Christoph Heinemann: Der Steiger kommt nicht mehr; dafür kommt heute der Bundespräsident. Denn in Bottrop schließt offiziell das letzte Steinkohlebergwerk Prosper-Haniel. Die Republik dankt den Kumpel für ihre gefährliche und gesundheitsgefährdende Arbeit. Ohne die Kohle aus den Revieren an Ruhr und Saar hätte es keine Gründerzeit, keine Eisenbahn, kein Wirtschaftswunder gegeben, zuvor allerdings auch keine Waffenschmieden.
Und deshalb bestand aus Kohle und Stahl auch die Wiege der Europäischen Union, die Montan-Union, die gemeinsame Kontrolle der beiden damals wichtigsten Industriegüter. 1960 holten die Bergleute im Ruhrgebiet in den 146 Zechen 142 Millionen Tonnen Kohle aus der Erde. Für dieses Jahr wurde noch eine Fördermenge von 1,8 Millionen Tonnen vereinbart. Danach ist Schluss.
Am Telefon ist jetzt Armin Laschet (CDU), der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen.
Armin Laschet: Guten Morgen.
Heinemann: Herr Laschet, wir haben es gehört: Sie sind Sohn eines Bergmannes. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an den Bergbau denken?
Laschet: Ja. Das war ja, als mein Vater dort arbeitete, meine ganz frühe Kindheit, in den 60er-Jahren. Er war im Aachener Revier. Dort ging der Bergbau schon viel eher zu Ende. Ich habe oft erlebt, wie er erzählte von der Zeit, wie er auch natürlich nachts einfahren musste, denn der Bergbau ging ja rund um die Uhr und sehr oft hatte man auch Nachtschicht.
Aber die ganze Dimension dessen, was er damals auch unter viel schwierigeren Bedingungen als heute geleistet hat, die wird mir eigentlich heute erst richtig bewusst. Ich bin vor ein paar Wochen noch einmal mit ihm ins Bergwerk reingefahren und dann merkt man schon, dass so jemand auch sehr geprägt ist von dem, was er da erlebt hat.
"Ruhrgebiet hat sich seit Jahrzehnten auf Wandel eingestellt"
Heinemann: Revier ohne Kohle - können Sie sich das vorstellen?
Laschet: Ja, das können wir uns alle vorstellen, weil es ja schon seit vielen Jahrzehnten so gekommen ist. Sie haben es eben in Ihrem Bericht gesagt: über 140 Zechen, 600.000 Beschäftigte noch vor 50 Jahren. Und jetzt ist es die letzte Zeche, die geschlossen wird. Das Ruhrgebiet hat sich selbst seit Jahrzehnten schon auf diesen Wandel eingestellt und ist in einem ständigen Prozess des Strukturwandels.
Heinemann: Wir haben vor dieser Sendung mit Siddik Eminoglu gesprochen, der über drei Jahrzehnte lang unter Tage gearbeitet hat, und der versteht nicht, warum Kohle importiert wird und in Deutschland die Förderung vollständig stillgelegt wird. Wir hören jetzt den ehemaligen Steiger:
O-Ton Siddik Eminoglu: "Wenn wir Kohle brauchen, warum hat man dann nicht wenigstens eine Zeche offen gelassen? Die Zeche gehörte ja auch zum Ruhrgebiet, wo man sagt, die haben ja schließlich Deutschland mit aufgebaut. Deutschland hat ja einiges zu verdanken, dass die Bergwerke da waren und dass die Kohle gefördert haben, dass Deutschland heutzutage da ist, wo es heute steht."
"Nur ein einziges Bergwerk aufrecht zu erhalten, das wäre nicht wirtschaftlich gewesen"
Heinemann: Herr Laschet, was antworten Sie?
Laschet: Das ist eine gute Frage, gerade in diesen Tagen, denn Steinkohlekraftwerke wird es ja weiter geben. Jetzt wird die Kohle hergefahren aus Kolumbien, aus Südafrika, unter schlechteren sozialen Bedingungen, ökologischen Bedingungen gefördert. Aber es war schwer möglich. Entweder man fördert Kohle, oder man fördert nicht. Aber nur ein einziges Bergwerk aufrecht zu erhalten, das wäre nicht wirtschaftlich gewesen.
Man hätte jetzt irgendwann nach Prosper-Haniel neue Gebiete erschließen müssen, und das Argument war für den Ausstieg kein ökologisches im Jahr 2007, sondern die Subventionsfrage. Über eine Milliarde Euro hat man bis zum Ende jedes Jahr die extrem teure Förderung hier in Deutschland unterstützen müssen, und das Argument war damals, wir müssen jetzt investieren in Bildung, in Forschung, in neue Arbeitsplätze.
Ich glaube, unter dem Strich muss man heute sagen, die Entscheidung war richtig. Sie ist sozial abgefedert beschlossen worden. Kein Bergmann ist ins Bergfreie gefallen, wie man sagt. Jeder ist aufgefangen. Das wäre heute in die Zukunft kaum mehr möglich, eine solche Entscheidung zu fällen.
Heinemann: Das Zauberwort für die Zeit nach der Kohle lautet seit Jahrzehnten Strukturwandel. Wieso hat das bisher nicht in ausreichendem Maße geklappt?
Laschet: Na ja, es ist ein schwieriger Prozess in einer Region, die von Großindustrie geprägt ist, wo es wenig Mittelstand gibt, wenige Familienunternehmen gibt. Wir haben ja in Nordrhein-Westfalen Regionen wie das Münsterland oder das südwestfälische Gebiet; da haben Sie Vollbeschäftigung, weil familiengeführte Unternehmen dort die Wirtschaftsstruktur prägen.
"So gut bezahlte Arbeit gibt es so schnell nicht wieder"
Heinemann: Aber nicht im Revier.
Laschet: Das war geprägt von Stahl, von Kohle. Aber wir haben auch hier Erfolge. Wir haben in den letzten Monaten die Arbeitslosenstatistiken unter zehn Prozent. Um die neun Prozent ist der Durchschnitt. Das ist immer noch zu viel, aber das ist für das Ruhrgebiet die beste Zahl seit 1980 - nicht seit 1990, seit 1980. Man merkt, es tut sich was.
Heinemann: Dennoch kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband, es ist nicht gelungen, gut bezahlte Arbeit ins Revier zu holen. Warum nicht?
Laschet: Ja, das ist auch nicht so einfach, denn die Kohlearbeit war sehr gut bezahlt.
Heinemann: Entschuldigung! Die Politik hat sich doch - das haben Sie selber eben gesagt - seit Jahrzehnten darauf vorbereitet.
Laschet: Ja. Ich sage Ihnen trotzdem: Arbeit entsteht nicht aus dem Nichts. Es entstehen neue Arbeitsplätze, es entstehen Startups und anderes. Aber so gut bezahlte Arbeit wie in der Steinkohle, die gibt es so schnell nicht wieder. Und wir stehen vor dem gleichen Problem jetzt bei der Braunkohle. Das ist gut bezahlte Arbeit. Und wenn wir da jetzt früher aussteigen, was ja die Absicht ist, dann werden Sie so schnell nicht in die Lausitz, ins Rheinische Revier exakt genauso gut bezahlte Arbeitsplätze bekommen. Das ist halt das Wichtige auch, was wir für die Zukunftsdiskussion, wenn wir über Ökologie sprechen, im Blick haben müssen. Es gibt, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt, auch eine soziale Frage: Woher beziehen Menschen Einkommen für ihre Familien. Die Aufgabenstellung bleibt heute aktuell so wie in den letzten Jahrzehnten.
Heinemann: Muss man den Menschen in den Braunkohleregionen in der Lausitz, in den mitteldeutschen, im Rheinischen Revier heute sagen: Das was das Revier hinter sich hat, steht euch auch bevor?
Laschet: Ja, das muss man ihnen sagen. Insbesondere in der Lausitz, wo wenig industrielle Strukturen drum herum sind, muss man das sagen, und die Erwartung dort ist auch, wir wollen neue Arbeitsplätze sehen, ehe wir aus der Braunkohle aussteigen. Das formulieren die ostdeutschen Ministerpräsidenten sehr klar.
Im Rheinischen Revier wird es ebenfalls einen Verlust an Wertschöpfung auch für die Menschen geben, aber es gibt dort im Umfeld auch noch andere Industrien, wo Fachkräfte gebraucht werden. Das wird in Ost und West eine große, auch wirtschaftspolitische Aufgabe sein, das zu ersetzen, was man jetzt durch politische Entscheidungen an Arbeitsplätzen beendet.
Heinemann: Und deshalb schlägt der Paritätische Wohlfahrtsverband jetzt vor, Hilfe wie mit dem Solidaritätszuschlag in Ostdeutschland. Braucht das Revier einen Kohle-Soli?
Laschet: Ich glaube, einen Soli brauchen wir nicht. Ich glaube, im Bundeshaushalt, im europäischen Haushalt stehen ja Mittel für den Strukturwandel bereit. Die wird man auch zahlen müssen und ich glaube, das wird eine, uns Jahrzehnte beschäftigende Aufgabe sein, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen.
Die Große Koalition hat sich das vorgenommen. Und jeder, der im Januar sagt, ja, wir wollen aus der Braunkohle raus, muss wissen, da sind Milliarden erforderlich für Strukturwandel, für Entschädigungen, für soziale Abfederung der Mitarbeiter. Und dann muss man auch bereit sein, diesen Preis zu zahlen.
Heinemann: Sachsens Ministerpräsident Kretschmer rechnet 1,5 Milliarden jährlich in den nächsten 30 Jahren. Erwarten Sie jetzt einen Wettlauf um Strukturhilfen?
"Wo Arbeitsplätze verloren gehen, muss das Geld hingehen"
Laschet: Nein! Aber das ist eine realistische Schätzung.
Heinemann: Für Sachsen?
Laschet: Nein, nein. Er erwartet das für Ost und West. Wir sprechen unter den Ministerpräsidenten, wo man was macht. Aber die Summe, die Größenordnung ist etwas für ganz Deutschland, was man sich vornehmen muss.
Heinemann: Und wieviel geht davon nach Nordrhein-Westfalen?
Laschet: Das wird man sehen. Das wird man an der Wertschöpfung festmachen müssen. Darüber sprechen wir gerade. Dem will ich nicht vorweggreifen. Aber da, wo Arbeitsplätze verloren gehen, muss auch das Geld hingehen, und ein beträchtlicher Teil wird auch ins Rheinische Revier gehen müssen.
"Gelingt Aufstieg durch Bildung?"
Heinemann: Herr Laschet, unter den ehemaligen Kumpel gibt es einige, die unter Staublungen leiden. Gehört zum heutigen offiziellen Dank der Politik eine offizielle Ankündigung großzügiger Hilfen für diese Menschen?
Laschet: Die sind großzügig aufgefangen worden, wie übrigens auch alle die, die ihre Arbeit verloren haben. Aber was Sie sagen ist wichtig. Daran muss heute auch erinnert werden. In den frühen Jahren haben …
Heinemann: Entschuldigung! Nur erinnert?
Laschet: Ja! Was heißt hier "nur erinnert"? Sie erhalten ja Leistungen. Sie erhalten Rentenzahlungen. Sie sind ja nicht in soziale Armut verfallen. Sie sind aufgefangen worden von der Solidargemeinschaft in all diesen Jahren. Wir haben letzten Montag noch einen Fall gehabt, wo in Ibbenbüren - das ist die vorletzte Zeche gewesen - nach dem Schließen der Zeche ein junger Mann ums Leben gekommen ist bei einem Unfall. Das muss man im Kopf haben und daran muss man auch erinnern und natürlich wird dessen Familie entschädigt.
Nur das Geld allein tröstet in einem solchen Moment nicht. Zu wissen, dass Menschen da ihr Leben gelassen haben, ist auch für die Gesamtgesellschaft wichtig.
Heinemann: Funktioniert heute noch der Fahrstuhl so wie zu Ihrer Zeit? Kann heute noch der Sohn eines Bergmannes Ministerpräsident werden?
Laschet: In der Politik ist es vielleicht eher noch möglich, denn ich kenne viele Biographien, wo Menschen in der Politik ihren Weg gehen konnten. In der Gesellschaft, in der Wirtschaft ist es eher schwieriger geworden, und deshalb ist die Frage, gelingt Aufstieg für jeden durch Bildung, haben wir in den schwierigsten Stadtteilen die besten Schulen, das ist eine Aufgabe, die Politik sich ständig stellen muss.
Wir haben jetzt eine Ruhr-Konferenz einberufen, wo wir genau diesen Ansatz haben, durch Bildung den Kindern von Eltern, die vielleicht nicht Akademiker waren, den Aufstieg zu ermöglichen. Nur so wird der Strukturwandel gelingen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.