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Endlich mal erklärt
Ist der auktoriale Erzähler ein Besserwisser?

Man sieht ihn förmlich vor sich: Behaglich räkelt er sich in einem alten Lehnstuhl, lässt den Blick bedeutungsschwer durchs Zimmer schweifen und beginnt zu erzählen. Er weiß schließlich alles, der auktoriale Erzähler. Aber ist er deshalb ein Besserwisser?

Von Maike Albath |
Thomas Mann sitzt am Tisch und schreibt. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1925.
Lässt seinen Erzähler mit sich selbst ins Gespräch kommen: Thomas Mann (www.imago-images.de)
Er greift voraus, kommentiert, macht Andeutungen, liefert die Vorgeschichte nach, verliert sich in Abschweifungen, ordnet die Handlungsstränge, mischt sich dann wieder lauthals ein und wiegelt den Leser auf: der auktoriale Ezähler, oft ein Mann. Die Bezeichnung "auktorialer Erzähler" (lat. auctor – Autor) verdankt sich dem Gestus des Eingeweihten, denn der Erzähler agiert hier fast wie der Urheber selbst. Aber eben nur beinahe, denn der Reiz dieser allwissenden Instanz ist gerade der, dass der Schriftsteller oder Schriftstellerin sie erfunden hat und nun auftreten lässt wie eine Figur. Vielleicht unterscheidet sich diese Stimme markant vom Autor, vertritt andere Positionen, manchmal scheint sie deutlich mehr zu wissen als dieser, dann wieder sehr viel weniger.
Der Erzähler hat ein Eigenleben
Der auktoriale Erzähler steht auf der Schwelle zwischen der Welt des Romans und der der Leserinnen und Leser. Manchmal ist er ein nervtötender Besserwisser, dann wieder fällt er genauso aufs Maul wie die Helden, von denen er erzählt. Klassische Beispiele des auktorialen Erzählens finden wir in Romanen von Jonathan Swift, Jane Austen, Charles Dickens, Honoré de Balzac, Leo Tolstoi, Jean Paul und Thomas Mann. Oft arbeitet dieser Typ des Erzählers mit essayistischen Ausführungen und reflektiert über das, was er tut. "Wir haben da ein ästhetisches Problem, das mich oft beschäftigt hat", räsoniert zum Beispiel Thomas Manns Erzähler-Figur in "Joseph und seine Brüder" und denkt darüber nach, sich einzuschalten. Er bekommt ein Eigenleben, wird ein Charakter.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind und zutreffend. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Die Begrifflichkeit, mit der die verschiedenen Erzählhaltungen markiert werden, geht auf den Literaturwissenschaftler Franz K. Stanzel zurück und hat Generationen der Wissenschaft geprägt. Inzwischen gab es grundlegende Erweiterungen. Erzähltheoretiker wie Eberhard Lämmert und Gérard Genette haben gezeigt, dass es häufig zu Mischformen kommt und sich die Standpunkte desjenigen, der spricht, oft genauer klassifizieren lassen als nur mit dem Begriff des "auktorialen Erzählers". Trotzdem hat er an Popularität nichts verloren.
Auch ein allwissender Erzähler kann irren
Interessant wird es ohnehin immer dann, wenn diese besserwisserische Instanz auf einmal unzuverlässig wird und ihr Ordnungsgedanke ins Wanken gerät. Denn dann kommen wir ins Spiel und sind gezwungen, uns den Erzähler genauer vorzuknöpfen und zu interpretieren. Wie so oft ist es das Vieldeutige, das das größte Vergnügen bereitet.