Für Wohnungs-, Sozial- und Hygienereformer waren sie zwischen etwa 1880 und 1980 der Inbegriff für räumlich schlechtes Wohnen, problematische Sozialstrukturen, sittlichen Verfall und Krankheitsausbrüche: die Mietskasernen.
Diese Wohnform gab es schon in der römischen Antike; sie erlebte mit den Massengesellschaften des Industriezeitalters jedoch eine Renaissance. Die Bauordnungen unterschieden sich von Land zu Land, aber in den Grundzügen glichen sich die Mietskasernen in allen kapitalistisch organisierten Staaten und Städten - in Paris wie in Wien, in New York, Berlin oder Shanghai.
Minimale Hoflöcher
Erlaubt wurde die maximal dichte Bebauung der Grundstücke mit Vorder-, Seiten- und Hofhäusern. Die Hoflöcher waren teilweise nur groß genug für den Drehkreis einer Feuerwehrleiter; und technische Infrastruktur rüstete man in vielen Fällen erst später nach. Berlin bildete mit seiner Bauordnung aus dem Jahr 1858 lange Zeit eine der wenigen Ausnahmen: Sie schrieb den Bau von Wasser- und Abwasserleitungen vor dem Bau der Häuser vor.
Mietskasernen waren ein Musterbeispiel für soziale Durchmischung und für die Flexibilität von Architektur: Seitdem die Bevölkerungszahl in ihnen radikal gesunken ist, haben auch die einst so verrufenen Mietskasernen ihr Renommee verändert. Nun heißen sie Palais, werden sogar neu gebaut, um die technische Infrastruktur der Städte räumlich besser ausbeuten zu können.
Nachfolger der Mietskasernen
Die eigentlichen Erben der Mietskasernen sind also nicht die Wohnhochhäuser von Wuhan oder São Paulo, sondern die am Strand von Ipanema in Rio de Janeiro, hinter denen sich die Armenviertel der Favelas den Hang hinaufziehen.
Mietskaserne – das ist vor allem ein Wort der Wohlhabenden, mit denen die Behausungen der Armen abgewertet werden sollten.