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Ende einer Liebesbeziehung

Bis zur Berliner Abgeordnetenhauswahl schwelgte Rot-Grün in Träumen von einer gemeinsamen Rückkehr an die Macht. Doch dann entschied sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit für eine Große Koalition - die folgende Katerstimmung lässt sich auch in den politischen Zeitschriften verfolgen.

Von Norbert Seitz |
    Seit Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit die erfolgverwöhnte Ökopartei als Koalitionspartner verschmähte und sich lieber eine Große Koalition aufhalste, bleiben sich Rote und Grüne untereinander keine Gehässigkeit schuldig. Dies kann kaum überraschen, denn mit dem Ausgang der baden-württembergischen Landtagswahl geht es nur noch um Hoheitsprobleme auf rot-grünem Terrain. Auch wenn nach außen stets von einer anzustrebenden Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe die Rede war, so stauten sich doch aufseiten der Sozialdemokraten Futterneid und Platzhirsch-Instinke. Dieser Eindruck wird bestätigt durch Wowereits Senatssprecher Richard Meng, der in der SPD-nahen "Neuen Gesellschaft" den Boom des vormaligen Wunschpartners - gleichsam regierungsamtlich - für beendet erklärt; überdies dem regionalen Zerwürfnis an der Spree eine zentrale Bedeutung für die Regierungsfähigkeit der Grünen im Bund unterschiebt und im Übrigen die alte Hackordnung reklamiert:

    Manchmal wirkt es, als ob das Koch-Kellner-Bild aus Gerhard Schröders Zeiten die Grünen geradezu traumatisiert hätte. Es war abschätzig, hochnäsig gemeint. Und doch bleibt am Ende bei aller politisch-menschlichen Augenhöhe die Frage übrig, wer mit welchen Inhalten die Grundrichtung bestimmt.
    Selbst die ökofreundliche Bundestagsrede von Papst Benedikt XVI. im September wird den Grünen nicht gegönnt. Richard Meng:

    Nachdem nun selbst der radikalkonservative Papst in seiner Berliner Rede Natur und Ökologie in sein katholisches Gedankengebäude einbaute, wird deutlich, die Grünen werden als bürgerliche Schöpfungsbewahrer potenziell auch in Milieus akzeptiert, die mit links nie etwas zu tun haben wollten und wollen.
    Dass dies zum Abfall linker Wähler bei der Ökopartei führen könnte, wie offenbar erhofft, deckt sich aber nicht mit Wahlbeobachtungen wie denen der Göttinger Sozialwissenschaftler Michael Lühmann und David Bebnowski. Sie resümieren das Wahljahr 2011 in der den Grünen nahestehenden Zeitschrift "Kommune" und diagnostizieren dabei eine Aufweichung der traditionellen Links-rechts-Lagerbildung:

    Erstmals gewannen die Grünen (bei den Wahlen in Baden-Württemberg) überproportional in jener so grünenfeindlichen, FDP-nahen Kohorte hinzu, während etwa die Sozialdemokratie in dieser Altersgruppe unterdurchschnittlich gewählt wurde. Die Krise der FDP scheint existenziell. Aber als Nachfolger stehen nun die Bündnisgrünen bereit. Die Wahlergebnisse zeigen erstmals beachtliche Wählerwanderungen von der FDP zu den Grünen. Ein Vorgang, der bis vor Kurzem nahezu unmöglich erschien.
    Die Landung der Grünen im bürgerlichen Lager untersucht auch Thomas E. Schmidt, Kulturredakteur der "Zeit", in der Zeitschrift "Merkur". Ökologische Politik wirke dann überzeugend, wenn es ihr gelinge, zwei Verläufe miteinander in Beziehung zu setzen, die im Prinzip selbstständig sind – nämlich erstens:

    Die kollektivmental beeinflussten Entscheidungsprozesse von Individuen, denen es in einem von staatlichen und ökonomischen Zwängen beherrschten Umfeld um die Erhaltung ihrer spontanen Natürlichkeit geht.
    Und zweitens:

    Ein parteipolitischer Prozess der Privilegierung ausgewählter technologischer Entwicklungen, die als ethisch, das heißt den Erhalt der Natur befördernd, markiert werden. Im Kampf für die Natur geht es nicht länger um Verteilung oder Feindschaft. Aus diesem Grund konnten die Grünen auch so stark in die bürgerlichen Milieus hineinwirken.
    Nicht nur die SPD reibt sich an den Grünen. Es fetzt auch umgekehrt. So setzt sich Fraktionschef Jürgen Trittin in der "Neuen Gesellschaft" mit einem Fortschrittspapier kritisch auseinander, das in der Partei Sigmar Gabriels kursiert.

    Die Sozialdemokratie versucht, ihre bisherige Politik mit dem Begriff "Neuer Fortschritt" aufzuhübschen und ins 21. Jahrhundert zu transferieren. Sie macht den Post-Materialisten schöne Augen, liefert ihnen aber nichts Konkretes. Dazu passt, dass sich im Fortschrittsprogramm der SPD keine Passage zu den Themen Internet und Neue Medien findet.
    Aber trotz aller Zerstrittenheit, Missgunst und Schadenfreude bleiben beide Parteien bundesweit noch aufeinander angewiesen. Schwarz-Grün scheint noch nicht in Sicht, wenn man Reporter Constantin Magnis folgt, der in der Zeitschrift "Cicero" die porträtierte Grünengeschäftsführerin Steffi Lemke mit den Worten zitiert:

    Für den ökologischen Umbau der Wirtschaft mag (Schwarz-Grün) früher ja vielleicht noch Sinn gemacht haben, aber die Zeiten sind vorbei. Und auf die Frage, wie der Staat auch in Krisen noch soziale Sicherheit und Chancen für alle bieten kann, sehe ich in der Union nicht mal den Versuch einer Antwort.

    Norbert Seitz war das mit seinem monatlichen Blick in die politischen Zeitschriften.