10. Juni 1865. Königlich Bayerisches Hoftheater zu München, Uraufführung von Richard Wagners "Tristan und Isolde". Ein Meilenstein der Musikgeschichte. Hier beginnt die Auflösung der herkömmlichen Dur-Moll-Tonalität, von hier aus geht es schnurstracks in Richtung Dekadenz und Moderne. Theatergeschichtlich ist aber ein anderer Aspekt mindestens genauso wichtig: Für diese Uraufführung wurde eigens ein Orchestergraben in das Münchner Opernhaus eingebaut.
Das Hoforchester war damals zwar noch nicht so laut wie unsere modernen Symphonieorchester: Die Musiker spielten noch auf Darmsaiten, und überhaupt waren die Orchester kleiner besetzt. Trotzdem musste man sich etwas einfallen lassen, damit die Sänger bei den von Richard Wagner geforderten Klangmassen hörbar blieben. Also wurde das Orchester tiefer gelegt, um die Lautstärke zu reduzieren. Bis dahin waren Bühne und Zuschauerraum nur durch eine Balustrade getrennt: Orchester und Zuschauer auf derselben Höhe. Weil es im Parkett in der Regel keine Sitzplätze gab, konnten die stehenden Zuschauer im wörtlichen Sinn über die Musiker hinwegsehen.
Miteinander von Musikern und Publikum
Als italienische Barockkomponisten im frühen 17.Jahrhundert die europäische Oper erfanden, war die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum ohnehin noch nicht besonders streng. Das Publikum fand seine Plätze mitunter sogar auf der Bühne. Logen und Foyers waren als Orte der Repräsentation für die Zuschauer ebenso wichtig wie die Bühne. Dirigent und Orchester saßen und sitzen bis heute in der Mitte, immer gut sichtbarer Teil der Aufführung.
Diese Balance wurde durch den Siegeszug des Orchestergrabens aufgehoben, nun verschwand das Orchester aus dem Blick des Publikums. Das gehört zu den großen Änderungen der Theaterarchitektur im 19. Jahrhundert, weiß Jutta Toelle vom Frankfurter Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik.
"Erfindungen wie, dass das Licht im Opernhaus abgedunkelt wurde, dass ein großer Orchestergraben entwickelt wurde, gipfelnd natürlich in Bayreuth darin, dass ein verdeckter Orchestergraben verdeckt eingeführt wurde und dass man den Dirigenten nicht mehr sieht, dass der Dirigent abgesenkt wurde. Das sind ja alles Eingriffe, die die Beziehungen zwischen Publikum und Künstlern direkt betreffen."
Orchestergräben nehmen die teuersten Plätze
Bis sich der Orchestergraben überall durchsetzen konnte, dauerte es übrigens einige Jahrzehnte. Das Mannheimer Nationaltheater wurde erst im Jahr 1900 umgebaut: Bis dahin reichte eine Balustrade zur Abtrennung. Einige kleinere Theater bekamen sogar erst nach dem Ersten Weltkrieg einen Orchestergraben. Weil die Orchester immer größer wurden, wurden auch die Gräben immer wieder erweitert – in Dresden zum Beispiel für die Uraufführung des "Rosenkavaliers" von Richard Strauss. So etwas mögen die Geschäftsführer der Theater naturgemäß nicht besonders, weil einem größeren Graben ausgerechnet die teuersten Plätze in den ersten Reihen zum Opfer fallen. Moderne Orchestergräben sind meistens höhenverstellbar, fallen aber von Theater zu Theater unterschiedlich aus. Bei Wagner und Strauss verschwinden die Musiker im Tiefgeschoss, für Monteverdi und Händel werden sie auf Parkettniveau angehoben.
In der Wiener Staatsoper und in den meisten italienischen Häusern sitzt das Orchester traditionell weit oben; in Berlin und Hamburg wird es aus akustischen Gründen meistens recht tief versenkt.
Inzwischen verabschiedet sich aber auch die Oper, die künstlichste Theaterform, vom Illusionismus. Orchestermusiker verlassen immer öfter den Graben, spielen auf der Bühne mit oder im Zuschauerraum und handeln sich damit ganz neue akustische Probleme ein. Aber das ist ein anderes Thema.