betrieben? In Fällen von 2G muss ja auch die Belegschaft dann geimpft sein.
Hoffmann: Genau das ist der Punkt und Sie haben es ja richtig beschrieben. Was ist daran verdeckt? – Eigentlich haben Sie recht, es ist keine Impfpflicht durch die Hintertür, sondern das ist eine Impfpflicht durch die Vordertür, dass, wenn ich 2G-Regelungen im Arbeitsleben einführe, ich faktisch die Impfpflicht einführe. Dann soll man es aber auch bitte so sagen und nicht mit solchen kruden Verwirrungen die Menschen irritieren. Da wäre mehr Ehrlichkeit angesagt.
Hoffmann: Falsches Instrument für ein richtiges Ziel
Schulz: Ich komme noch mal auf das Solidaritätsargument zurück. Sie selbst, Sie als Gewerkschaft, als DGB haben ja auch gemeinsam mit der Arbeitgeberseite ganz offensiv geworben für Impfungen. Ihr Argument ist ja auch, lasst euch mehr impfen, damit wir aus der Krise kommen. Aber was ist umgekehrt dann so falsch daran, diese Solidarität einzufordern?
Hoffmann: Wir müssen immer wieder fragen, was sind die Gründe, was sind die Motive und welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen gibt es. Da haben wir als Gewerkschaften schlicht und ergreifend kein Interesse daran. Wenn Menschen sich aus Gründen, die zum Teil durchaus ja nachvollziehbar sein können, nicht dazu durchringen, dann müssen sie nachweisen, warum können sie sich nicht impfen lassen. Die Arbeitgeber werden dann – das ist wahrscheinlich nicht die Mehrzahl, aber es wird eine signifikante Anzahl sein – sagen, okay, unter diesen Bedingungen werde ich Dich nicht weiter beschäftigen. Es werden Kündigungen ausgesprochen, es werden Repressionen ausgesprochen. Das alles wollen wir, bitteschön, verhindern, dass nicht über ein falsches Instrument ein richtiges Ziel erreicht wird. In der Zielsetzung sind wir uns völlig einig und da sagen wir auch als Gewerkschaften allen Menschen, es ist ein Gebot der Solidarität, sich impfen zu lassen, sich nicht nur selbst zu schützen, sondern auch andere zu schützen, aber nicht mit einem Instrument, was uns erhebliche Konflikte in den Betrieben bescheren wird mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen für die Beschäftigten, die wir nicht wollen.
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