Jeder und jede, der oder die an einer der umkämpften knapp zwanzig staatlichen und städtischen Schauspielschulen in Deutschland, der Schweiz und Österreich nach hartem Auswahlverfahren fürs Studium zugelassen wird, bringt von sich aus schon erhebliche spielerische Talente mit. Insofern kann man Schauspiel nur lernen, wenn man es in gewissem Sinne schon kann.
Aber mit der nach vier Jahren Studium hoffentlich erlangten Bühnenreife ist natürlich noch mehr erreicht: Das Einüben von Probenpraktiken, Ensemblefähigkeit, Methoden der Stoffaneignung und Umsetzung. Und auch Pragmatismus in "Der Arbeit des Schauspielers an sich selbst", wie der sehr einflussreiche Theatermeister Konstantin Stanislawski sein zentrales Ausbildungswerk nannte.
"Method Acting" bringt Schauspieler auf Oscar-Kurs
Und damit deutet sich schon die Doppeldeutigkeit des Begriffs "Schauspielschule" an: Es ist zum einen eine Institution, die vor allem für die deutsche Theaterlandschaft universell ausgebildete Akteurinnen und Akteure bereitstellen soll, die mit jeder Form von Bühnenliteratur zurecht kommen. Zum anderen ist es aber immer auch eine Methode, die sich nicht von bestimmten ästhetischen Traditionen trennen lässt.
So brachte der Stanislawski-Schüler Michael Tschechow, übrigens ein Neffe des berühmten russischen Dramatikers, Stanislawskis Denken in die USA, wo er das "Actors Studio" stark beeinflusste, dessen "Method Acting" bis heute Schauspielerinnen und Schauspieler auf Oscar-Kurs bringt. Wenn sie sich vorstellen können, unter der warmen Dusche zu stehen, ein Stück Seife in der Hand zu haben und den Geschmack von Zitrone im Mund, ohne dass all das etwas mit ihrer realen Situation zu tun hat, dann ist nach dieser Methode bereits ein Lernziel erreicht.
Und doch: Was da im 20. Jahrhundert von Russland über die USA zurück nach Europa gekommen ist, bleibt im Kern eine naturalistische Spielweise. Und das ist nur eine Ästhetik, nur eine Variante theatraler Arbeit.
Andere Länder, andere Schulen
In anderen Ländern ist die an den Aufgaben der deutschen Stadt-, Landes- und Staatstheater ausgerichtete Vorstellung des universell ausgebildeten Schauspielers wenig verbreitet. In Frankreich werden Vorstellungen der Spielmethode stark mit Dramenliteratur in Verbindung gebracht. Da ist z.B. Molière eine Schule an sich.
Aber auch in Deutschland geht die Zeit des Universal-Interpreten zu Ende, der die gesamte Geschichte der dramatischen Literatur spielen kann - wie ein Orchestermusiker Partituren aus allen möglichen Jahrhunderten. Die mimetische Kunst ist in Frage gestellt, die Stellvertretung der Figur durch den Schauspieler. An die Stelle der Empathie für den Anderen tritt Toleranz für Differenz. An die Stelle der Repräsentation tritt performative Authentizität. Gleichberechtigung, Gender-Fragen und Identitätsdiskurse beenden das Zeitalter der Stellvertretung in der Kunst des Spiels.
Die Institution Schauspielschule und der Schauspielberuf sind Forum für die großen ästhetischen und ideologischen Kämpfe der Gegenwart. Aber auch heute gilt: Nur wer in sich diese Strömungen und Energien bündeln und zu einem exemplarischen Ausdruck bringen kann, ist bereit für die Bühne.