Die Angst vor Atomraketen ist für viele Polen nichts neues; die russische Seite nämlich kündigte im Zuge der Ukraine-Krise an, atomwaffenfähige Kurzstreckenraketen vom Typ "Iskander" im Oblast Kaliningrad zu stationieren, dem früheren Königsberg. Diese Waffen haben eine Reichweite von 500 Kilometer und fallen deswegen nicht unter den INF-Vertrag – die polnische Hauptstadt könnten Sie erreichen.
Dennoch betonen auch polnische Experten, dass das drohende Aus für den Vertrag über mittlere Reichweiten die allgemeine Sicherheitslage weiter verschlechtert. Ex-General Stanislaw Koziej, in Polen eine Art inoffizieller Chef-Kommentator in Militärfragen, urteilt:
"Europa verliert am meisten. Weil hier die Risiken eines nuklearen Konflikts und eines nuklearen Ungleichgewichts enorm steigen."
Warschau: INF-Rückzug der USA berechtigt
Indes haben auch Donald Trumps Alleingänge nichts an der großen Treue zu den USA verändert, die in Polen und der Region seit der Wende gepflegt wird. Das polnische Außenministerium nannte die amerikanische Ankündigung, sich aus dem INF-Vertrag zurückzuziehen, einen Angesichts russischer Verstöße "berechtigten" Schritt, den Polen "begrüße".
Zuvor hatte das Ministerium indes Berichte dementiert, Polen wolle nun auch die Stationierung amerikanischer Atomraketen im Land. Das sei nichts, was sich Polen wünsche; eine solche Entscheidung könne ohnehin nur im Nato-Verbund fallen. Schwierige Diskussionen innerhalb der Nato über das nun weitere Vorgehen prophezeit aber Außenpolitik-Experte Artur Kaczprzyk.
"Es ist ja kein Geheimnis, dass viele europäische Partner kritisch waren, als Trump den Schritt letzten Oktober erstmals ankündigt hat. Aber die Nato-Staaten haben seit 2014 nicht sehr viel über die russischen Vertragsbrüche gesprochen, es erst Ende 2018 offiziell festgestellt. Viele europäische Staaten sind unzufrieden mit dem amerikanischen Rückzug, aber andererseits muss man auch sagen, dass die Nato nicht genug gemacht hat, um Druck auf Putin auszuüben und den Vertrag zu retten. Jetzt gibt es eine gemeinsame Stellungnahme, aber die Prioritäten, wie nun geantwortet werden soll, die Relation zwischen Rüstungskontrolle und Abschreckung etwa, unterscheiden sich unter den Nato-Ländern sehr, und es ist eine längere und komplizierte Diskussion zu erwarten."
Polen wirbt offensiv um US-Militär
Polen jedenfalls bleibt wohl auf absehbare Zeit der Meinung, dass nichts die Allianz mit den USA schwächen darf – in dieser Grundhaltung besteht über Parteigrenzen Einigkeit. Das Land wirbt offensiv für eine dauerhafte Militärpräsenz der Amerikaner an der Weichsel, statt der wie bislang "rotierenden" Anwesenheit, bei der Soldaten und Gerät ständig ausgetauscht werden.
Präsident Duda stellte bei seinem jüngsten USA-Besuch den Namen "Fort Trump" für eine solche feste Basis in Aussicht; polnische Emissäre bieten Milliardenzahlungen an. Entschieden hat Washington noch nicht über einen solchen Schritt, der die Lage Skeptikern zufolge weiter zuspitzen könnte.
Raketenschutzschild soll ausgebaut werden
Derweil laufen weiter die Vorbereitungen, in Polen eine weitere Basis des umstrittenen US-Raketenschutzschildes zu eröffnen, was nächstes Jahr der Fall sein soll. Verteidigungsminister Blaszczak erklärte bei einem Ortsbesuch:
"Die Basis hier in Redzikowo ist sehr wichtig für die Sicherheit Polens, Europas und der ganzen Welt. Gemeinsam verteidigen wir die Freiheit vor denen, die unsere Werte nicht schätzen. Diese Zusammenarbeit ist ein Element des Nato-Sicherheitsmechanismus, aber auch der amerikanisch-polnischen Beziehungen."
Offiziell soll der Schild Atomraketen aus Drittstaaten abwehren. Aus russischer Sicht bedeutet sein Aufbau mit der bereits bestehenden Abschussbasis in Rumänien aber selbst einen Bruch internationaler Vereinbarungen.