Das Frankfurter Schauspielhaus besitzt die größte Sprechtheaterbühne Deutschlands: Sie ist 24 Meter breit und 40 Meter tief. Als der Leiter der Tonabteilung, Bernhard Klein, vor zwei Jahren gefragt wurde, wie es das Theater denn mit Mikroports für die Schauspieler halte, also den kleinen Mikrofonen, die kaum sichtbar an die Wange geklebt werden und die Stimme dann verstärkt in den Raum senden, sagte Klein: Der Einsatz von Mikroports sei Standard – es gebe kaum noch eine Inszenierung, in der das Ensemble nicht akustisch verstärkt auftrete. Auch auf vergleichsweise überschaubaren Bühnen kommt der kleine Knopf als Stimmverstärker heute oft zum Einsatz.
Mangelhafte Sprechausbildung der Darsteller
Böse Zungen behaupten, das läge daran, dass Schauspieler heute sprechtechnisch schlampig ausgebildet würden und nicht mehr das Handwerk beherrschten, ihre Stimme so artikuliert in den Raum zu schicken, dass auch Zuschauer in der letzten Reihe noch verstehen, ob gerade jemand "nett" oder "fett" genannt worden ist. Das sehen die Schauspielschulen naturgemäß anders. Wie dem auch sei; in einer Theaterlandschaft, die wenig Wert aufs Wort, auf Texte und Sprache legt, in der Performer oft an der Rampe aus ihrem Leben erzählen, ist es logisch, dass Spielerinnen wenig im raumgreifenden Sprechen trainiert sind.
Auch leise Töne ans Ohr bringen
Mikroports tragen nicht zur Verbesserung bei, doch sie wurden nicht für sprechunfähige Schauspieler erfunden. Der Einsatz von Mikroports hat ästhetische Gründe. Mit ihnen können Spieler leiser sprechen, sogar flüstern und klingen, als stünden sie direkt neben uns. Intim klingt das, weit weg vom hohen Ton der Bühnenkunst. Das ist ein Kern der Arbeiten Simon Stones.
Tschechows "Drei Schwestern" ließ er 2017 in einem Glashaus drehen, mit dicken Scheiben von den Zuschauern getrennt. Und doch hörte man das Ensemble über die Mikroports, als sitze man mit am Tisch. Da Stone die Stücke radikal ins Heute verlegt, wirken seine Inszenierungen wie Kino. Nicht umsonst wird er der "Netflix-Regisseur des Theaters" genannt.
Filmisch und gegen alle Gesetze des Theaters ist auch die Trennung von Stimme und Körper, die Mikroports erlauben. Ein Spieler kann sich mit dem Rücken zu uns unterhalten und es klingt, als rede er frontal ins Publikum. Auch das befördert eine Ästhetik, in der der Körper im Raum an Bedeutung verliert.
Stone möchte genau das. Der Regisseur Herbert Fritsch, selbst auch Schauspieler, hasst es. Mikroports nennt er eine unästhetische Prothese, durch die man, so sagt er, kein Raumempfinden mehr hat. Man weiß nicht, von wo gesprochen wird und wer da spricht. Das stimmt, es nimmt dem Theater jene Bühnentiefe, die diese Kunst gerade ausmacht. Es lässt den großen Theaterraum zu einer Mattscheibe verflachen, die Stimmen klingen alle ähnlich.
Verstärkung schon in der Antike
Dass Stimmen auf der Bühne mechanisch unterstützt werden, ist allerdings nicht neu, sondern wohl so alt wie das Theater selbst. Schon im antiken Epidauros sollen Masken dafür eingesetzt worden seien. Der Maskenmund war dann wie ein Megafon gestaltet, damit die Spieler die wahnsinnigen Entfernungen im Amphitheater zu den zig Tausenden Zuschauern überwinden konnten. Zudem gab es unter den Sitzen im Publikum große Schallgefäße aus Ton, die den Klang wie Resonanzräume weiter trugen.
Mikroports sind seit Ende der 70er-Jahre auf der Bühne im Einsatz, damals allerdings nur vereinzelt und noch deutlich größer und sichtbarer. Zuerst im Musical, dann aber auch im Sprechtheater. Klar, eine Bühne mit 40 Metern Tiefe und 24 Metern Breite wie am Schauspiel Frankfurt ist akustisch schwer zu bespielen. Aber die Showbühne des Friedrichstadtpalasts ist sogar 55 Meter tief – und die hat Fabian Hinrichs vor einem Jahr solo und ohne Mikroport gefüllt. Und es war ein Fest.
Aber wollen wir noch so genau hinhören müssen? Unsere Welt ist lauter geworden, unsere Hörgewohnheiten sind andere. Musik spielen wir uns direkt ins Ohr, Filme erklingen im Dolby-Surround-Heimkino. Vielleicht kommen zu den Schauspielern, die das Sprechen verlernen, auch Zuschauer, die das Hören verlernen.