Mit Zuschauerbefragungen wird immer mal wieder ausgewertet, nach welchen Kriterien Menschen ihren Theaterabend auswählen. Meistens spielt der Bekanntheitsgrad des Stücks eine Rolle. Schiller, Shakespeare und Goethe sind immer Publikumsmagneten. Wer sich ein bisschen besser auskennt, der geht auch wegen einer bestimmten Schauspielerin oder Regisseurin ins Theater. Selten hört man allerdings von Menschen, die wegen der Kostümbildnerin ein Ticket kaufen.
Schrille Kostüme bleiben im Gedächtnis
Victoria Behr mag einem in den Sinn kommen, sie macht die schrillen, bunten Kostüme für Herbert Fritschs Inszenierungen. Adriana Braga Peretzki entwirft oft die schwarz-weißen, halbhistorischen Reifrock-Kostüme bei Sebastian Hartmann. In den vergangenen Jahren ist der Regisseur Ersan Mondtag zudem als sein eigener Bühnen- und Kostümbildner aufgefallen. Seine Spieler tragen etwa bemalte Gymnastik-Anzüge, in denen sie aussehen wie in Öl gegossene Kunstwerke.
Alles Künstler also, deren auffällige Kostüme man sogleich vor sich sieht beim Gedanken an die Aufführung. Genau darin liegt das Paradoxe. Das Theater der Gegenwart ist vielgestaltig – eine Victoria Behr hat darin genauso Platz wie ein Kostümbildner, der die Spieler historisch einkleidet. Ziel des Kostümbilds ist meist jedoch nicht, besonders aufzufallen, sondern zur Figur, zum Gesamtkonzept zu passen – unauffällig zu bleiben.
Kostüme erzählen von der Figur und ihrer Zeit
Kostümbildnerinnen sollten also nicht frustriert darüber sein, in Kritiken so gut wie nie namentlich erwähnt zu werden – ihre Kostüme finden dafür in fast jeder Kritik Erwähnung. Die meisten Figurenbeschreibungen definieren sich über das Kostüm: Der Dandy im legeren Anzug, die Femme fatale mit roten High-Heels, die junge Frau im unschuldigen Schulmädchen-Look. Es sagt viel aus, wenn Maria Stuart - wie neulich in Anne Lenks Inszenierung in Berlin - als elfengleiches, blondes Wesen auftritt und Königin Elisabeth mit patentem Kurzhaarschnitt und biederem Zweiteiler.
Zudem wird über Kostüme meist ersichtlich, in welcher Zeit die Inszenierung spielt. Originale historische Kostüme sind heute rar, doch oft finden Stilmixe oder Zitate aus verschiedenen Epochen statt.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es einige namentlich bekannte Kostümbildner. Es war die Zeit, als das Theater sich vom Naturalismus abgekehrt hatte und abstrakter geworden war. Dadurch, dass man nicht mehr naturgetreu nachbilden musste, wurde es ein interessantes Experimentierfeld für bildende Künstler: Picasso etwa und Malewitsch entwarfen zwischendurch Bühnenbilder und Kostüme. Auch Coco Chanel arbeitete in den 1920er Jahren als Kostümbildnerin. Derweil erfand Oskar Schlemmer am Bauhaus seine Raumplastiken des Triadischen Balletts als sperrige Avantgarde-Kostüme.
20. Jahrhundert: der Kostümbildner wird zum Künstler
Überhaupt wurde der Kostümbildner erst im 20. Jahrhundert als professionelle Künstlerpersönlichkeit sichtbar. Davor gab es beim Kostüm wenig Spielraum, sondern klare Regeln. In der Antike waren die Kostüme von Alltagskleidung kaum zu unterscheiden. Hauptsächlich Maskenköpfe verdeutlichten, welche Figur dargestellt wurde. Im Mittelalter war es genau umgekehrt: Kostüme wurden nun mit Federn und Ornamenten aufgehübscht und Spieler zu biblischen Allegorien stilisiert. Das zog sich bis in die Renaissance: Figuren wurden Typen – die Commedia dell’arte zeigt das am deutlichsten mit ihren Harlekins und Narren.
Erst im bürgerlichen Theater der Aufklärung sollte das Kostüm dazu dienen, einen Menschen zu imitieren, in den man sich einfühlt. Jetzt erst entstand der Beruf des Regisseurs, der alles aus einem Guss haben wollte, um die Stoffinterpretation zu unterstützen. Und erst jetzt wurde auch aus dem Kostümbildner ein Beruf. Lange Zeit waren Schauspieler für die Beschaffung ihres Kostüms selbst verantwortlich. Für Frauen galt das übrigens viel länger als für Männer – sie mussten sich selbst kostümieren und das auch eigens bezahlen. Wenn die Garderobe dem Direktor nicht gefiel, war das ein Kündigungsgrund.
70 Prozent der Kostümbildner sind Frauen
Apropos Männer und Frauen: Geschneidert wurde die längste Zeit von männlichen Schneidergesellen. Die Frau des Theaterdirektors, die sogenannte Prinzipalin, durfte dies im 18. Jahrhundert organisieren und mitdekorieren – doch wie das Kostüm auszusehen hatte, entschied der Prinzipal, also der Intendant, der somit auch Kostümentwürfe zeichnen können musste.
Heute sind laut einer Studie des Deutschen Kulturrats knapp 70 Prozent der Kostümbildner Frauen. Die wenigsten sind berühmt – was nicht heißt, dass sie keine gute Arbeit machen. Im Gegenteil.