Ein Ensemble, das bedeutet: ein Personenkreis mit einem inneren Zusammenhalt. Schauspieler, die sich einem Ziel, einer Idee, einer Ästhetik verpflichtet fühlen. Das kann politisch sein, muss es aber nicht. Shakespeares Truppe war ohne Zweifel ein Ensemble halbwegs Gleichgesinnter, auch Molières zeitweise fahrende Komödianten kann man als Ensemble bezeichnen. In der Weimarer Republik hatte Erwin Piscators Bühne am Berliner Nollendorfplatz sicherlich Ensemble-Geist, zu dem vor allem die Techniker beitrugen – denn Piscator arbeitete mit aufwendigster Bühnen- und Filmtechnik. Und das "Berliner Ensemble" führte das Wort sogar im Namen – der nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Emigration zurückgekehrte Bertolt Brecht hatte es 1949 in Ost-Berlin gegründet.
Gemeinsames Ringen um Politik und Ästhetik
All diese Truppen haben eines gemeinsam: Dass es einen Spiritus rector gab, der die Richtung bestimmte. Das wurde auch mit APO und Studentenbewegung nicht wirklich anders, als Peter Zadek, Peter Stein und Claus Peymann die Stücke radikal auf ihren Gegenwartsbezug befragten – und entsprechende Schauspieler engagierten. Aber nun sollte das gesamte Ensemble mitbestimmen - am konsequentesten an der "Schaubühne am Halleschen Ufer", wo Peter Stein zwar unumstritten der wichtigste Regisseur war, aber in endlosen Ensemble-Sitzungen über die politische und ästhetische Linie gestritten wurde. Zadek war da - in Bremen, Bochum und Hamburg - schon viel machtbewusster, und Claus Peymann gab sich als Stuttgarter und Bochumer Intendant zwar nach außen immer linksradikal, hatte im Ensemble aber ganz gerne das Sagen.
Machtbewusste Intendanten
Diese Form des aufgeklärten Patriarchats hat sich im Grunde bis heute durchgehalten. Es gab bisweilen ausgeprägte Mitbestimmungs-Modelle wie das des Frankfurter Schauspiels unter Peter Palitzsch (1972 – 1980), das jedoch in Machtkämpfen und Selbstzerfleischung endete. Heute gibt es eher "Theaterfamilien", also Regisseure, die einen festen Stamm von Getreuen um sich scharen. So eine Familie zieht derzeit mit Christoph Marthaler von Haus zu Haus, nachdem Marthaler als Züricher Intendant (2000 – 2004) seinen Stil und seine Truppe endgültig etabliert hatte. Auch Frank Castorf, der fünfundzwanzig Jahre lang (1992 – 2017) die Berliner Volksbühne leitete, den letzten Theater-Panzerkreuzer des Ostens, hat mit seinem postmodernen Aufreißen von Stücken und Themen eine Vielzahl von Theaterleuten an sich gebunden, freilich im festen Rahmen eines Hauses. Während René Pollesch bislang unstet durch die Lande zog, aber an allen Häusern seine Fan-Schauspielerinnen und -Schauspieler hatte und so als Gastregisseur überall Heimstatus genoss.
Ensemble als Chance
Das alles aber beschreibt nur unzureichend, was heute "Ensemble" bedeutet. Im Normalfall entscheiden sich auch sehr gute, tragende Schauspieler und Schauspielerinnen dafür, zu einem Haus fest dazuzugehören, statt als einsamer Star von Stück zu Stück und von Stadt zu Stadt zu tingeln. Denn die feste Zugehörigkeit bietet die Chance, zu einer schauspielerischen Gemeinschaft zusammenzuwachsen und eben dauerhaft miteinander etwas auszuprobieren. Es ist ein Unterschied, ob man den Kollegen, die Kollegin schon aus vielen anderen Inszenierungen kennt - und manche Nächte durchdiskutiert hat - oder ob man die anderen erst bei der Leseprobe kennenlernt. Das Ensemble bietet den Älteren die Möglichkeit, jüngere Schauspieler zu fördern, für Jüngere ist es die Chance, von den Etablierten zu lernen. Ein Ensemble ist eine Zwei-, manchmal auch Drei-Generationen-Familie. Natürlich kann man auf freier Wildbahn, wenn man den Stress aushält, sehr viel mehr Geld verdienen. Und viele leben auch den Kompromiss: Sie sind fest in einem Ensemble und lassen sich für ihre Film- oder Fernsehprojekte dann beurlauben. Wo sie oft nicht unbedingt große Kunst machen – und schnell zum Theater zurück wollen. Aber so ein "Tatort" ist eine willkommene Abwechslung und bringt Geld.
Heimat statt Einzelkämpfertum
Nein, das Ensemble hat sich nicht überlebt. Es ist die Form, die das von den Bürgern, von uns allen subventionierte Theater sich gegeben hat. Private Bühnen funktionieren anders, vor allem mit Gaststars. Und in Ländern ohne subventioniertes Theatersystem kann man von einem festen Ensemble nur träumen – und das ist zum großen Teil auch in Frankreich und Italien so, jedenfalls in der Provinz, und in Amerika sowieso. Das deutsche Staatstheater aber bietet flächendeckend, auch in kleineren Städten, ein Ensemble, und bisweilen (nicht immer) großzügig bemessene Probenzeiten. Dazu die Möglichkeit intensiver, auch politischer Debatten – mit Kollegen, die man schon lange kennt. Das führt manchmal dazu, dass bestimmte politische Meinungen sich verfestigen und man als Ensemble alles besser weiß – zur Migration, zu Europa, zur letzten Wirtschaftskrise (zumal eine politische Meinung am Theater mit wenig Risiko verbunden ist). Aber das ist allemal besser als das Einzelkämpfertum, in dem jeder nur sein eigenes finanzielles Überleben im Sinn hat. Schauspieler, das wissen die wenigsten, ist ein einsamer Beruf. Auch wenn viele ständig in der Kantine zusammensitzen: Man ist oft mit sich allein. Nach einer gewissen Zeit wechselt man die Stadt, den Intendanten, das Ensemble. Das zehrt. Man muss neu anfangen. Aber jeder braucht eine Heimat. Das Ensemble bietet eine.
Die Leitung ist entscheidend
Entscheidend ist eine ausreichend geerdete, hoffentlich gutmütige und möglichst uneitle Person, die das Ganze anleitet. Im Normalfall der Intendant oder der Oberspielleiter. Da muss man Glück haben. Es gibt viele Gegenbeispiele von narzisstisch gestörten, stets alkoholisch befeuerten Polterern, die man besser meiden sollte. Ein Ensemble, das auch menschlich zu funktionieren scheint, spielt derzeit in Stuttgart bei und mit dem Schauspieldirektor Burkhard Kosminski. Mal so, mal so, aber auf gutem Niveau. Ein Ensemble, das erst zusammenwachsen muss, beginnt gerade in der Schauspiel-Sparte des Theaters Basel – mit einem Vierer-Team als Leitung: zwei Dramaturginnen, ein Regisseur, ein Schauspieler. Dass ein Schauspieler in der Leitung sitzt, ist wirklich ein Schritt! Und die vier, Anja Dirks, Inga Schonlau, Antú Romero Nunes und Jörg Pohl, sagen zu den anderen, die da mitmachen: Bitte schenkt uns eure Zeit. Wir binden euch nicht fest. Aber es wäre schön, wenn ihr euch hier wirklich engagieren würdet.