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Ende der Steinkohle
Gelsenkirchens schwieriger Weg zum Strukturwandel

Dank der Steinkohle war das Ruhrgebiet früher der Wirtschaftsmotor Deutschlands. Heute liegt hier eine der ärmsten Städte in der Bundesrepublik: Gelsenkirchen. Aber es gibt Hoffnung: Die Westfälische Hochschule zieht junge Menschen an, neue Unternehmen schaffen Jobs.

Von Vivien Leue |
    Die Fördertürme Schacht 1 und Schacht 2 des ehemaligen Steinkohle-Bergwerks " Zeche Nordstern stehen in Gelsenkirche (Nordrhein-Westfalen) im Stadtteil Horst. Nach der Stilllegung 1982 wurde das Gelände zu einem Landschaftspakt umgewandelt (Nordsternpark) und die Gebäude saniert.
    Fördertürme der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen: Seit 1982 ist das Gelände ein Landschaftspark. (Horst Ossinger /dpa )
    "Das ist das Job-Café der Caritas Gelsenkirchen. Das Arbeitslosenzentrum…"
    Oliver Adam zeigt auf mehrere Holztische, die weihnachtlich dekoriert in einem hell erleuchteten Raum stehen. Durch die große Glasscheibe zur Straße hin blicken eine Handvoll Gäste in ein tristes Dezember-Grau.
    "Egal ob berufstätig, nicht berufstätig, alt, jung, hier kann jeder reinkommen."
    Gelsenkirchen gilt als die ärmste Stadt der Bundesrepublik. Etwa jeder vierte Einwohner lebt hier von Hartz IV, bei den Kindern ist es jedes dritte. Es gibt Stadtviertel, da stößt die Arbeitslosenquote an die 30 Prozent-Marke.
    "Da sind viele dabei, die früher mal auf der Zeche gearbeitet haben."
    Oliver Kerlin sitzt mit seiner Mutter und Freunden an einem Tisch im Job-Cafe.
    "Hier sind die Leute nett und die Preise günstiger."
    Er ist gerade nicht auf Job-Suche, aber kennt die Probleme der Stadt.
    "Man hat schon ein bisschen Hoffnungslosigkeit. Bei mir ist es so, dass ich jetzt das erste Mal sagen würde: Ich will aus Gelsenkirchen weg."
    Ein Dutzend Zechen in der Blütezeit
    Gelsenkirchen ist als Stadt mit heute gut 250.000 Einwohnern erst durch die Kohleförderung entstanden. Zur Blütezeit in den 50er Jahren gab es hier mehr als ein Dutzend Zechen. Schon in den 60ern begann allerdings der Strukturwandel, nach und nach machten die Zechen dicht, die letzte verschwand vor 20 Jahren:
    "Der Bergbau zog sich zurück. Die Stahlindustrie zog sich fast komplett zurück."
    Frank Baranowski ist seit mittlerweile mehr als 14 Jahren Oberbürgermeister der Stadt und selbst gebürtiger Gelsenkirchener. Er erinnert sich, wie zuerst die Unternehmen weg gingen, dann die umliegenden Geschäfte schlossen und triste Brachflächen entstanden.
    "Das führte dazu, dass Menschen dann auch wegzogen, dass wir Leerstände hatten, dass wir so ein Downgrading hatten. Es kamen dann Menschen, die billige Immobilien suchten und so gingen einzelne Stadtteile, gerieten auf eine schiefe Ebene."
    Mittlerweile achte die Stadt besser darauf, die alten Zechengelände zügig wieder zu bewirtschaften, und zwar nicht – wie früher – mit einer Tankstelle, einem Fast-Food-Laden oder einem Discounter, sagt der SPD-Politiker:
    "Uns ist das ja zum Beispiel in Gelsenkirchen-Horst gelungen auf der Zeche Nordstern wieder bis zu 2.000 Menschen zu beschäftigen, und das ist fast so viel wie zu besten Kohlezeiten."
    Das Gelände der ehemaligen Zeche Nordstern, die vor mehr als 20 Jahren ihren Betrieb eingestellt hat, beherbergt heute neben einem großen Park mit viel Grün auch ein Gewerbegebiet. Dort sind etliche Unternehmen angesiedelt, vom Ingenieur- und Planungsbüro, über Softwareentwickler und Callcenter bis hin zu Gastronomie und Hotellerie. Der Nordsternpark gilt als eines der Vorzeigeprojekte für erfolgreiche Stadtentwicklung.
    Oberbürgermeister Frank Baranowski hofft, dass in Zukunft noch mehr Unternehmen erkennen, wieviel Potenzial in den ehemaligen Zechen-Geländen steckt.
    "Reservoir an unentdeckten Talenten"
    Und nicht nur dort: Auch innerhalb der Bevölkerung gebe es bisher unentdecktes Potenzial, erklärt Talentförderer Robin Gibas von der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen:
    "Das Ruhrgebiet ist eines der dichtesten Ballungsräume Europas. Und wir haben knapp 600.000 Schülerinnen und Schüler hier. Das heißt, wir haben ein unheimliches Reservoir an unentdeckten Talenten."
    Gibas ist Projektleiter der "Ruhrtalente", einem Programm, das mit Hilfe der RAG-Stiftung in Gelsenkirchen und anderen Ruhrgebiets-Städten Schülerstipendien vergibt.
    "Die Schülerinnen und Schüler, die wir fördern, die sind leistungsstark, engagiert, aber haben möglicherweise nicht immer die idealen Rahmenbedingungen. Das heißt, da kann es sein, dass eine Schülerin, ein Schüler kein eigenes Zimmer hat, keinen eigenen Schreibtisch hat, da fehlt ein PC im Haushalt."
    160 Ruhrtalente werden derzeit gefördert, eine von ihnen ist Christin Olejnik.
    "Ich bin ursprünglich von der Realschule und besuche nun die 11. Klasse des Leibniz-Gymnasiums in Gelsenkirchen."
    Seit eineinhalb Jahren ist die 17-Jährige Stipendiatin. Das Programm hat ihr zum Beispiel eine zweiwöchige Sprachreise nach England finanziert. Außerdem gibt es regelmäßige Fortbildungen und Veranstaltungen für die Ruhrtalente, vom Knigge-Workshop über gemeinsame Museums-Besuche bis hin zu Diskussionsrunden oder Bewerbungstrainings.
    "Meine Eltern sind keine Akademiker. Mein Vater hat nach der 10. Klasse eine Ausbildung gemacht zum Bäcker. Hat in einer Bäckerei gearbeitet viele Jahre, fast 20 Jahre, bis die Bäckerei Pleite gegangen ist."
    Sie selbst, erzählt die 17-Jährige Christin, sei ehrgeizig und wolle was erreichen im Leben. Vielleicht aber muss sie dafür später aus Gelsenkirchen weg, obwohl ihr die Stadt am Herzen liegt.
    "Ich finde man merkt, dass Menschen von überall da sind. Klar, kommt es auch zu Konflikten, aber dadurch lernt man nochmal ganz viele Sachen, die man in anderen Städten nicht lernen würde, weil halt so viele verschiedene Typen von Menschen hier leben und ich finde das was total Schönes."